Karl
Heinz Wahren: in memoriam Bertold Hummel
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Zum Gedenken an Bertold Hummel Zuletzt sahen wir uns im Juli in Berlin anlässlich der Sitzungswoche für den GEMA-Wertungsausschuss Ernste Musik. Bei der Begrüßung schien er mir äußerlich ein wenig verändert, im Gesicht schmaler, asthenischer als im Jahr zuvor. Das mochten die vorübergehenden Folgen beruflicher Überanstrengung sein. Ich beachtete es nicht weiter, denn in den ersten Tagen der umfangreichen und nervenaufreibenden Begutachtungsarbeit beteiligte er sich an unserem Diskurs lebhaft und dabei treffsicher wie immer. Erst am dritten Tag klagte er über Unwohlsein und fuhr schließlich vorzeitig zurück nach Würzburg. Die Lebendigkeit des Augenblicks verdrängt Gedanken an eine vielleicht letzte Begegnung, erst recht bei einem verehrten, liebenswerten Kollegen und Freund. So traf mich die Nachricht von seinem Tod nur vier Wochen später ganz unvorbereitet und schmerzvoll. Wir kannten uns bereits seit 1971. In diesem Jahr hatte er als Leiter des Studios für Neue Musik Würzburg unsere seit 1965 in Westberlin erfolgreiche "Gruppe Neue Musik Berlin" zu einem Konzert eingeladen. Später entwickelte sich daraus eine kollegiale Freundschaft, die sich durch das Treffen bei den jährlichen GEMA-Versammlungen, durch gelegentliche gemeinsame Konzertaufführungen und die sich anschließenden Gespräche im Verlaufe der Zeit spürbar vertiefte. Von Anfang an beeindruckte mich Bertold Hummels Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber, das ich Wohlwollen nennen möchte. Bei keinem anderen gebildeten Menschen habe ich diesen Wesenszug so deutlich ausgeprägt erlebt. Es ist die Fähigkeit des Verstehens anderer und damit die Begabung, Lebensermunterung zu vermitteln. Nicht in naiver, unkritischer Manier. Denn Hummel war als gläubiger Christ ein ausgeglichener und urteilsfähiger, aber auch zu den notwendigen Auseinandersetzungen stets bereiter Geist. Doch die menschenfreundliche Seite seines Charakters, das Verständnis für Andersdenkende, Andershandelnde, sein Sinn für Übereinstimmung trotz gegenpoliger Positionen - es klingt wie die Quadratur des Kreises - waren ungewöhnlich. Dabei konnte er streng sein, vor allem wenn es um künstlerische Unaufrichtigkeit, Kollegenverachtung oder strapazierende Eitelkeiten ging. "Als Komponist fühle ich mich der Gemeinschaft, in der ich lebe, verpflichtet. Mein Bestreben ist es, einen bescheidenen Beitrag zu leisten bei dem Bemühen, die Welt humaner und lebenswerter zu gestalten." So ein Credo Bertold Hummels, der 1925 nahe Donaueschingen geboren wurde. Seine badischen Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits waren Handwerker, sein Vater jedoch wurde Lehrer, Chorleiter und Organist. Er führte den aufnahmefähigen und interessierten Sohn schon früh zur Musik hin. Etwas später als Rektor in der Nähe von Freiburg im Breisgau erteilte er dem Sohn Klavierunterricht. Dessen besondere musikalische Begabung wird auf der Oberrealschule in Freiburg durch Violoncello-, Harmonielehre- und Kompositionsunterricht gezielt gefördert. Als der Schüler bei einem Sinfoniekonzert die "Dritte" Bruckners hört, ist er entschlossen, Komponist zu werden. Die Mitwirkung im Knabenchor bei Parsifal-Aufführungen des Freiburger Stadttheaters festigt dieses Vorhaben. Mit Anton Bruckner und Richard Wagner wählte er sich zwei langzeitige Vorbilder für seine berufliche Zielgerade. Aber zunächst musste er den Forderungen der nationalsozialistischen Diktatur folgend zur vormilitärischen Erziehung die erdbraune Uniform des Reichsarbeitsdienstes anziehen, um dann schon sechs Monate später - nun in olivgrüner Wehrmachtsmontur - in den Zweiten Weltkrieg zu marschieren. Diese Stahlgewitter überstand er körperlich unbeschadet; noch in der französischen Kriegsgefangenschaft beginnt er nach der deutschen Kapitulation 1945, Kompositionen für eine Gefangenen-Lagerkapelle zu schreiben. 1947 sieht er seine Heimat wieder, kann die kurz vor Kriegsbeginn unterbrochene schulische Ausbildung fortsetzen und mit dem Abitur abschließen. Anschließend begann er sofort an der Freiburger Musikhochschule mit seinem Studium, u. a. Komposition bei Harald Genzmer, sein Violoncellolehrer war Atis Teichmanis und Dirigieren studierte er bei Konrad Lechner. Hummel erinnert sich an diese Nachkriegsepoche der späten vierziger Jahre als eine Zeit der "Nachhol-Euphorie der Heimkehrer-Generation". Mit einer Gruppe junger Musiker trat er als Cellist 1954 eine fast einjährige Konzerttournee durch die Südafrikanische Union an. Dort heiratete er auch seine Kollegin, die Geigerin Inken Steffen. Nach der Rückkehr übernimmt Hummel zunächst in Freiburg eine Stelle als Kantor, tritt weiterhin auch als Cellist auf, unter anderem als ständige Aushilfe beim Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden. Seine Kompositionsarbeit findet inzwischen durch zahlreiche Preise Anerkennung, dem Kulturpreis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (1956), dem Kompositionspreis der Stadt Stuttgart (1959) und dem Robert-Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf (1960). Seine Berufung als Kompositionslehrer an das Bayerische Staatskonservatorium der Musik Würzburg erfolgt 1963. Hier setzt er sich über zweieinhalb Jahrzehnte intensiv für die zeitgenössische Musik ein. Nachdem Hummel die Leitung des "Studios für Neue Musik" übertragen wurde, stellte er in seinen Konzerten Werke zahlreicher junger Komponisten vor, von denen einige Namen inzwischen bundesweit dem einschlägig interessierten Publikum zu einem Begriff wurden. Hummels Weltläufigkeit gestattete es ihm, scheinbar unvereinbare ästhetische Richtungen in seinen Programmen zusammenzuführen und so die Bandbreite des kompositorischen Schaffens im letzten Viertel des ausgehenden 20. Jahrhunderts öffentlich zur Diskussion zu stellen. Seine Flexibilität im Verständnis für stilistische Gegensätze wusste er mit psychologischem Gespür auch seinen Studenten anzutragen, um ihre geistige Regsamkeit, um die Rezeptivität ihrer Sinne zu wecken und dadurch deren Imaginationen anzuregen. Das eigene Ideal setzt Maßstäbe, und Hummels Ziel war stets, seinen musikalischen Wahrnehmungshorizont zu erweitern, ohne sich selbst untreu zu werden. Das heißt, ihm war es inzwischen gelungen, einen erkennbaren eigenen kompositorischen Stil zu finden. Der hatte sich ursprünglich im Neoklassizismus seines Lehrers Harald Genzmer - und wiederum dessen Lehrers Paul Hindemith - begründet. Inzwischen davon längst gelöst, hatte er durch den Einfluss der französischen Schulen des frühen 20. Jahrhunderts, indirekt auch der Neuen Wiener Schule, zu einer eigenen musikalischen Aussage gefunden. Deutlich hörbar sind Hummels Inspirationen durch den französischen Komponisten Oliver Messiaen geprägt, dessen Klangfarbenkonzeptionen in Hummels Kompositionen eigene Umsetzungen erfahren. Der Komponist Hummel musste freilich immer auf den Hochschullehrer Rücksicht nehmen. Denn 1973 war das Bayerische Staatskonservatorium Würzburg zur zweiten Bayerischen Musikhochschule umgewandelt und Bertold Hummel zum ordentlichen Professor ernannt worden. 1979 schließlich wurde er zum Präsidenten dieser Hochschule gewählt, nach seinem Ausscheiden 1988 zum Ehrenpräsidenten ernannt. Zuvor war er 1982 zum Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste gewählt worden, man ehrte ihn 1985 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und die Stadt Würzburg 1988 mit ihrem Kulturpreis. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten von der Last des zeitraubenden Hochschulamtes befreit, komponierte Hummel unermüdlich und inspiriert, dabei immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die er dann seinem ganz eigenen musikalischen Personalstil zuordnete. "Meine Auffassung ist jetzt, am Ende dieses Millenniums, dass nach einem Jahrhundert, in dem das Experiment eine große Rolle gespielt hat, die Sehnsucht nach einer neuen Sprachfindung weltweit an Raum gewinnt. Gegen die Orthodoxie der jeweiligen "Richtung" wird sich meines Erachtens eine neue Ästhetik der pluralen Möglichkeiten durchsetzen." Um an den zahlreichen internationalen Aufführungen seiner Werke als Hörer teilnehmen zu können, bereiste Hummel in den vergangenen Jahren zahlreiche Länder, darunter die USA, Russland, Australien, Frankreich, Österreich, die Schweiz, Polen und Tschechien. Auf dem Label Conventus Musicus wurde eine interessante Auswahl seiner Kompositionen als CD-Edition veröffentlicht. Seine kompositorische Ehrlichkeit ist seinem Fleiß gleichzustellen. Sein über 200 Werke umfassendes Œuvre hinderte ihn nicht, auch in der uns Komponisten eigenen Urheberrechtsgesellschaft, der GEMA, ehrenamtlich mitzuarbeiten. Über 25 Jahre gehörte er dem außerordentlich wichtigen Gremium Wertungsausschuss als eines seiner verantwortungsvollsten Mitglieder an. Auch seine Studenten belehrte er über die für Komponisten lebensnotwendige Wichtigkeit des Urheberrechts, veranlasste sie, die GEMA-Jahresversammlung zu besuchen und war stets bei Aussprachen zur Stelle, wenn es um die Belange der Ernsten Musik ging. Trotzdem blieb er zeitlebens zurückhaltend, trat nie mit Aufwand ins Rampenlicht und repräsentierte lediglich dort, wo es sich nicht vermeiden ließ. Den manchen Komponisten eigenen Überwertigkeitskomplex, als Kompensation für den im 19. Jahrhundert aufgeblühten und im 20. Jahrhundert zunehmend gesellschaftlich verloren gegangenen Geniekult, benötigte seine innere Ausgeglichenheit nicht. Seine Familie, die lebenslang gehaltene Gemeinschaft mit seiner Frau, die verheirateten sechs Söhne - von denen fünf Berufsmusiker wurden und vier Schwiegertöchter ebenfalls -, dazu 17 Enkelkinder gaben ihm offenbar Halt und jene Gelassenheit, die er bei schwierigen "Diskussionen", z. B. um GEMA-Probleme, stets bis zuletzt ausstrahlte. Sein kompositorisches Lebenswerk zieht Spuren durch fast alle musikalischen Genres und Besetzungen. Er setzte sich mit den neuen Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts auseinander, mit der 12-Ton-Musik ebenso wie den seriellen Techniken, dem Jazz oder den Möglichkeiten der elektro-akustischen Musik. Die Entdeckung der Perkussion für unsere abendliche Musik nutzte er so erfolgreich wie die Klangfarbe des Saxofons. Besonders aber die zeitgenössische Sakralmusik fand in ihm einen seiner wichtigsten, säkularisierten Vertreter. Auf die Frage nach einer Charakterisierung seines Kompositionsstils antwortete er: "Ich würde ihn benennen als einen Stil der Metamorphose all dessen, was mich aus dem musikalischen Weltrepertoire von Vergangenheit und Gegenwart besonders beeindruckt; gepaart mit einem starken persönlichen Ausdruckswillen - quasi als einen schöpferischen Eklektizismus." Wir trauen gleichermaßen um den Komponisten und Pädagogen, vor allem aber um den liebenswerten Kollegen und Menschen Bertold Hummel. (aus: Gemanachrichten NR: 166 3/2002, Berlin)
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