BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 84 Zurück zur Verzeichnisliste |
Acht Fragmente aus Briefen von Vincent van Gogh für Bariton und Streichquartett, op. 84 (1985) Uraufführung:
2. Dezember 1985, Würzburg, Hochschule für Musik Aufführungsdauer: 19 Minuten Autograph:
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VIII.
Deutsche Übersetzung aus dem Niederländischen und Französischen von Leo Klein-Diepold (1865-1944) und Carl Einstein (1885-1940) (Briefe an den Bruder Theo, Berlin 1914) sowie von Hans Graber (1886-1959) (Briefe an Emile Bernhard, Paul Gaugin, Paul Signac und andere, Basel 1938) Reaper. 1889. Oil on canvas. Vincent van Gogh Foundation, Rijksmuseum Vincent van Gogh, Amsterdam, the Netherlands Auf dieses Bild bezieht sich das letzte Brieffragment.
Einer
Besetzung, die sich wohl erst im 20. Jahrhundert findet, wendet sich Hummel mit
seinen "Acht Fragmenten aus Briefen von Vincent van Gogh" für
Bariton und Streichquartett op. 84 (erschienen 1988) zu. Es gibt nur wenige -
und nicht sehr bekannte - Liederzyklen in dieser aparten Kombination. Doch nicht
nur deshalb sind Hummels Van Gogh-Gesänge außergewöhnlich: auch
Vertonung von Prosa ist innerhalb musikalischer Lyrik selten und Ausdruck einer
modernen Haltung. Wie in der Gattung Oper ("Pelléas et Mélisande"
1902, Prosadrama von Maurice Maeterlinck) steht auch hinsichtlich der Gattung
Lied (Klavierlied) an erster Stelle Claude Debussy, der in seinen "Proses
lyriques" (1893) eigene Prosatexte komponierte. Für die neuere Zeit
sei auf den für Hummel als "Schulhaupt" wichtigen Paul Hindemith
verwiesen, der 1933 - sicherlich mit starkem Bezug auf das politische Geschehen
- Klavierlieder auf Prosatexte von Matthias Claudius geschrieben hat. Später
wurden z.B. Prosatexte aus den "Illuminations" von Arthur Rimbaud
durch Benjamin Britten ("Les Illuminations" op. 18, 1939) und
Hans Werner Henze ("Being Beauteous", 1963) vertont, beide übrigens
mit Streicher - wenn auch nicht Quartettbegleitung. Der Prosatext führt dazu,
dass Hummel sich auch in seiner Musik ganz weitgehend von jeglicher periodischen
Metrik löst, obschon er an einzelnen Stellen des Van Gogh-Zyklus nicht auf
symmetrische Entsprechungen und Sequenzen verzichtet. Auch hier wird bisweilen
der Übergang zu bloßem Sprechen vollzogen: in Fragment III
sowie in den Fragmenten VII und VIII, wo das Sprechen quasi
als ein erlöschendes Echo der zuvor gesungenen Phrase erscheint.
Wolfgang Osthoff (in "Zu
den Liedern Bertold Hummels" Tutzing
1998) Ein
Hauptwerk Bertold Hummels sind die Acht Fragmente aus Briefen von Vincent van
Gogh, für Bariton und Streichquartett gesetzt 1984. Es sind atmosphärisch
dichte, dunkelgraue Lieder, über denen zuweilen die Sonne als dos Hoffnungssymbol
van Goghs aufgeht. Man hat von Bertold Hummels "Winterreise" gesprochen,
was gar nicht abwegig ist, denn auch hier ist alles nach Innen gekehrt, auch hier
ergibt sich das Bild einer totalen Vereinsamung mit Zügen einer Psychose,
auch hier werden beklemmende Klangvisionen heraufgeführt, zumal in dem mit
allen Nuancierungsmöglichkeiten verfahrenden Streichersatz. Karl Schumann 1990
Presse Mittelbayerische Zeitung Regensburg 31.1.1987 Mit den "Acht Fragmenten" ist Bertold Hummel in der Tat ein höchst eindrucksvolles Werk gelungen. Ungemein dicht im Atmosphärischen und textbezogen entfalten diese "dunkel grauen Lieder"- um Ludwig Hirsch zu zitieren - einen traurig-expressiven, fast somnambulen Reiz. Diese Lieder scheinen Bertold Hummels ganz nach innen gewandte "Winterreise" geworden zu sein, das Epigramm einer Psychose, voller versteckter Andeutungen und dunkler Ahnungen, aber auch immer voller Hoffnung. Die "Sonne" wird zum immerwieder beschworenen Hoffnungsträger. Die Musik ist hochexpressiv, nutzt die verschiedenen Spiel- und Stricharten der Streichinstrumente, ihre Nuancierungsmöglichkeiten, bis zur Neige aus, es entstehen teilweise beklemmende klangliche Visionen. Es ist eine gefährdete Musik von äußerst labilem Gleichgewicht. Auch subtile musikalische Andeutungen fehlen nicht. Mit nur einem Ton, der auf das Wort "Musik" folgt, wird Harmonie und Tonalität beschworen. Reinhard Söll
Neue Musik Zeitung 4/5 1986 Eine inbrünstig-durchglühte Vertonung, deren melodischer Duktus sich dem prosamäßig abgefaßten Text des Malers van Gogh anschmiegsam anvertraut und deren künstlerische Botschaft so recht dazu angetan war, einem aus persönlicher Anteilnahme und sachlichem Interesse herbeigeeilten Publikum als Credo vorgestellt zu werden.
Reutlinger General-Anzeiger 23. September 2005 Christoph Sökler hat - neben Gesängen von Barber und Respighi - von Bertold Hummel die "Acht Fragmente aus Briefen von Vincent van Gogh" in sein anspruchsvolles Programm in der Schlosskirche aufgenommen. Er singt diese Fragmente mit einer starken, auch innerlich starken und vom Timbre her feinkernig hellen Stimme völlig sicher innerhalb des mehr bedrängenden als stützenden Streichersatzes. Lotet heftige Intervallspannungen radikal aus. Erschüttert durch die Schärfe, die Dramatik, den Ernst seines Vortrags und durch die Wort-Nähe eines jeden Tons. Macht die Leidensgeschichte dieser Briefstellen in einem zerreißenden und dabei nie gewaltsamen Ausdruck spürbar und hat die Kraft und die Wärme, in dieser hochverdichteten Musik auch die malerische Sonne aufgehen und den Glanz der Stimme strömen zu lassen.
Erstausgabe: J. Schuberth & Co., Hamburg 1988 |