BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 70


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Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 70 (1978-1982)

I. Adagio

II. Allegro vivace

III. Lamentation

IV. Finale-Vivace Anfang

 

Uraufführung: 28. Januar 1985, Regensburg, Stadttheater
Jeff Beer / Regensburger Philharmoniker / Thilo Fuchs


Amerikanische Erstaufführung: 18. Januar 1992, Corpus Christi, Bayfront Plaza Auditorium

Norman Weinberg / Corpus Christi Symphony Orchestra / Cornelius Eberhardt

Afrikanische Erstaufführung: 30. Juni 2000, Cairo, Cairo Opera House

Nesma Abdel Aziz / Cairo Opera Orchestra / Jacek Kraszewski

Asiatische Erstaufführung: 21. Januar 2005, Aichi-ken Geijutsu - Aichi - Japan
Peter Sadlo / Nagoya Philharmonic Orchestra / Ryusuke Numajiri

Australische Erstaufführung: 20. Juli 1990, Brisbane, City Hall
Mark Lutz / Queensland Symphony Orchestra / Gerald Krug

Sämtliche Auffführungen:

Besetzung des Solo-Schlagzeugs: Vibraphon, Marimbaphon, Kleine Trommel, 2 Bongos, 2 Tomtom, 5 Tempelblocks, Afrikanische Schlitztrommel, Ratsche, 5 Becken, Nietenbecken, chinesisches Becken, Gong, Tamtam, Triangel, 3 Almglocken

Orchesterbesetzung: 3.3.3.3 - 4.3.3.1 - Pk.,Schlgz. <3 - 4>, Hrf., Streicher

Aufführungsdauer: 30 Minuten

Autograph Partitur:
Titel: Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 70
Umfang: 112 Seiten (vor Kürzung 130 Seiten)
Datierung: I. -  II. 
23. August 81 / III. 1.10.81 IV. / Komposition beendet am 11.Okt.81 Dorfgastein / Instrumentation beendet am 11. März 82 in Würzburg
Aufbewahrungsort: Bayerische Staatsbibliothek München

Autograph Klavierauszug:
Titel:
Umfang: 70 Seiten (nach Kürzung 62 Seiten)
Datierung: X. 84

Aufbewahrungsort: Bayerische Staatsbibliothek München

Verlag: Schott Musik International (Leihmaterial)
Klavierauszug käuflich ED 7830 / ISMN: 979-0-001-08122-1

Koch/Schwann 3-6415-2 H1

Das Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 70 hatte am 16.1. 2003 in Turin mit
Peter Sadlo und dem Orchestra Sinfonica Nazionale RAI unter John Neschling seine 100. Aufführung!

Video: Hummelwerke auf youtube



Obwohl sich das Schlagzeug in den letzten Jahrzehnten immer mehr als Soloinstrumentarium emanzipieren konnte, sind die Chancen für einen Schlagzeugsolisten, in die Abonnementsreihen der Konzertorchester Eingang zu finden, verhältnismäßig gering. Die Ursache hierfür liegt meines Erachtens weniger am Mangel hochkarätiger Schlagzeuger als am Fehlen einschlägiger Literatur. Mit meinem Schlagzeugkonzert op. 70 unternehme ich den Versuch, dieser Situation Rechnung zu tragen.
In 4 kontrastierenden Sätzen sind dem Solopart Metall-, Fell- und Holzklänge sowie die tonhöhenfixierenden Klänge von Marimba und Vibrafon in unterschiedlichen Bewegungsabläufen vom reinen, teils meditativen Klangspiel bis zur virtuosen Figuration zugeordnet.
Dem normal besetzten Orchester (3faches Holz) entstehen nicht nur Begleitfunktionen, es ist vielmehr eng verzahnt mit den vom Schlagzeug initiierten Klang- und Bewegungsvorhaben, erhält aber auch Selbständigkeit bei größeren sinfonischen Entwicklungen.

Im 1. Satz - einem Adagio mit Einleitungscharakter - sind Metall- und Vibrafonklänge vorherrschend. Sie kommentieren eine ausladende, zweimal in verschiedener Struktur aufscheinende Geste des Orchesters, durch welche der Satz klar gegliedert wird.
Das Allegro vivace ist ein burleskes Spiel zwischen Solo und Orchester von drängender Motorik. Es gibt gegen Ende dem Schlagzeug Raum für eine ausführliche Kadenz, eine knappe Coda beschließt den Satz.
Die Lamentation - eine Hommage à Dimitrij Schostakowitsch - trägt meditative Züge. Aus einer Solo-Kadenz entwickeln sich unterschiedliche Episoden. Eine großangeleqte sinfonische Steigerung führt zu einem Höhepunkt, der im sogenannten goldenen Schnitt situiert ist. Ein Abgesang führt zurück zur Anfangsstimmung.
Im Finale steht das virtuose Element im Vordergrund, das hauptsächlich dem Marimbafon zugeordnet ist. Quasi improvisatorische Einschübe unterbrechen den musikantisch vorwärtsdrängenden Satz.

Bertold Hummel

 

Analyse

 

Zu Bertold Hummels Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 70

Der Zerfall der Einheit innerhalb der zeitgenössischen Musik findet nicht zuletzt darin seinen Niederschlag, daß dem Musiker droht, auf der Strecke zu bleiben. Die Einheit zwischen musikantischem Gestus und Gewicht der Aussage scheint unterminiert. Die Debatte darüber, ob Neue Musik ins Abonnement gehöre oder besser nach alternativen Räumen Ausschau hielte, spricht im wesentlichen auch dieses Dilemma an. In der Zwischenzeit aber wachsen junge Interpreten heran, die sich – zumindest teilweise - von ihren Komponistenkollegen im Stich gelassen fühlen. Diese nämlich fordern vom Orchestermusiker ein Höchstmaß an Technik, Flexibilität und Konzentration, dem Bedürfnis nach umfassender Präsentation wird hingegen weit spärlicher nachgegeben, was vor allem für die von der Tradition stiefmütterlich behandelten Instrumente zutrifft. Das Schlagzeug ist eines davon. Zwar wurde hierfür in solistischer Behandlung (oder auch als Schlagzeug-Gruppenkomposition) seit Edgar Varese oder Karlheinz Stockhausens „Zyklus" Gewichtiges verfaßt, kaum eine Arbeit davon hat aber die Chance, den „normalen Konzertabonnenten" zu erreichen. Freilich wiesen Instrumentalisten wie Komponisten immer wieder auf diesen Mißstand hin, doch ihnen wurde das ästhetische Verdikt einer unzeitgemäßen „Musikantenunterhaltung" zuteil. Das Manko aber blieb, in Deutschland entstand hieraus eine kompositorische Richtung, die sich insbesondere am Schaffen Paul Hindemiths orientierte. Heute, da die ehedem im Brustton unwidersprechbarer Überzeugung ausgesprochenen Urteile ins Wanken gerieten und von den Jüngeren gar verlacht werden, findet diese Richtung wieder weit entschiedeneres Gehör. Ihr gehört auch Bertold Hummel an, der über seinen Lehrer Harald Genzmer gewissermaßen als „Enkel" Hindemiths angesehen werden kann.

Seine langjährige Unterrichtstätigkeit an der Würzburger Hochschule für Musik sorgte für einen engen Kontakt zu Siegfried Fink und seiner Schlagzeug-Klasse. Dieser Erfahrungsaustausch sowie das dortige kaum stillbare Bedürfnis nach neuer Schlagzeugmusik führte zu einer Reihe von Kompositionen, deren zentralstes Werk das 1978 begonnene und schließlich 1982 vollendete Konzert für Schlagzeug und Orchester sein dürfte. Bertold Hummel wollte hiermit die Chancen für eine Integration des Schlagzeugspiels im Konzertbetrieb erweitern; der Erfolg von bislang weit über zwanzig Aufführungen auch über die Grenzen Deutschlands hinweg gab ihm Recht.

Diese Aspekte bestimmten die kompositorische Anlage. Das Stück ist viersätzig und versucht mit dem demonstrativen Gestus eines konzertanten Werks Klangbereiche dieses außerordentlich vielseitigen Instrumentariums (das Konzert verlangt für das Solo-Instrument Vibraphon, Marimbaphon, Trommeln, Bongos, Tomtoms, Tempelblocks, Schlitztrommel, Becken, Gong, Tamtam, Triangel und Almglocken) auszuloten. So sorgen etwa metallische Klänge (Tamtam und Becken) und Klang-Gesten im Vibraphon im langsamen ersten Satz für eine meditative Grundhaltung, die im dritten Satz „Lamentation" ihre Entsprechung findet. Dazu kontrastieren die auf impulsiven Effekt zielenden Sätze zwei und vier mit der Betonung auf Motorik und burleskem Spiel, wobei im zweiten Satz Raum für eine groß angelegte Schlagzeug-Kadenz geschaffen ist. Die musikalische Sprache bewegt sich hierbei in einem Raum erweiterter Tonalität mit Vorliebe für Quintschichtungen und chromatische Unscharfen. Hiervon ist auch die plastisch ausgeformte, gestenreiche Thematik geprägt, was dem Konzert über die Sätze hinweg inneren Zusammenhang gewährleistet. Im Zentrum aber steht der Reiz am Spiel, die virtuose sowie suggestive Behandlung des Schlagzeugs, dem auch der Orchestersatz unterstreichend oder kontrapunktierend untergeordnet ist.

In diesem Sinne versteht sich Bertold Hummels Schlagzeugkonzert als Aufbauarbeit einer erst noch umfänglich zuerarbeitenden Literatur.

Reinhard Schulz  (in: Münchner Philharmoniker: Programmheft  zum 7. Abonnementkonzert Mai 1989)



Presse

Berliner Morgenpost 24.11.2000

Welch ein melodisches Feuerwerk auf Marimba- und Vibraphonen möglich ist, demonstrierte Sadlo als Solist des Rundfunk-Sinfonieorchesters im Konzerthaus. Bertold Hummels virtuoses "Konzert für Schlagzeug und Orchester" ist ein Paradestück für den "Herrn der Klöppel". Mit sensiblen Antennen erkundet er im Adagio die Klangwelten verschiedener Becken, die er mit leisen Tremoli zum Schwingen bringt. Flink wie ein Pingpongball hüpfen seine Schlägel im rasanten Tempo über das Marimbaphon.

 

Die Welt 12.2000

Peter Sadlo erspielte sich als Solist des Rundfunk-Sinfonieorchesters im Konzerthaus den großen Trampelerfolg. Sadlo macht mit Becken und Bongo, Gong und Glocke, Xylophon oder Vibraphon wirklich Musik. Er demonstriert nicht nur, daß die Zeiten vorbei sind, in denen das Schlagzeug lediglich zur lautstarken Untermalung diente. Er hat in Bertold Hummels "Konzert für Schlagzeug und Orchester" ein Werk unter den kräftigen, flinken Händen, das den Einsatz des Interpreten lohnt. Hummel beginnt mit Bruckner-Tönen. In einem Adagio dominiert Posaunenpathos. Das Schlagwerk setzt dem ein lang nachschwingendes Echo und das dumpfe Dröhnen der Großen Trommel entgegen. In den übrigen drei Sätzen übernimmt es oft die Führung. Das Rasseln und Klirren, hölzerne Klopfen und trockene Knüppeln, das Aufzischen der Beckenschläge entwickelt sich zur farbigen Klangrede. Mit dem Trommelwirbel eines Trauermarsches, mit Glockensang und Glockenklang passiert die Musik ein Großes Tor von Kiew. Bartók-Motivik deutet sich an. Aber Hummels Opus bleibt dabei originär und überdies leicht faßlich.

 

Westfälische Rundschau Dortmund 1.11.1995

Das Publikum spendete donnernden Applaus. Es staunte, war hingerissen von der Brillanz dieser Musik ...

 

Norddeutsche Neueste Nachrichten 14.4.2003

Hummel hat ein echtes Konzert komponiert, in dem das Schlagzeug an die Stelle des klassischen Soloinstruments tritt, im wechselvollen Dialog mit dem Orchester, mit eigenen ausgeführten Kadenzen. Das gibt es selten und die junge Schlagzeugerin Jasmin Kolberg (29) nutzte den angebotenen Raum mit einer intensiven Musikalität. Mit ihrer virtuosen und sensitiven Schlagtechnik entgegnete sie den sinfonischen, teils drohenden, teils klagenden Gesten des Orchesters, gab ihnen mit den Kadenzen überraschende Farben und rhythmische Figuren gleichsam als Anregungen. Dabei gelang ihr sogar das Ausdruckskunststück, nur mit Schlaginstrumenten einen "Klagegesang" zu gestalten, der sich dann in einem wirbelnden Vivace auflöste. Heftiger Beifall mit Fußgetrappel war der Lohn.

 

Schwarzwälder Bote 10.2004

Die Komposition selbst ist ein Meisterwerk an musikalischen Ideen und ihrer Verwirklichung mit Schlaginstrumenten.

 

Mindener Tagblatt 5.11.2002

Hummel gibt den Musikern das, was sie wünschen. Den Streichern Gelegenheiten, satt im Klang zu baden, dem Blech die Chance, sich markant in Szene zu setzen. Und die Musiker der Nordwestdeutschen Philharmonie ließen das Angebot nicht aus, Hummels sinfonische Entwicklungen mit hoher Intensität nachzuzeichnen. Auch wenn sie akustisch an vielen Stellen gegenüber der Dominanz des Schlagzeugs zurücktreten mussten, erbrachten sie unter Toshiyuki Kamiokas punktgenauer Leitung einen enormen Beitrag zur Popularisierung dieser Komposition.

 

Das Orchester 5/1989

Der eindringlichste Satz ist die Lamentation, ein "In-memoriam"-Stück für Dimitri Schostakowitsch, dessen musikalische Tonbuchstaben D (E)S C H einer Art Trauermarsch zugrunde liegen ...

 

Badische Neueste Nachrichten 11.10.2004

Die Liebe zum Monumentalen spricht auch aus Hummels Konzert für Schlagzeug und Orchester, obwohl hier auch über lange Strecken ganz andere, meditative, fast lyrische Töne zu hören waren. Faszinierend war nicht nur das lange Solo am Beginn des zweiten Satzes, das nicht nur wegen seiner hohen Anforderungen in das technische Können des Solisten Bewunderung hervorrief, sondern mit seiner einfallsreichen Verflechtung rhythmischer und melodiöser Strukturen höchst interessant war. Das gilt auch für den eher meditativ einsetzenden, „Lamentation" überschriebenen dritten Satz, den das Schlagzeug ebenfalls ohne Orchesterbegleitung beginnt. Zunächst fast unmerklich wandelt sich diese meditative Stimmung in immer bedrohlicher wirkende, düstere Dramatik, die, sich schließlich in leiser Verzweiflung auflöst. Mit einem lebhaften Finale endet das Konzert, für das Peter Sadlo weit mehr als höflichen Beifall erntete.

 

Rhein-Neckar-Zeitung 3.4.1998

Ein konzertierender Wettstreit zwischen Solist und Orchester, ganz nach dem Grundprinzip eines Solokonzertes ...

Das Publikum war hochbegeistert von dem Werk ...

 

Sächsische Zeitung, Dresden 1996

Mit großem Geschick und Effekt setzte Hummel halb klanglich diffizile, halb machtvoll pathetische, an Rolf Liebermanns Konzert für Jazzband und Orchester erinnernde Mittel ein, die dem Schlagzeug-Solisten ermöglichten, sich effektvoll in Szene zu setzen.

 

CD-Tipp Bayerischer Rundfunk:

Sicher hätte J.S. Bach seine Freude gehabt an diesem Konzert für Schlagzeug und Orchester von Bertold Hummel, dessen zweiter Satz auf höchst originelle Weise mit dem berühmten B-A-C-H-Motiv spielt. Bach selbst hat ja sogar in seinen Kirchenkantaten stark rhythmusorientiert komponiert, was ihm von Seiten frommer Christenmenschen zu Lebzeiten harsche Kritik einbrachte ("Tänzerischer Tand"). Bertold Hummel schlägt in seinem Konzert für Schlagzeug und Orchester den Bogen von B-A-C-H bis ins zwanzigste Jahrhundert mit der Tonfolge D-S-C-H für Dimitri Schostakowitsch. Eine musikgeschichtliche Hommage von großer musikalischer Ausdruckskraft, von Ernst und Tiefe. Kongenial interpretiert wird dieses 1985 uraufgeführte Werk von Peter Sadlo auf seiner neuen CD "Percussion in Concert". Sadlo ist der souveräne Spielmacher, wenn er zusammen mit den Bamberger Symphonikern unter Wolfgang Rögner alles was das Schlagzeug zu bieten hat in Aktion setzt. Der Ausdruck "virtuos" ist hier nur ein müdes Hilfswort. Man muss unwillkürlich an jene indische Gottheiten denken, denen mehr als nur zwei Arme zur Verfügung stehen, wenn man Peter Sadlo zuhört, wie er mit Holz und Fell seine Schlagwerkbatterie einschließlich Vibraphon und Marimba zum Tönen bringt. Peter Sadlo bietet Percussion, die sich effektvoller, spannender und klanglich ausgereifter nicht denken lässt, die aber dennoch beim reinen Effekt nicht stehen bleibt. Bertold Hummels Konzert für Schlagzeug und Orchester ist das zentrale Werk auf dieser CD.
Jürgen Seeger

 

Mittelbayerische Zeitung, 31.1.1985

Hummel wollte, wie er schreibt versuchen, qualifizierten Schlagzeugsolisten, deren es mittlerweile eine beachtliche Zahl gibt, die Möglichkeit zum Konzertieren mit dem Orchester zu schaffen, die andere Instrumentalsolisten in großer Zahl haben. Das ist gelungen, aber er braucht von den vielen guten Schlagzeugsolisten die besten, die ihm das spielen können. Jeff Beer gehört dazu. Daß der auch als Avantgardekomponist internationalen Ruf genießende Perkussionist Schüler von Bertold Hummel war, ist sicher der Uraufführung dienlich gewesen. Hummel differenziert in seinem Werk in der Verbindung zum Orchester die Schlaginstrumente sehr bewußt nach solchen mit fixierten Tonhöhen wie die Stabinstrumente, Vibraphon und Marimbaphon, und anderen mit nicht fixierbarer Tonhöhe wie Becken, Tomtoms, Triangel, Gong u.a., dabei besonders auch die Holzblöcke in verschiedenen Größen, die nach heller und dunklerer Klangfarbe gestuft sind. Die stimmbaren Pauken und die Große Trommel läßt er dem Orchester. Dabei ist in diesem Konzert die Meinung, daß "Concerto" von "concertare = streiten" komme, endgültig ad absurdum geführt, denn hier trifft nur die Ableitung von "conserere - franz. concerter - zusammenfügen" zu: wenn es in einem Konzert von Solist und Ensemble eine Einheit gibt, dann hier. Dieses Ineins und Auseinanderheraus, das ist das Geniale an diesem Konzert. Hummel nutzt frei den tonalen Raum und operiert mit kompositorischen Mitteln, wie sie die sinfonische Tradition der Gegenwart zur eigenen Gestaltung übergeben hat. Das hebt sein Werk über pures avantgardistisches Getön weit hinaus und macht es rezipierbar. Die Korrespondenz von purem indifferentem Klang wie von den Gongs und Becken am Anfang zu irisierenden Orchesterclustem, die wechselt mit den virtuos gehandhabten Passagen der Stabinstrumente mit lapidaren unisono-Themen der Streicher und Bläser, die in Brucknerscher Dimension aus der unüberhörbaren spielmusikalischen Diktion seines Lehrers Genzmer und dessen Lehrers Hindemith herauswachsen und in sie zurückkehren.
Weitgehend der Virtuosität des Solisten trägt der zweite Satz Rechnung, dem auch mehr die auf den Trommeln plazierte Motorik eignet, schließlich die große "Kadenz", ein umfangreiches Schlagzeugsolo also enthält, das brillant sich entwickelt und nach einer meditativen Phase in eine rasante Koda einmündet. Die solistische Idee beginnt überleitend gewissermaßen den dritten Satz, mit "Lamentation" überschrieben, das dann sehr variabel in der Stimmung sich gibt und zu einer pastosen Steigerung kommt. Dabei werden die markanten Streicher von markigem, fast choralartig eingesetztem schweren Blech überhöht, um nach fast abruptem Schluß in einem schier Im-Nichts-Verklingen die trauermarschartigen Trommelpassagen in ihrem Wechsel mit den weiten Melodiebögen des Orchesters im Gedächtnis nachklingen zu lassen.
Es folgt ein vierter Satz, der viel von den Elementen der vorausgehenden Sätze aufnimmt, besonders vom ersten. Das ist an sich eine formal gut angelegte Sache, sie birgt aber auch ihre Probleme in sich: Nach der Fulminanz des 2. Satzes und der hohen Dichte des dritten hätte vielleicht eine ganz kurze Gesamtkoda, wenn es so etwas gibt, das Werk wirkungsvoller abgeschlossen als dieser relativ ausgedehnte vierte Satz.* Der spielt zwar mit großer Virtuosität besonders das Vibraphon in den Vordergrund und nimmt so fast rondohaften Charakter an, aber im ganzen wirkt er zu lange. Nach den intensiven drei vorausgehenden Sätzen sind die Klänge doch teilweise überstrapaziert, sie nutzen sich ab. Irgendwo zeigt ein solcher Eindruck aber auch, daß offenbar doch die so konzertanten Möglichkeiten der Schlaginstrumente begrenzt sind, da formale und inhaltliche Faszination durch das Zusammen von Melodie, Form um Rhythmus besser zu gestalten ist als durch zu viel "Nur"-Klang. Dies wohlweislich auf ein überzeugendes Maß zu beschränken war Hummel erfolgreich bemüht. Das Werk hinterließ großen Eindruck und dürfte den Weg durch die Konzertsäle machen.
Glücklich jeder Dirigent, der einen Paganini der Perkussion wie Jeff Beer zum Solisten hat. Tilo Fuchs arbeitet mit ihm und mit einem bestens präparierten und mit höchster Konzentration differenziert spielenden Orchester wie aus einem Guß zusammenarbeitete. Dirigent und Orchester haben das Uraufführungsvertrauen gerechtfertigt
.
Franz A. Stein

* Hummel nahm nach der Uraufführung noch einige Kürzungen in der Partitur vor.


Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe 4.2.2013

Das in den Jahren 1978 bis 1982 ent­standene Schlagzeugkonzert schrieb Hummel nach eigenem Bekunden in ers­ter Linie als Repertoire-Ergänzung. Mit seinem Opus 70 gelang ihm jedoch darü­ber hinaus ein origineller Wurf, der in konventioneller viersätziger Abfolge und Klangreminiszenzen etwa an We­bern und Schostakowitsch reizvolle und mitreißende Musik für ein ungewöhnli­ches Instrumentarium bereithält: Der Solist muss sich zwischen Vibrafon, Marimbafon, kleinen Trommeln, Bongos, Tomtoms, Tempelblocks, Becken, Glo­cken, Gong und Triangel zurechtfinden und mit Frank Thomé war ein Musiker ausgewählt, dem dies traumwandterisch sicher gelang. Den Solistenpart formulierte Hummel - gerade im raschen zweiten Satz - als hochvirtuosen Dialog mit dem Orches­ter, ein Anspruch, dem die Musiker in fesselnder Weise gerecht wurden.
Claus-Dieter Hanauer