BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 10


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Des Kaisers neue Kleider
Kammeroper nach H. Christian Andersen in 5 Bildern, op. 10 (1955)
Libretto: Oskar Gitzinger


1. Bild: Vorzimmer des Kaisers

2. Bild: Bei Christian und Jaques Auftritt des Hofmarschalls

3. Bild: Vor dem Kaiserlichen Schloss

4. Bild: Im Thronsaal

5. Bild: Auf der Straße

 

Besetzung:
Der Kaiser Bass
Der Hofmarschall Tenor
Der General Tenor
Der Finanzminister Bariton
Der Theaterdirektor Bass
Christian, ein Betrüger Tenor
Jacques, ein Betrüger Bariton
Ein Bote Sprechrolle
Ein Kind Sprechrolle
Frauenstimme Sopran-Solo
Gefolge des Kaisers Männerstimmen
Volk Gemischter Chor

Orchester: Flöte, Oboe, Klarinette in B, Fagott, Trompete in C, Schlagzeug, Klavier (evtl. Cembalo), Viola, Violoncello, Kontrabass

Uraufführung: 19. Juni 1957, Freiburg, Städtische Bühnen
Günther Wich

Aufführungsdauer: 55 Minuten

Autograph:
Titel: "Des Kaisers neue Kleider" (nach H. Chr. Andersen) Kammeroper in 5 Bildern
Umfang: 152 Seiten
Datierung: 1. Bild: 21. VII. 54 / 2. Bild: - /  3. Bild: 18. Juni 55 Stellenbosch /  4. Bild:  Stellenbosch 11. Juli 55 /  5. Bild:  Las Palmas  13. August 55

Aufbewahrungsort: Bayerische Staatsbibliothek München

Verlag: Manuskript

Libretto:

Szenarium der Uraufführung:


Einführungstext zur Uraufführung:

Video: Hummelwerke auf youtube


Handlung der Oper

(aus dem Programmheft der Städtischen Bühnen Freiburg 1957)

1. Bild (Foto der UA)

Im Vorzimmer des Kleiderkabinetts warten die Höflinge auf das Erscheinen des Kaisers. In einem Terzett beklagen der General, der Finanzminister und der Theaterdirektor ihre erzwungene Untätigkeit und die Vernachlässigung der Staatsgeschäfte, die infolge der Kleiderbesessenheit des Kaisers dem Ruin sehr nahe sind. Der eintretende Hofmarschall berichtet von zwei Männern, die am Hof erschienen seien und dem Kaiser Kleider von nie gesehener Schönheit zu machen versprachen; diese Kleider sollten überdies eine höchst wunderbare Eigenschaft besitzen für jeden nämlich, der unverzeihlich dumm sei oder für sein Amt nicht tauge, seien sie — unsichtbar!

2. Bild (Foto der UA)

Bei Christian und Jacques. Die beiden Wunderschneider bekennen sich freimütig zu ihrer "Kunst aus Luft und blauem Dunst" und machen sich über die Leichtgläubigkeit des Hofes lustig. Die Musik parodiert moderne Tanzrhythmen und stellt dabei die Tätigkeit der imaginären Webstühle dar, auf denen, aus dem Material menschlicher Eitelkeit und Neugier, des "Kaisers neue Kleider" entstehen. Als der Hofmarschall erscheint, entwickelt sich eine Szene ironischer Devotion. Christian und Jacques zeigen bereitwillig ihre "herrlichen Stoffe" vor und schildern dem Höfling deren Schönheit in höhnischer Steigerung. Rasch verwandelt sich die Bestürzung des Hofmarschalls in heuchlerisch-bestimmende Bewunderung. Die Rechnung der beiden Wunderschneider mit der menschlichen Schwäche geht auf; triumphierend schicken Christian und Jacques dem abziehenden Hofmarschall ihren Spottgesang nach.

3. Bild (Foto der UA)

Neugier treibt die Menschen vor das kaiserliche Schloß, wo hinter einem Fenster die Schatten von Christian und Jacques zu sehen sind. Ein Diener verkündet das Nahen des Kaisers, der, übertrieben prächtig gekleidet, die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich zieht. Der Kaiser verwundert sich über den Menschenauflauf vor seinem Schloß zu so später Stunde; als er aber den Grund erfahren hat, verspricht er dem Volk für den kommenden Tag einen Triumphzug, bei dem er sich in seinen wunderbaren neuen Kleidern zeigen wird.

4. Bild (Foto der UA)

Kaiser und Gefolge im Thronsaal in nervöser Erwartung des großen Augenblicks. Christian und Jacques tänzeln, des Kaisers "neue Kleider" auf den Armen tragend, herein. Verwirrung erfaßt die Hofgesellschaft: wo sind denn nun diese neuen Kleider? Zum dritten Mal vollzieht sich jetzt der Umschwung von kritischer Nüchternheit zu heuchlerisch-überschwänglicher Entzückung. Kaiser und Höflinge übertrumpfen sich gegenseitig mit Ausdrücken ekstatischer Begeisterung, auf deren Höhepunkt Christian und Jacques in einem feierlichen Arioso zu Hofschneidern und Hofwebern ernannt werden und reiche Belohnung erhalten.

5. Bild (Foto der UA)

Mit Hochrufen empfängt das Volk den kaiserlichen Triumphzug. Unter dem Baldachin würdevoll einherschreitend, nimmt der Kaiser die Ovationen stolz und gerührt entgegen. Alle Stimmen vereinen sich zu begeistertem Jubel. Da aber tritt der Umschlag ein: die schlichte Feststellung eines Kindes, daß der Kaiser ja gar keine Kleider anhabe, läßt den Schleier der Heuchelei und des Selbstbetruges zerreißen und gibt den Vorwitz des kleidernärrischen Monarchen der Lächerlichkeit preis. Der Kaiser, aus seinem Wahn erwachend, spricht sich schuldig. Er ist bereit, die öffentliche Blamage ohne Beschönigung auf sich zu nehmen. Nun aber spricht das Kind zum zweiten Mal und erweckt in der Menge das Bewußtsein ihrer Mitschuld. Die Lüge entlarvt sich. Mit erneuten Hochrufen stellt sich das Volk schützend vor den Kaiser. – In der Schlußfuge wird, absichtlich moralisierend und damit in die Nähe ironischer Auflösung gerückt, das Fazit gezogen: jeder schlage sich an die eigene Brust. Über Spott und Gelächter erhebt sich die versöhnende Einsicht von der Schwäche, an der alles Menschliche teilhat.

Der 31jährige Genzmer-Schüler Bertold Hummel hat die einzelnen Szenen in strengen musikalischen Formen zusammengefaßt. Die Instrumentation unterstreicht das Groteske der jeweiligen Situation, ohne jedoch rein illustrativ zu bleiben. Der Komponist setzt neben Solisten und Chor ein sparsam besetztes Kammerorchester ein – vier Holzbläser, eine Trompete, drei Bratschen, zwei Celli, ein Kontrabaß und Klavier, ergänzt durch ein reichhaltiges Schlagwerk, das von zwei Spielern besorgt wird.


Hummels Kammeroper 'Kaisers neue Kleider' ist im musikalischen Stil der zwanziger bzw. dreißiger des 20. Jahrhunderts komponiert. Das war nach dem 1. Weltkrieg in künstlerischer Hinsicht eine außerordentlich interessante Zeit. Ich denke an die Opern von Hindemith, Weill, Strawinsky u.a.. Für Hummel war das gemessen an seinem Gesamt-Oeuvre ein musikalischer Ausflug in einen anderen Stil. Ich halte das für legitim, wenn es perfekt gemacht wird, wie in diesem Fall. Der Stoff des Märchens hat einen zeitlosen Wahrheitsgehalt. Hummels Musik lebt von karikaturhaften musikalischen Gesten, die auch szenisch umgesetzt werden müssen, nicht im Sinne der Uraufführungsinszenierung, der sich aus den Bühnenfotos erahnen lässt, sondern fast wie im 'Absurden Theater'. In diesem Sinne könnte ich mir eine Inszenierung von Hummels Kammeroper sehr gut vorstellen. Man braucht für ein solches Projekt einen 'verrückten' Regisseur.

Alfred Thomas Müller, Halle 2024


Presse

Mannheimer Morgen 29.Juni 1957

"Des Kaisers neue Kleider musikalisch verbrämt"

Uraufführung einer Kammeroper von Bertold Hummel in Freiburg

Das chronisch um heitere Werke verlegene Repertoire der deutschen Opernbühne gewann nach dem "Revisor" von Werner Egk jetzt eine neue Chance in Freiburg: im Großen Haus wurden "Des Kaisers neue Kleider", eine Kammeroper des 31jährigen Genzmerschülers Bertold Hummel uraufgeführt. Das Libretto von Oskar Gitzinger faßt in rascher Szenenfolge Hans Christian Andersens satirisches Märchen von jenem Kaiser zusammen, dem die Eitelkeit den Verstand umnebelt, bis er, vom blindgläubigen Volk umjubelt, als Opfer zweier Scharlatane in Unterhosen einherstolziert. Erst die Unbefangenheit eines Kindes vermag die ziemlich nackte Wahrheit zu enthüllen. Kaiser und Volk gestehen den Selbst-betrug ein und bekennen sich gemeinsam schuldig.

Bertold Hummel hat von der Kirchenmusik her den Sprung in das Milieu dieser heiter moralisierenden Garn-Spinner und Beutel-Schneider gewagt. Er hat die einzelnen Bilder in strengen musikalischen Formen zusammengefaßt und das burleske Geschehen mit einem Kammerorchester aus vier Holzbläsern, einer Trompete, drei Bratschen, zwei Celli, einem Kontrabaß, Klavier und reichhaltigem Schlagwerk teils illustrativ, teils kontrapunktisch begleitet. Trotz der Ansprüche an Solisten und Chor wirkt seine Musik gefällig, in der lnstrumentation bisweilen ein bißchen löcherig.

Die Freiburger Uraufführung unter der musikalischen Leitung Günther Wichs hatte Reinhard Lehmann in der besonders reizvollen, von elegant geschwungenen Kleiderbügeln gekrönten Dekorationen Renate Riß´ in Szene gesetzt. Den Kaiser sang Carl Schlottmann. Das unterhaltsame Werkchen wurde vom Publikum freundlich aufgenommen.

SUz.

 

Basler Nachrichten Nr. 268-1957

Bertold Hummel hat aus dem Andersenschen Märchen musikalisch ein ironisches Scherzspiel gemacht. Den fünf Bildern hat er jeweils eine in sich geschlossene musikalische Form gegeben. Im zweiten Bild, da die beiden Schneider Jacques und Christian dem Hofmarschall die neuen Kleider vorgaukeln, gefällt eine Persiflage moderner Tanzrhythmen....Seine jetzt uraufgeführte Kammeroper zeigt den Könner, den formalen Gestalter, der sich selbst und auch dem Publikum nichts schenkt.


Literatur-Tipp

Bertold Hummel: Die Bedeutung der Percussioninstrumente im meinen Orchester- und Kammermusikwerken