BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 70 Zurück zur Verzeichnisliste |
Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 70 (1978-1982) I. Adagio II. Allegro vivace III. Lamentation IV. Finale-Vivace Anfang
Uraufführung:
28. Januar 1985, Regensburg, Stadttheater Australische Erstaufführung:
20. Juli 1990, Brisbane, City Hall Besetzung des Solo-Schlagzeugs: Vibraphon, Marimbaphon, Kleine Trommel, 2 Bongos, 2 Tomtom, 5 Tempelblocks, Afrikanische Schlitztrommel, Ratsche, 5 Becken, Nietenbecken, chinesisches Becken, Gong, Tamtam, Triangel, 3 Almglocken Orchesterbesetzung: 3.3.3.3 - 4.3.3.1 - Pk.,Schlgz. <3 - 4>, Hrf., Streicher Aufführungsdauer: 30 Minuten Autograph Partitur: Autograph Klavierauszug: Verlag:
Schott Musik International (Leihmaterial) Koch/Schwann
3-6415-2 H1 Video: Hummelwerke auf youtube
Obwohl
sich das Schlagzeug in den letzten Jahrzehnten immer mehr als Soloinstrumentarium
emanzipieren konnte, sind die Chancen für einen Schlagzeugsolisten, in die
Abonnementsreihen der Konzertorchester Eingang zu finden, verhältnismäßig
gering. Die Ursache hierfür liegt meines Erachtens weniger am Mangel hochkarätiger
Schlagzeuger als am Fehlen einschlägiger Literatur. Mit meinem Schlagzeugkonzert
op. 70 unternehme ich den Versuch, dieser Situation Rechnung zu tragen. Im
1. Satz - einem Adagio mit Einleitungscharakter - sind Metall- und
Vibrafonklänge vorherrschend. Sie kommentieren eine ausladende, zweimal in
verschiedener Struktur aufscheinende Geste des Orchesters, durch welche der Satz
klar gegliedert wird. Bertold Hummel
Zu Bertold Hummels Konzert für Schlagzeug und Orchester op.
70 Der Zerfall der Einheit innerhalb der zeitgenössischen Musik
findet nicht zuletzt darin seinen Niederschlag, daß dem Musiker droht, auf der
Strecke zu bleiben. Die Einheit zwischen musikantischem Gestus und Gewicht der
Aussage scheint unterminiert. Die Debatte darüber, ob Neue Musik ins Abonnement
gehöre oder besser nach alternativen Räumen Ausschau hielte, spricht im
wesentlichen auch dieses Dilemma an. In der Zwischenzeit aber wachsen junge
Interpreten heran, die sich – zumindest teilweise - von ihren Komponistenkollegen
im Stich gelassen fühlen. Diese nämlich fordern vom Orchestermusiker ein
Höchstmaß an Technik, Flexibilität und Konzentration, dem Bedürfnis nach umfassender
Präsentation wird hingegen weit spärlicher nachgegeben, was vor allem für die
von der Tradition stiefmütterlich behandelten Instrumente zutrifft. Das
Schlagzeug ist eines davon. Zwar wurde hierfür in solistischer Behandlung (oder
auch als Schlagzeug-Gruppenkomposition) seit Edgar Varese oder Karlheinz
Stockhausens „Zyklus" Gewichtiges verfaßt, kaum eine Arbeit davon hat aber
die Chance, den „normalen Konzertabonnenten" zu erreichen. Freilich wiesen
Instrumentalisten wie Komponisten immer wieder auf diesen Mißstand hin, doch
ihnen wurde das ästhetische Verdikt einer unzeitgemäßen „Musikantenunterhaltung"
zuteil. Das Manko aber blieb, in Deutschland entstand hieraus eine
kompositorische Richtung, die sich insbesondere am Schaffen Paul Hindemiths
orientierte. Heute, da die ehedem im Brustton unwidersprechbarer Überzeugung
ausgesprochenen Urteile ins Wanken gerieten und von den Jüngeren gar verlacht
werden, findet diese Richtung wieder weit entschiedeneres Gehör. Ihr gehört
auch Bertold Hummel an, der über seinen Lehrer Harald Genzmer gewissermaßen als
„Enkel" Hindemiths angesehen werden kann. Seine langjährige Unterrichtstätigkeit an der Würzburger
Hochschule für Musik sorgte für einen engen Kontakt zu Siegfried Fink und
seiner Schlagzeug-Klasse. Dieser Erfahrungsaustausch sowie das dortige kaum
stillbare Bedürfnis nach neuer Schlagzeugmusik führte zu einer Reihe von
Kompositionen, deren zentralstes Werk das 1978 begonnene und schließlich 1982
vollendete Konzert für Schlagzeug und Orchester sein dürfte. Bertold Hummel
wollte hiermit die Chancen für eine Integration des Diese Aspekte bestimmten die kompositorische Anlage. Das
Stück ist viersätzig und versucht mit dem demonstrativen Gestus eines konzertanten
Werks Klangbereiche dieses außerordentlich vielseitigen Instrumentariums (das
Konzert verlangt für das Solo-Instrument Vibraphon, Marimbaphon, Trommeln,
Bongos, Tomtoms, Tempelblocks, Schlitztrommel, Becken, Gong, Tamtam, Triangel
und Almglocken) auszuloten. So sorgen etwa metallische Klänge (Tamtam und Becken)
und Klang-Gesten im Vibraphon im langsamen ersten Satz für eine meditative
Grundhaltung, die im dritten Satz „Lamentation" ihre Entsprechung findet.
Dazu kontrastieren die auf impulsiven Effekt zielenden Sätze zwei und vier mit
der Betonung auf Motorik und burleskem Spiel, wobei im zweiten Satz Raum für
eine groß angelegte Schlagzeug-Kadenz geschaffen ist. Die musikalische Sprache
bewegt sich hierbei in einem Raum erweiterter Tonalität mit Vorliebe für
Quintschichtungen und chromatische Unscharfen. Hiervon ist auch die plastisch
ausgeformte, gestenreiche Thematik geprägt, was dem Konzert über die Sätze
hinweg inneren Zusammenhang gewährleistet. Im Zentrum aber steht der Reiz am
Spiel, die virtuose sowie suggestive Behandlung des Schlagzeugs, dem auch der
Orchestersatz unterstreichend oder kontrapunktierend untergeordnet ist. In diesem Sinne versteht sich Bertold Hummels Schlagzeugkonzert
als Aufbauarbeit einer erst noch umfänglich zuerarbeitenden Literatur. Reinhard Schulz (in: Münchner Philharmoniker: Programmheft zum 7. Abonnementkonzert Mai 1989)
Presse Berliner Morgenpost 24.11.2000 Welch ein melodisches Feuerwerk auf Marimba- und Vibraphonen möglich ist, demonstrierte Sadlo als Solist des Rundfunk-Sinfonieorchesters im Konzerthaus. Bertold Hummels virtuoses "Konzert für Schlagzeug und Orchester" ist ein Paradestück für den "Herrn der Klöppel". Mit sensiblen Antennen erkundet er im Adagio die Klangwelten verschiedener Becken, die er mit leisen Tremoli zum Schwingen bringt. Flink wie ein Pingpongball hüpfen seine Schlägel im rasanten Tempo über das Marimbaphon.
Die Welt 12.2000 Peter Sadlo erspielte sich als Solist des Rundfunk-Sinfonieorchesters im Konzerthaus den großen Trampelerfolg. Sadlo macht mit Becken und Bongo, Gong und Glocke, Xylophon oder Vibraphon wirklich Musik. Er demonstriert nicht nur, daß die Zeiten vorbei sind, in denen das Schlagzeug lediglich zur lautstarken Untermalung diente. Er hat in Bertold Hummels "Konzert für Schlagzeug und Orchester" ein Werk unter den kräftigen, flinken Händen, das den Einsatz des Interpreten lohnt. Hummel beginnt mit Bruckner-Tönen. In einem Adagio dominiert Posaunenpathos. Das Schlagwerk setzt dem ein lang nachschwingendes Echo und das dumpfe Dröhnen der Großen Trommel entgegen. In den übrigen drei Sätzen übernimmt es oft die Führung. Das Rasseln und Klirren, hölzerne Klopfen und trockene Knüppeln, das Aufzischen der Beckenschläge entwickelt sich zur farbigen Klangrede. Mit dem Trommelwirbel eines Trauermarsches, mit Glockensang und Glockenklang passiert die Musik ein Großes Tor von Kiew. Bartók-Motivik deutet sich an. Aber Hummels Opus bleibt dabei originär und überdies leicht faßlich.
Westfälische Rundschau Dortmund 1.11.1995 Das Publikum spendete donnernden Applaus. Es staunte, war hingerissen von der Brillanz dieser Musik ...
Norddeutsche Neueste Nachrichten 14.4.2003 Hummel hat ein echtes Konzert komponiert, in dem das Schlagzeug an die Stelle des klassischen Soloinstruments tritt, im wechselvollen Dialog mit dem Orchester, mit eigenen ausgeführten Kadenzen. Das gibt es selten und die junge Schlagzeugerin Jasmin Kolberg (29) nutzte den angebotenen Raum mit einer intensiven Musikalität. Mit ihrer virtuosen und sensitiven Schlagtechnik entgegnete sie den sinfonischen, teils drohenden, teils klagenden Gesten des Orchesters, gab ihnen mit den Kadenzen überraschende Farben und rhythmische Figuren gleichsam als Anregungen. Dabei gelang ihr sogar das Ausdruckskunststück, nur mit Schlaginstrumenten einen "Klagegesang" zu gestalten, der sich dann in einem wirbelnden Vivace auflöste. Heftiger Beifall mit Fußgetrappel war der Lohn.
Schwarzwälder Bote 10.2004 Die Komposition selbst ist ein Meisterwerk an musikalischen Ideen und ihrer Verwirklichung mit Schlaginstrumenten.
Mindener Tagblatt 5.11.2002 Hummel
gibt den Musikern das, was sie wünschen. Den Streichern Gelegenheiten, satt
im Klang zu baden, dem Blech die Chance, sich markant in Szene zu setzen. Und
die Musiker der Nordwestdeutschen Philharmonie ließen das Angebot nicht
aus, Hummels sinfonische Entwicklungen mit hoher Intensität nachzuzeichnen.
Auch wenn sie akustisch an vielen Stellen gegenüber der Dominanz des Schlagzeugs
zurücktreten mussten, erbrachten sie unter Toshiyuki Kamiokas punktgenauer
Leitung einen enormen Beitrag zur Popularisierung dieser Komposition.
Das Orchester 5/1989 Der eindringlichste Satz ist die Lamentation, ein "In-memoriam"-Stück für Dimitri Schostakowitsch, dessen musikalische Tonbuchstaben D (E)S C H einer Art Trauermarsch zugrunde liegen ...
Badische Neueste Nachrichten 11.10.2004 Die Liebe zum Monumentalen spricht auch aus Hummels Konzert für Schlagzeug und Orchester, obwohl hier auch über lange Strecken ganz andere, meditative, fast lyrische Töne zu hören waren. Faszinierend war nicht nur das lange Solo am Beginn des zweiten Satzes, das nicht nur wegen seiner hohen Anforderungen in das technische Können des Solisten Bewunderung hervorrief, sondern mit seiner einfallsreichen Verflechtung rhythmischer und melodiöser Strukturen höchst interessant war. Das gilt auch für den eher meditativ einsetzenden, „Lamentation" überschriebenen dritten Satz, den das Schlagzeug ebenfalls ohne Orchesterbegleitung beginnt. Zunächst fast unmerklich wandelt sich diese meditative Stimmung in immer bedrohlicher wirkende, düstere Dramatik, die, sich schließlich in leiser Verzweiflung auflöst. Mit einem lebhaften Finale endet das Konzert, für das Peter Sadlo weit mehr als höflichen Beifall erntete.
Rhein-Neckar-Zeitung 3.4.1998 Ein konzertierender Wettstreit zwischen Solist und Orchester, ganz nach dem Grundprinzip eines Solokonzertes ... Das Publikum war hochbegeistert von dem Werk ...
Sächsische Zeitung, Dresden 1996 Mit großem Geschick und Effekt setzte Hummel halb klanglich diffizile, halb machtvoll pathetische, an Rolf Liebermanns Konzert für Jazzband und Orchester erinnernde Mittel ein, die dem Schlagzeug-Solisten ermöglichten, sich effektvoll in Szene zu setzen.
CD-Tipp Bayerischer Rundfunk: Sicher
hätte J.S. Bach seine Freude gehabt an diesem Konzert für Schlagzeug
und Orchester von Bertold Hummel, dessen zweiter Satz auf höchst originelle
Weise mit dem berühmten B-A-C-H-Motiv spielt. Bach selbst hat ja sogar in
seinen Kirchenkantaten stark rhythmusorientiert komponiert, was ihm von Seiten
frommer Christenmenschen zu Lebzeiten harsche Kritik einbrachte ("Tänzerischer
Tand"). Bertold Hummel schlägt in seinem Konzert für Schlagzeug
und Orchester den Bogen von B-A-C-H bis ins zwanzigste Jahrhundert mit
der Tonfolge D-S-C-H für Dimitri Schostakowitsch. Eine musikgeschichtliche
Hommage von großer musikalischer Ausdruckskraft, von Ernst und Tiefe. Kongenial
interpretiert wird dieses 1985 uraufgeführte Werk von Peter Sadlo auf seiner
neuen CD "Percussion in Concert". Sadlo ist der souveräne Spielmacher,
wenn er zusammen mit den Bamberger Symphonikern unter Wolfgang Rögner alles
was das Schlagzeug zu bieten hat in Aktion setzt. Der Ausdruck "virtuos"
ist hier nur ein müdes Hilfswort. Man muss unwillkürlich an jene indische
Gottheiten denken, denen mehr als nur zwei Arme zur Verfügung stehen, wenn
man Peter Sadlo zuhört, wie er mit Holz und Fell seine Schlagwerkbatterie
einschließlich Vibraphon und Marimba zum Tönen bringt. Peter Sadlo
bietet Percussion, die sich effektvoller, spannender und klanglich ausgereifter
nicht denken lässt, die aber dennoch beim reinen Effekt nicht stehen bleibt.
Bertold Hummels Konzert für Schlagzeug und Orchester ist das zentrale Werk
auf dieser CD.
Mittelbayerische Zeitung, 31.1.1985 Hummel
wollte, wie er schreibt versuchen, qualifizierten Schlagzeugsolisten, deren es
mittlerweile eine beachtliche Zahl gibt, die Möglichkeit zum Konzertieren
mit dem Orchester zu schaffen, die andere Instrumentalsolisten in großer
Zahl haben. Das ist gelungen, aber er braucht von den vielen guten Schlagzeugsolisten
die besten, die ihm das spielen können. Jeff Beer gehört dazu. Daß
der auch als Avantgardekomponist internationalen Ruf genießende Perkussionist
Schüler von Bertold Hummel war, ist sicher der Uraufführung dienlich
gewesen. Hummel differenziert in seinem Werk in der Verbindung zum Orchester die
Schlaginstrumente sehr bewußt nach solchen mit fixierten Tonhöhen wie
die Stabinstrumente, Vibraphon und Marimbaphon, und anderen mit nicht fixierbarer
Tonhöhe wie Becken, Tomtoms, Triangel, Gong u.a., dabei besonders auch die
Holzblöcke in verschiedenen Größen, die nach heller und dunklerer
Klangfarbe gestuft sind. Die stimmbaren Pauken und die Große Trommel läßt
er dem Orchester. Dabei ist in diesem Konzert die Meinung, daß "Concerto"
von "concertare = streiten" komme, endgültig ad absurdum geführt,
denn hier trifft nur die Ableitung von "conserere - franz. concerter - zusammenfügen"
zu: wenn es in einem Konzert von Solist und Ensemble eine Einheit gibt, dann hier.
Dieses Ineins und Auseinanderheraus, das ist das Geniale an diesem Konzert. Hummel
nutzt frei den tonalen Raum und operiert mit kompositorischen Mitteln, wie sie
die sinfonische Tradition der Gegenwart zur eigenen Gestaltung übergeben
hat. Das hebt sein Werk über pures avantgardistisches Getön weit hinaus
und macht es rezipierbar. Die Korrespondenz von purem indifferentem Klang wie
von den Gongs und Becken am Anfang zu irisierenden Orchesterclustem, die wechselt
mit den virtuos gehandhabten Passagen der Stabinstrumente mit lapidaren unisono-Themen
der Streicher und Bläser, die in Brucknerscher Dimension aus der unüberhörbaren
spielmusikalischen Diktion seines Lehrers Genzmer und dessen Lehrers Hindemith
herauswachsen und in sie zurückkehren. * Hummel nahm nach der Uraufführung noch einige Kürzungen in der Partitur vor. Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe 4.2.2013 Das in den Jahren 1978 bis 1982 entstandene Schlagzeugkonzert schrieb Hummel nach eigenem Bekunden in erster Linie als Repertoire-Ergänzung. Mit seinem Opus 70 gelang ihm jedoch darüber hinaus ein origineller Wurf, der in konventioneller viersätziger Abfolge und Klangreminiszenzen etwa an Webern und Schostakowitsch reizvolle und mitreißende Musik für ein ungewöhnliches Instrumentarium bereithält: Der Solist muss sich zwischen Vibrafon, Marimbafon, kleinen Trommeln, Bongos, Tomtoms, Tempelblocks, Becken, Glocken, Gong und Triangel zurechtfinden und mit Frank Thomé war ein Musiker ausgewählt, dem dies traumwandterisch sicher gelang. Den Solistenpart formulierte Hummel - gerade im raschen zweiten Satz - als hochvirtuosen Dialog mit dem Orchester, ein Anspruch, dem die Musiker in fesselnder Weise gerecht wurden. Claus-Dieter Hanauer
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