BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 30 Zurück zur Verzeichnisliste |
2. Sinfonie "Reverenza" (1966) I. Fanfare Anfang II. Fantasia III. Finale concertante Anfang
Besetzung: 3.3.3.3 - 4.3.3.1 - Pk., Schlgz., Hrf., Streicher Uraufführung:
29. März 1966, Würzburg, Hochschule für Musik Aufführungsdauer: 25 Minuten Autograph: Verlag: N. Simrock Hamburg-London (Boosey & Hawkes) (Leihmaterial) Video: Hummelwerke auf Youtube Die 2. Sinfonie "Reverenza"entstand als Auftragswerk für die Einweihung eines neuen Konzertsaales. Vielleicht darf der Untertitel "Reverenza" als Ehrerbietung an die jahrhundertelange Tradition gedeutet werden. Der 1. Satz Fanfare beginnt mit einer rhythmischen und dynamisch geformten 12-Ton-Melodie in langsamem Zeitmaß. Diese Melodie erscheint im Laufe des Satzes 4 mal und gliedert dadurch den sonst ganz von einem unerbittlich vorwärtsdrängenden Fanfarenmotiv beherrschten Satz. 2. Fantasia. Ein weitgeschwungenes, rhapsodisches, gleichsam improvisiert wirkendes Flötensolo eröffnet den pastoralhaften, langsamen Satz. Nach kurzem Orchester-Tutti übernimmt die Klarinette den Faden und spinnt ihn weiter, das Orchester-Tutti leitet zu einem Hornquartett über, welches von einer lyrischen Streichquartettepisode mit einer Solokadenz der 1. Geige abgelöst wird. Die Oboe greift die pastorale Atmosphäre des Anfangs wieder auf - im Tutti kommt es zu größter Kraftentfaltung - feierlicher Posaunenübergang - sarabandeartige Steigerung über dem Ostinato der Bässe und Pauken. Eine kurze Wiederaufnahme des Flötensolos beschließt den überaus farbigen Satz. 3. Finale concertante. Der virtuose und musikantische Schlußsatz hat ausgesprochen dramatischen Charakter. In einem groß angelegten Spannungsfeld wird das gregorianische "Te deum laudamus" einem vollchromatischen, 12-tönigen Thema entgegengesetzt. Zunächst kontrastierend - im Verlauf des Satzes immer mehr sich durchdringend und verflechtend - dominiert schließlich das hymnische Te deum. Mit einer kontrapunktisch sehr dicht geformten Schlußsteigerung, in der alle Themen vorhanden sind, geht das Werk zu Ende. Die ersten drei Töne der Sinfonie - sowohl melodisch als auch akkordlich geformt - sind in allen Sätzen permanent vorhanden und können quasi als sinfonische Klammer bezeichnet werden. Das Werk erfreut sich seit seiner Uraufführung am 29. März 1966 im In- und Ausland einer stetig wachsenden Beliebtheit. Allein im Jahre 1982 wurde es siebenmal aufgeführt, in Nürnberg, Limoges, Foix, Pau, Tarbes, Biarritz und Ansbach. Bertold Hummel (...) Grundsätzlich gehe ich von der 12-Ton-Technik aus, die jedoch nicht akademisch konsequent angewandt wird. In meiner 2. Sinfonie op. 30, im Jahre 1966 entstanden, mit dem Titel Reverenza - zu deutsch Ehrerbietung - kommt dazu die fast durchgängige Quartenharmonik. Weiterhin fällt in diesem Werk die Vorliebe für bestimmte geläufige musikalische Formeln auf, die zweifelsohne beim Hörer ein gewisses Vertrautheitsgefühl schon bei der ersten Begegnung mit dem Werk erzeugen. Choral, Marsch, Fanfaren, Jazzmotive, Tonleitern, Akkordfiguren. Vielleicht darf von hier aus der Titel der Sinfonie erklärt werden als Ehrerbietung an die Jahrhunderte lange Tradition der Musik. Bertold Hummel (Konzerteinführung, 24. Juni 1981, Stuttgart)
(...) Damals vor 30
Jahren - es war die Zeit, in der meine komponierenden Alterskollegen
in Deutschland alles andere schrieben als Sinfonien - dazu noch solche
zu festlichen Anlässen. (...) Es war meine Aufgabe für das Orchester
des damaligen Staatskonservatoriums ein maßgeschneidertes Stück zu
schreiben. Die Professoren saßen an den 1. Pulten und wollten alle in
irgendeiner Weise bedacht werden. So sind die verschiedenen Soli in
diese Sinfonie gekommen. Das Stück ist auch eine Reverenz gegenüber
einer Institution, an der ich bis zum Jahre 1988 lehrte und der ich
wahrscheinlich als Ehren-Präsident lebenslänglich verbunden sein werde.
Bertold Hummel (Entwurf einer Rede,12./13. Oktober 1995)
In seiner 2. Sinfonie zeigt sich neben einer fast durchgängigen Quartenharmonik die Vorliebe für bestimmte geläufige musikalische Formeln, die schon beim ersten Hören ein Vertrautheitsgefühl mit dem Werk erzeugen: Choral-, Marsch-, Fanfaren-, Jazzmotive, Tonleitern, Akkordfiguren. Von hier aus erklärt sich der Titel der Sinfonie: als Verbeugung vor der jahrhundertelangen Tradition der Musik. I. Fanfare: Zwei wesentliche Strukturmerkmale formen den ausdruckstarken Kopfsatz: eine melodische Zwölftonreihe im Baß, zu Beginn unisono im zwingenden "crescendo" vorgestellt, und ein Fanfarenmotiv der Blechbläser. In stetem Wechsel werden diese beiden Motive zueinander in Beziehung gesetzt, sowohl in der Vertikalen als auch in der Horizontalen verwoben. So ergeben sie ein überaus vielschichtiges expressives Klangbild. Nach einer von Harfe und \/ibraphon eingeleiteten ruhigen Episode entwickelt sich ein mächtiger Klangblock des ganzen Orchesters mit dem veränderten Unisono-Gedanken im Baß. Einer Phase der Beruhigung schließt sich ein geradezu mystischer Abschnitt an: Flatterzunge von Flöte und Piccolo mit Tremolo des Vibraphons über einem Grund von Streicher- und Beckentrillern, dazu ein "rufendes" Posaunenmotiv. Auf eine abermalige Gegenüberstellung der beiden Hauptgedanken folgt eine bohrende Ostinato-Figur der Violinen und führt zum kraftvollen Schluß. II. Fantasia: Ein weitgeschwungenes, rhapsodisches, improvisiert wirkendes Flötensolo eröffnet den pastoralen langsamen Satz. Die Klarinette trägt diese Stimmung in einem noch umfangreicheren Solo weiter (teilweise auf glitzerndem Orchestergrund: Flageolett der Solostreicher, Harfenläufe, Beckenwirbel und Vibraphonfiguren). Dann übernehmen die hohen Holzbläser und Streicher in einem rhythmisch fesselnden Motiv die Führung. Vom Hornquartett geht das Geschehen über in eine ausgedehnte Streichquartett-Episode (mit Kadenz der 1. Geige). Die Oboe greift die pastorale Atmosphäre des Anfangs auf, im Tutti kommt es noch einmal zu höchster Kraftentfaltung: feierlicher Posaunenchoral, sarabandenartige Steigerung über dem Ostinato der Bässe und Pauken. Eine kurze Wiederaufnahme des Flötensolos beschließt diesen überaus farbigen Satz. III. Finale Concertante: Ein ungemein virtuoses, vitales und musikantisches Finale! Aufbau und Spannung ergeben sich aus der Polarität der beiden Hauptthemen: einer 12-Ton-Reihe, die das diabolische Prinzip verkörpert, steht das gregorianische Tedeum gegenüber. Aufwärtsjagende Skalen leiten das imitatorisch geführte erste Thema ein, aus dem sich dann Begleitfiguren zu einem hymnusartigen Posaunensolo kristallisieren. Eine kurze Ruhepause (Klarinette, tiefes Blech) schafft Energie für eine sehr akzentuierte Episode im Rumbarhythmus (Holzbläser, Bongos), an deren Ende sich ein kraftvolles Marschthema auf- baut, das zusammen mit dem hymnischen Motiv zu großer Klangentfaltung gebracht wird. Ein durchführungsartiger Abschnitt wird vom Klang der Bongos und scharfen Bläserakkorden geprägt. Wieder erscheinen der Holzbläsergedanke und das Posaunenmotiv. Mit der rasenden Skala des Beginns setzt die Reprise ein, die jedoch frei weitergeführt wird, wobei die Trompeten mit einem weiteren hymnischen Motiv den Höhepunkt setzen. Tempoverlangsamung sowie transparenter Einsatz von Soloinstrumenten bewirken eine Beruhigung. Eine breit angelegte Steigerung mündet daraufhin in ein kraftvolles Unisono-Thema von Hörnern und Streichern. In der Coda werden die verschiedenen Elemente (Bongos, Holzbläserthema, Marschgedanke usw.) sehr dicht kombiniert. Es kommt zu einer weiteren großen Steigerung: Hörnerfanfaren kündigen abermals ein Marschmotiv an; ein wogender Aufschwung von Holzbläsern und Streichern wird gekrönt vom strahlenden Choral der Trompeten. Mit einem eingetrübten E-Dur-Akkord klingt die traditionsverbundene "Reverenza‘ effektvoll aus. Dieter Wittenbrock
Interview mit Inken Hummel zu op. 30
Presse Fränkisches Volksblatt 16.3.1987 Ein riesiger Wurf vielschichtigen Ausmaßes erklärt sich in Hummels mitreißender und gescheit durchgearbeiteter 2. Sinfonie.
Main-Post, 21. 2. 2017 Bereits
mit Hummels Finalsatz aus der Sinfonie Nr. 2 "Reverenza" wusste man zu
überzeugen, arbeitete die skurillen, auch witzigen Momente des Werkes
heraus, dazu elegante Melodien und mächtige, choralartige Abschnitte.
Die detailreiche Klangwelt eines Bertold Hummel durfte sich entfalten,
Halleffekte, farbige und fantasievolle Instrumentierung - ein modernes,
50 Jahre nach der Uraufführung auch für Hörer, die jeden Modernismus
ablehnen, gut nachvollziehbares Werk.
Nürnberger Nachrichten 19.4.1986 Mit
dem Titel "Reverenza" verläßt Hummels op. 30 aus dem Jahre
1966 harmonische Traditionsbindungen nicht radikal, gewinnt aber dennoch im freien
Umgang mit Zwölftontechnik bei starker Innenspannung farbiges Eigenleben
und künstlerisches Gewicht. Die 20-Minuten-Sinfonie ist kompositorisch einfallsreich,
kunstvoll und formal konsequent gebaut.
Deutsche Tagespost, 9.10.1974 Bertold Hummel erweist in seiner zweiten Sinfonie der gewachsenen kompositorischen Tradition und der Gegenwart seine Reverenz, aber er ist selbständig in jedem Takt. Seine Unisoni mit den marschverbrämten Zwischenspielen der Blechbläser im ersten Satz haben den großen Bogen und den urdeutschen romantischen Geist eines Mathis oder einer Harmonie der Welt von Hindemith.
Hofer Anzeiger, Frankenpost, 22.3.2004 Bertold
Hummels zweite Symphonie, mit dem ehrfurchtsvollen Titel "Reverenza",
hat von beiden Hälften des Abends, der klassisch-romantischen wie der klassischmodernen,
ihr Teil. Zum 20. Jahrhundert gehört ihre atonale Sprache; die Orchesterbesetzung
indes begnügt sich mit traditionellem Format. Immerhin dröhnt der Gong
mit, die Trommel rasselt - und das Vibrafon fügt einen sinnlich-sehnsüchtig
schwingenden Beiklang hinzu.
Fränkisches Volksblatt 31.3.1966 Neben
Beethovens ebenso lebensvollen wie lebensbejahenden 8. Symphonie standen Mozarts
Klavierkonzert KV 466 und eine Uraufführung, Bertold Hummels quicklebendige
Reverenza auf dem Programm.
Bertold Hummel: Die Bedeutung der Percussioninstrumente im meinen Orchester- und Kammermusikwerken |