3. Sinfonie "Jeremia" (op. 100, 1994)
S.D.G.
I. Moderato (Anathot), II. Presto (Babylon), III. Adagio (Lamentationes Jeremiae), IV. Moderato (Hymnus-Lakén)
Picc. (auch 3. Fl.), 2 Fl., 2 Ob., E.H.i.F, 2 Klar.i.B, Bassklar.i.B, 2 Fg., Kfg - 4 Hörner in F, 3 Trp.i.C, 3 Pos., 1 Tb. - Pauken (1 Spieler) Schlagzeug (3 Spieler), Harfe, - Streicher (gross gesetzt)
Schlagzeuginstrumentation:
Vibrafon, Marimbafon, Xylofon, Glockenspiel, Röhrenglocken, Pauken (4), kl. Trommel, Rührtrommel, gr. Trommel, Bongo (2), Tomtom (2), Schellentrommel, Templeblock (5), Holztrommel (2), Afrikanische Schlitztrommel (4), Claves (2), Quiro, Vibraslap, Ratsche, Becken (4), Nietenbecken (1), Beckenpaar, Triangl, Gong, Tamtam, Glissandogong (Chinesischer Operngong), Amboss oder Eisenschiene mit Eisenhammer, Ketten, Schüttelrohr.
Dauer: 45 Minuten
Moskauer Sinfonieorchester | Alexei Kornienko
Titel: 3. Sinfonie op. 100 - Umfang: 157 Seiten - Datierung: I. Wü 1. Sept.94 II. 29.10 - 15.12.96 III. 24.08.96 IV. 25.10.96 S.D.G. - Aufbewahrungsort: Bayerische Staatsbibliothek München
Schott Music
op. 100, 2. Satz
op. 100, 4. Satz
Hummels Jeremia-Sinfonie
FAZ, 23.07.1999Aus der Hindemith-Genzmer-Schule zu kommen und Olivier Messiaen als kompositorisches Vorbild zu nennen, ist für den Würzburger Komponisten Bertold Hummel, Jahrgang 1925, kein Widerspruch. Er verbindet Hindemiths Anspruch auf musikalische Transzendenz, wie er in der Keppler-Oper und gleichnamigen Sinfonie "Die Harmonie der Welt" auskomponiert wurde, mit Messiaens modal geprägter, glaubensbekenntnishafter Musik zu einem pluralistischen, choraldurchsetzten Komponieren. Mit fast jedem seiner viele Gattungen umfassenden Werke versucht Hummel, den "Sinn der Welt im Gotteslob" hörbar zu machen. Er schreibt jedoch keine geistliche Gebrauchsmusik, die ihre Zeitgenossenschaft sakral legitimieren müßte. Zwar gibt es oft biblische Bezüge, doch stilistisch, spieltechnisch und vor allem klanglich haben seine Werke auch ohne geistlichen Beistand ihren festen Platz im aktuellen Komponieren. Seine vor zwei Jahren uraufgeführte dritte Sinfonie "Jeremia" hat das bestens eingestellte Philharmonische Orchester Würzburg unter der energischen Leitung von Jonathan Seers als Konzertmitschnitt verblüffend brillant eingespielt. Die langwierige Berufung zum Propheten des jugendlichen Priestersohns Jeremia wird in einem musikalischen Kreisen zwischen einfachen rhythmischen Modellen bis hin zu vielschichtigen Überlagerungen gedeutet. Mit vielfältigem und farbenreichem Schlagzeugapparat fand Hummel für die berühmten Klagebilder über das drohende Schicksal der Stadt Babylon eine gestisch raumgreifende, nicht jedoch plakative Tonsprache. Klangliche Bewegung ist bei Hummel unmittelbar körperlicher Ausdruck, so daß dunkle Stimmungen Unheil und helle Klangfarben Gutes verheißen. Jeremias Selbstzweifel werden mit einer pastellenen Mischung aus den Extremen dargestellt. Vor allem Hummels virtuos-konzertierender Umgang mit den Instrumenten macht das Werk hörenswert.
Hummels Tonsprache geht von kleinen Motivzellen aus, gibt sich archaisch streng und ernst, malt die Stimmungen von Angst, Bedrohung und Düsternis sehr eindringlich aus, verweist jedoch immer wieder auf versöhnliche Visionen und ambivalente Gefühle jenseits von Furcht und Schrecken.
Die Uraufführung der bekenntnishaften dritten Sinfonie "Jeremia" von Bertold Hummel mit ihrer sich aufbäumenden Gestik geriet geradezu apotheotisch.
Hummel schöpft die Möglichkeiten der Kombination und Transformation der thematischen Zellen aus, findet zu imponierend vielgestaltigem Orchesterklang und erweist sich ein weiteres Mal als souverän im Umgang mit einem Rieseninstrumentarium.
Hummels Instrumentierungskünste sorgten für abwechslungsreiches Geschehen, schillernde Streicherklänge, farbenreich abgestuftes Holz und repräsentative Blech-Einwürfe kontrastierten mit rhythmisch betonten Passagen, durch allerlei Schlagwerk forciert. Besonders beeindruckte der Klagelieder-Satz mit intensiver Tonsprache, eine etwas längere Steigerungspassage brachte der Schlußsatz, der nach archaisierendem Pathos leise verklang.
Die dritte Sinfonie Jeremia op. 100 entstand in den Jahren 1994-96. Der Auslöser für die Komposition war die Lektüre des Romans "Jeremias" von Franz Werfel. Die 4 Sätze der Sinfonie sind wichtigen Lebensabschnitten des Propheten zugeordnet So spielt im 1. Satz die Berufung des jugendlichen Jerermia im heimatlichen Anathot, zu dem er zeitlebens immer wieder zurückkehrte, eine besondere Rolle. Der 2. Satz erinnert in seiner Unerbittlichkeit an die babylonische Gefangenschaft des Volkes Israel. Die berühmten Klagelieder über Jerusalem finden im 3. Satz ihren musikalischen Niederschlag. Der Finalsatz bringt das "dennoch" (Lakén) zum Ausdruck, das der leidgeprüfte Gotteskünder immer wieder seinen persönlichen Niederlagen und Nöten engegengesetzt hat. Die Tonsprache der Sinfonie ist expressiv und unorthodox. Alttestamentarische Zahlensymbolik spielt ebenso einen Rolle wie modale Verfahrensweisen bis hin zu Zwölftonfeldern.
Bertold Hummel
1997 wurde seine dritte Symphonie op. 100, ‚Jeremia' (inspiriert vom Roman Franz Werfels), uraufgeführt. Hummel gab mir die sogleich erschienene CD mit der in ihrem Mangel an Insistenz so charakteristischen Bemerkung: ‚Na, vielleicht haben Sie Zeit, sie sich anzuhören.' Entsprechend unvorbereitet trafen mich die Wucht und Tiefe der Klänge dieses großen, bedeutenden Werkes. Was für Farben in Harmonik und Orchester! Welche Dichte der Form und gleichzeitig: welche Klarheit, Deutlichkeit der Klangrede!
Thomas Daniel Schlee (in "Guardini-Stiftung e.V. - Jahresbericht 2002, Berlin")
Die Wirkung des Werkes beruht nach meiner Ansicht weniger auf dem Entwicklungsprinzip der Sinfonik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als vielmehr auf der Magie von Klangprojektionen in den verschiedenen Dimensionen (horizontal, vertikal, dynamische Zu- und abnahmen).
Es werden faszinierende Klangräume erschlossen. Obwohl eine programmatische Idee vorgegeben ist (Jeremias-Legende), enthält die Sinfonie nicht das "Drama" dieses Stoffes.
Bei Mahler z.B., der als absoluter Musiker par exzellence gilt, ist in der Sinfonik merkwürdigerweise stets das Drama latent enthalten (Auf jeden Fall bis zur 6. Sinfonie).
Nietzsche hat sich sehr treffend geäußert über Inhalte, die unterschiedlich durch das Medium "Musik" transportiert werden. Er spricht von den "Künstlerischen Mächten", des Apollinischen einerseits und des Dionysischen andererseits. ("Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik")
Der "apollinische" Musiker, so möchte ich Bertold Hummel einmal bezeichnen, hat als Urinspiration ein gleichnisartiges Traumbild.
Die musikalischen Gestalten treten unmittelbar als fertige Produkte ins Spiel. Die Verbindlichkeit des Klangmaterials gilt für das gesamte Werk.
Die Substanz der Material-Zellen bleibt unangetastet. Dadurch entsteht Vereinheitlichung, logischer Zusammenhang.
Ich sehe das Werk als ein großes musikalisches Ritual, gegliedert in vier, deutlich voneinander abgesetzte Teile. Innerhalb der vier Teile - reiche Kontraste und Vielfalt. Ein großes Erlebnis für den Hörenden!
Alfred Thomas Müller (Komponist, Halle/Saale)