Dieter Weiss (18. November 1922 Essen - 5. August 2009 Bayreuth)


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Bertold Hummel lernt den Organisten und Kantor Dieter Weiss zu Beginn der gemeinsamen Studienzeit 1947 in Freiburg kennen. Dieter Weiss regt ihn zu etlichen Orgel- und Chorwerken an und bringt sie auch zur Uraufführung. Darunter findet sich das bekannte Alleluja für Orgel op. 44, dessen Widmungsträger er ist. Bis zu Hummels Lebensende stehen die beiden Musiker in freundschaftlichem Kontakt.

Werke, die von Dieter Weiss zur Uraufführung gebracht wurden

GEISTLICHES KONZERT für Bariton und Orgel

INTRODUKTION, ARIOSO und FUGE für Orgel op. 4

DEM KÖNIG DER EWIGKEIT, Kantate für Chor und 7 Instrumente op. 17

ADAGIO für Orgel op. 21

FANTASIE für Orgel op. 25

ALLELUJA für Orgel op.44


Biografie
Dieter Weiss (* 18. November 1922 in Essen; † 5. August 2009 in Bayreuth) war ein deutscher Organist, Kirchenmusiker, Dirigent und Dozent.
Weiss studierte Orgel an der Hochschule für Musik in Freiburg bei Walter Kraft und bei Jeanne Demessieux in Paris. Er widmete sich Studien im Dirigieren bei Konrad Lechner und Hermann Scherchen.
Er war von 1952 bis 1959 Organist und Kantor an St. Johannis in Hamburg-Altona und von 1959 bis 1971 Organist an St. Marien in Flensburg und Leiter des Flensburger Bachchores.
Ab 1965 war Dieter Weiss Dozent für Orgelspiel an der damaligen Schleswig-Holsteinischen Musikakademie und Norddeutschen Orgelschule Lübeck, der heutigen Musikhochschule Lübeck.
Von 1971 bis 1986 war Weiss Landeskirchenmusikdirektor der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Oldenburg und Organist an St. Lamberti in Oldenburg, wo er verantwortlich für die Disposition der dort im Jahr 1972 errichteten Führer-Orgel war, im Jahr 1971 den Lambertichor und im Jahr 1973 den Demantius Chor Oldenburg gründete.


Im Jahr 1997 verfasst Dieter Weiss folgende Schrift über den Komponisten:

Bertold Hummel wurde am 27. November 1025 in Hüfingen bei Donaueschingen geboren. Sein Vater war neben seiner Tätigkeit als Volksschullehrer Organist und Leiter der Kirchenchores in Hüfingen tätig. Schon im frühen Alter bekam der Knabe Musikunterricht, sang im Kirchenchor Sopran und hatte bald ein selbstverständliches Verhältnis zur Orgel und Gregorianik. Diese Liebe und Erfahrung im Umgang mit der Gregorianik, sagt Hummel später, hat seine kompositorische Arbeit ganz entscheidend geprägt: Wie der Choral erklärbar ist als additives Summieren von Bausteinen, so erkennt man in Hummels Werken Mosaiksteine, die einer ständigen Metamorphose unterworfen werden.
Auch Hummels Liebe zur Orgel ist durch die Hüfinger Jahre leicht erklärt. Seine erste Orgelkomposition ist Introduktion, Arioso und Fuge op. 4, die in drei unterschiedlichen Sätzen auf Anhieb eine sehr orgelmäßige Schreibweise erkennen lässt. Mit den Jahren ist die Reihe der Orgelkompositionen auf 16 angewachsen, ausser einigen liturgisch gebundenen Stücken sind die meisten Werke in einem anspruchsvollen, virtuosen Stil geschrieben, der stets aparte Registriermöglichkeiten nahe legt. Diese Werke für Orgel solo werden nachdrücklich ergänzt durch Kompositionen mit hinzutretenden Instrumenten, von denen mindestens die Biblischen Szenen für Oboe und Orgel op. 45 sowie vor allen die Metamorphosen über B-A-C-H für Bläser und Orgel op. 40 erwähnt sein müssen.
Hummel lernte ich zu Beginn unserer gemeinsamen Studienzeit an der Freiburger Hochschule (1947) kennen, wo er sieben Jahre bei Harald Genzmer arbeitete und ausserdem in der Meisterklasse von Atis Teichmanis Violoncello studierte. So wurde von Anfang an seine Vielseitigkeit grundgelegt, die sein musikalisches Denken entscheidend prägte. So engagierte er sich als Cellist in manchen Kammermusikkreisen und brachte bald auch sein erstes Streichquartett op. 3 zur Uraufführung. Das erste Werk aus seiner Feder, das uns miteinander verband, war die Kantate "So kehre nun, meine Seele, zu deiner Ruh" für Bass und Orgel, die wir am Totensonntag 1951 in der Haslacher Melanchtonkirche zur Uraufführung brachten.

Die Freiburger Studienzeit an der 1946 unter dem Flötisten Gustav Scheck als Direktor neu gegründeten Hochschule war eine einzigartige Aufbruchszeit, zumal Baden in der französischen Besatzungszone lag. Zum ersten Mal sahen wir Bilder von Braque, Leger und Picasso. Auch der vollständige Zyklus "Miserere" von Rouault wurde gezeigt. Im Münster erklang verschiedentlich Orgelmusik von Olivier Messiaen (den Hummel später als einen der "Leuchtürme der europäischen Musikgeschichte" bezeichnnen wird), dessen "Quatuor pour la fin de temps" von vier Professoren im Treppenhaus des Wenzinger-Hauses am Münsterplatz (dem Hauptgebäude der Hochschule) gespielt wurde und tiefe, bewegende Eindrücke hinterließ. Das musikalische Klima der Hochschule wurde entscheidend mitgeprägt von Walter Kraft, Konrad Lechner, Fritz Neumeyer, Edith Picht-Axendfeld und Carl Seemann. Daneben bot der Kunstverein in einer Verkaufsausstellung Emil Noldes herrliche Blumen-Aquarelle für 450 neue Deutsche Mark an. Diese und ähnliche Eindücke schufen eine aufregende und stimulierende Atmosphäre, die der Intensität des Studiums sehr zugute kam.
Nach Abschluss der Studienzeit unternahm Hummel verschiedene Konzertreisen mit kleinerem Ensemble, so auch durch Afrika. Diese Reise fand ihren schönen Abschluss durch die Heirat mit der Geigerin Inken Steffen, die mit überlegenem Sachverstand und großer Einfühlungsgabe fortan den Weg ihres Mannes zu begleiten verstand. Sechs hochmusikalische Söhne wurden der Stolz der Familie.

Von 1956 an war Bertold Hummel an der Freiburger Kirche St. Konrad als Kantor tätig, nebenher auch als freier Mitarbeiter des Südwestfunks. Der ständige Kontakt mit seinem Chor regte ihn zu zahlreichen Chorkompositionen an; er wusste bald die Schwierigkeiten für Chorstimmen auf dem Boden der Realität zu belassen und dennoch einen gut klingenden Satz zu schreiben. In dieser Zeit wurde eine Missa brevis (op. 5) bei den Donaueschinger Musiktagen vom Freiburger Domchor uraufgeführt (1952). Neben weiteren Messen schrieb der Freiburger Kantor (der auch im Gottesdienst die Orgel gut zu spielen verstand) zahlreiche einstimmige liturgische Stücke und Motetten, zudem einige sehr verschiedenartige, wesentliche Kantaten, unter denen mir "Dem König der Ewigkeit" op. 17 (mit kleiner Bläserbesetzung) besonders nahe steht. Dieser vokale Strang erreicht dann seinen Höhepunkt mit dem Oratorium "Der Schrein der Märtyrer" op. 90 zu Ehren des Heiligen Kilian, das im Würzburger Dom seine singuläre Uraufführung erlebte mit mehreren Chören, Soli, Orchester und drei Orgeln (1989), eine kaum zu übertreffende Besetzung. Aber Hummels großer Respekt vor dem Laienmusizieren lässt ihn immer wieder zu leichter auszuführenden Stücken zurückkehren wie zuletzt für das Knabenchortreffen in Salzburg (1996).

Noch heute ist Bertold Hummel ein engagierter Kammermusiker, und es zeigt sich, dass die Hälfte seiner Werke für kammermusikalische Besetzungen geschrieben ist: immer noch der Offenbarungseid für jeden Komponisten. Ein weiteres Viertel der Werkskala ist der Kirchenmusik vorbehalten. Durch starke Intensität zeichnet sich besonders das zweite Streichquartett op. 46 aus. Bei den Kammermusiken für Bläser sind die meisten Instrumente vertreten, auch mit Solostücken: Ein unglaublicher Reichtum tut sich in diesen Sparten des Werkkataloges auf. Natürlich kommen die Streicher nicht zu kurz; eine willkommmene Erweiterung der Besetzung stellen die Gesänge nach Briefen von Vincent van Gogh für Baritonsolo und Steichquartett op. 84 dar, auch nach Schoenberg immer noch eine seltene Kombination. Eine spezielle Neigung hat der Komponist auch zum Schlagzeug, für das eine ganze Reihe sehr farbiger Solostücke vorliegt. Der größte Erfolg auf diesem Gebiet wurde bisher das Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 70, das 1985 uraufgeführt wurde und seitdem ein internationaler Renner geworden ist. Hummels rhythmische und klangfreudige Begabung feiert hier einen wirklichen Triumph.

Von seinen vier Bühnenwerken hat besonders die Kammeroper "Des Kaisers neue Kleider" op. 10 viel von sich Reden gemacht. Einen gewichtigen Schwerpunkt in Hummels Schaffen bilden unbedingt seine 15 sinfonischen Orchesterwerke. Der reiche Farbsinn des Komponisten äussert sich hier in einer überwältigenden Instrumentationskunst, die immer wieder auch für Überraschungen sorgt. Schon allein daher sind alle diese Stücke spannend anzuhören. Besonders herausragend figurieren die Zweite Sinfonie "Reverenza" op. 30 (komponiert 1966) und die "Visionen" op. 73 (komponiert 1979/80). In "Reverenza" führt das vollchromatische Denken des Komponisten auch zu gezielt eingesetzten Zwölftonfeldern wie polytonalen Flächen, durchzogen von sanglichen Kontrapunkten. Die Technik der permanenten Metamorphosen erreicht im Schlusssatz eine überwältigende Steigerung mit der Durchführung des "Te deum" -Themas, das sich wie selbstverständlich einfügt. Die kürzeren "Visionen" sind nach der Apokalypse des Johannes komponiert und bringen die Menschheitsnöte unserer Zeit mit ihr in Verbindung. Zauberhafte Sphärenklänge schieben sich zwischen die von Blechbläsern dominierten Partien; das Stück endet - sehr still mit der Vision des himmlischen Jerusalem. In beiden Werken gibt es nirgends unkontrollierte Emotionen, die Klarheit der Strukturen bleibt immer bestimmend, zuweilen finden sich melodische Spuren von Hindemith, nicht aber von Genzmer.

1963 wurde Hummel als Kompositionslehrer an das damalige Staatskonservatorium in Würzburg berufen. In seiner passionierten Unterrichtstätigkeit bekennt er, kein Avantgardist zu sein, viel mehr fühlt er sich der Gemeinschaft verbunden und verpflichtet; für ihn existiert das Dreieck Komponist - Interpret - Hörer als wesentliche Grundlage des Musiklebens. Im Unterricht respektiert er die Persönlichkeit seines Gegenüber und versucht sie an dessen Standpunkt "abzuholen" und durch sein sehr sicheres Urteilsvermögen zu überzeugen. Daher zeigen die zahlreichen Hummelschüler jeweils recht verschiedene musikalische Profile - zur Freude ihres Lehrers, dessen stilistische Haltung nicht eng begrenzt, sondern immer offen für wesentliche Anregungen ist. So sind auch seinen vielen Hommages zu verstehen an Bruckner, Berg, Messiaen und andere, deren Stil er überzeugend zu amalgieren versteht. Seine Meisterklasse für Komposition leitete er bis 1988; während dieser Zeit avancierte das Würzburger Institut durch seine Aktivitäten und Initiativen in den Rang einer Hochschule für Musik, zu deren Präsident Hummel 1979 gewählt wurde, heute noch als Ehrenpräsident fungierend. Ebenfalls bis 1988 gab er mit den Konzerten seinen Würzburger Studios für Neue Musik wesentliche und viel beachtete Anregungen für die Entwicklung der Musik unserer Tage.

Bertold Hummel ist des öfteren ausgezeichnet worden: 1956 war er Stipendiat des Bundesverbandes der deutschen Industrie, 1960 erhielt er den Kompositionspreis der Stadt Düsseldorf, 1988 den Kulturpreis der Stadt Würzburg und 1996 den Friedrich-Baur-Preis für Musk; 1982 gehört er der Bayerischen Akademie der Schönen Künste an.

Die Klarheit seines musikalischen Denkens spiegelt sich in seiner deutlichen, plastischen Notenschrift, sie ist direkt "anschaulich" zum Spielen und vermittelt dafür manche Anregungen. Auch nach Erscheinen uraufgeführter Stücke im Druck habe ich solche Stücke viel lieber weiterhin aus dem Autograph gespielt. Man meint zu spüren, dass der Komponist diese Noten mit großer Verantwortlichkeit aufschrieb. Auch die Sicherheit dieser Notenschrift ist bestechend: hier schreibt ein souveräner Meister unserer Zeit, der in seinem weitgespannten Oeuvre hohe Geistigkeit, starke geistliche Rückbindung und trumphiernde Musikalität unter Beweis stellt.

Dieter Weiss (1997)