in
memoriam Bertold Hummel
Ein
Nachruf von Dr. Michael Wernicke OAS Zuerst
lernte ich die Söhne kennen: Mit den Jüngsten, den Zwillingen, die damals,
wie sie mir voll Stolz erzählten, acht Jahre alt waren, ging ich manchmal
spazieren. "Meine Terroristen", nannte sie liebevoll der Vater, denn
es waren wilde Knaben, voll von originellen Einfällen. Gern hörte Herr
Hummel, wenn ich erzählte, wie ich den beiden ein Eis spendierte. Den Kumpel,
der sie begleitete, fragte ich, ob er auch ein Eis wollte. "Nein",
sagte der. Auf meine erstaunte Frage, warum denn nicht, beschied er mich, dass
er evangelisch sei. Auf Herrn Hummels Wunsch musste ich die Story öfter wiederholen,
immer dann, wenn in der Gesellschaft jemand war, der sie noch nicht kannte. Herr
Hummel liebte Anekdoten und war selbst ein großartiger Erzähler. In
der Landvolkshochschule Wies bei Steingaden sprach er von einem Aufenthalt in
den Vereinigten Staaten. Er sei eingeladen gewesen, um amerikanische Musikstudenten
zu unterrichten und seine Werke mit ihnen aufzuführen. Als er ein Musikstück
mit ihnen einübte und sah, dass sie aufgeregt waren, weil der Komponist selbst
als Dirigent vor ihnen stand, sagte er tröstend und ermutigend "Habt
keine Angst! What comes, comes, what not comes, comes not." Das war very
german English, und Herr Hummel wusste es, als er dieses Erlebnis schilderte.
Er konnte über sich selbst schmunzeln, was das Kennzeichen echten Humor ist.
Als er diese Geschichte erzählte, musste ich zwar lauthals darüber lachen,
gleichzeitig dämmerte mir, dass Bertold Hummel ein berühmter Mann war,
weltberühmt. Und hier waren wir in der Wies mit einer Menge junger Leute,
die Musik machen wollten, Amateure zum größten Teil. Herr Hummel, Professor
und Präsident der Würzburger Musikhochschule, weithin bekannter Komponist,
war sich nicht zu schade, mit Kindern und Jugendlichen ein Orchester zu bilden,
eine Woche lang mit ihnen zu üben, und sie hin und wieder vor den anderen
Teilnehmern ein Stück spielen zu lassen. "Ablass" nannte er das;
denn es drängte die jungen Leute, vor anderen abzulassen, was sie mühsam
einstudiert hatten. Gegen Ende der Woche kam dann der große Ablass: Ein
öffentliches Konzert in der Wieskirche, bei dem ich, der ich von eingeschränkter
Musikalität bin, die aufzuführenden Werke ansagen durfte. Aber ich feierte
mit den jungen und alten Musikanten auch Gottesdienste, denn diese Wies-Veranstaltung
war katholisch, initiiert und organisiert vom Jugendhaus Düsseldorf. Wenn
ich schon beim Gottesdienst bin: Gern hat die ganze Familie Hummel unter Vaters
Leitung in der Kirche des hl. Bruno zur Christmette musiziert. Erst machten alle
mit: Frau und Kinder, die Söhne heirateten, gingen anderswo ihrem Beruf nach.
Das Familienensemble wurde immer kleiner. Es war wie eine gestreckte Abschiedssinfonie.
Musik und Gottesdienst also. Wenn ich sagen wollte, dass dies die zwei Pole waren,
um die Bertold Hummels Leben kreiste, wäre das falsch und doch wieder nicht
falsch. Ich würde mich jedenfalls einer groben Unaufmerksamkeit schuldig
machen, wenn ich vergäße, dass der Ehefrau, den Söhnen, den Schwiegertöchtern,
den zahlreichen Enkeln ein geräumiger Platz in Bertold Hummels großem
Herzen eingeräumt war. Musik und Gottesdienst - die mochte er wohl kaum trennen.
Sinn der Schöpfung war ihm, so berichtete der Bischof beim Requiem, das Lob
Gottes. Das stumme Lob der leblosen Kreatur, das rauschende Lob der Bäume,
das brüllende, krähende, singende, blökende Lob der Tiere, das
jubelnde, demütige, trauernde Lob des Menschen, des musizierenden Menschen.
Für Bertold Hummel war - ganz im Sinne Jesu - Gotteslob auch Dienst am Menschen.
In seinem Arbeitszimmer hing ein Spruch: "Kein Mensch ist für sich alleine
da, sondern auch für alle anderen." Er glaubte an die Kraft der Musik,
die fröhlich macht, die heilt, die fähig macht, Freude und Leid auszusprechen,
die den Menschen Gott loben und ihn so den Sinn des Lebens finden lässt.
Und er führte Menschen an die Musik heran. Er tat es humorvoll, heiter und
bescheiden. "Wer meint etwas zu sein", so stand es über dem Klavier
in seinem Arbeitszimmer, "hat aufgehört, etwas zu werden." Kurze
Zeit vor seinem Tod, schon im Krankenhausbett liegend spielte Bertold Hummel auf
einem Keyboard das Adventslied "Wachet auf, ruft uns die Stimme." Erst
einstimmig, dann in einem mehrstimmigen Satz. Die zweite Strophe lautet: Zion
hört die Wächter singen. das Herz tut ihr vor Freude springen, sie
wachet und stehet eilend auf. Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig, von
Gnaden stark, von Wahrheit mächtig; ihr Licht wird hell. ihr Stern geht
auf. Nun komm, du werte Krön', Herr Jesu, Gottes Sohn. Hosianna. Wir
folgen all zum Freudensaal Und halten mit das Abendmahl. Herr
Hummel starb am 9. August 2002. Er ging, so glaube ich zuversichtlich, ein in
den Freudensaal. (in:
St. Bruno Pfarrinfo, Würzburg, September 2002) |