Anläßlich
einer Gedenkveranstaltung am 27.11.2002 in der Hochschule für Musik in Würzburg
hielt Martin Hummel, der Sohn des Komponisten, folgende Ansprache: Liebe
Anwesende, die
Sie heute zusammengekommen sind, sich an Bertold Hummel zu erinnern. Für
die meisten von Ihnen ist der Name meines Vaters mit seinen Kompositionen verbunden,
viele denken gerne an seine Herzlichkeit und seinen Humor zurück, einige
haben ihn als Kollege, Mentor oder Freund in glücklicher Erinnerung. Für
unsere Familie ist er aus dem Alltag genommen. Ob es nun die Kinder sind, die
in der Schule Großvaters blumengeschmückten Sarg malen oder wir Erwachsenen,
die wir - so kurz nach seinem für uns überraschenden Tod - im Alltag
immer wieder hinterrücks von tiefer Traurigkeit überfallen werden: wir
versuchen uns daran zu gewöhnen, dass wir seine Stimme, seine Bewegungen
und Berührungen nicht mehr wahrnehmen können. In
dieser für uns nicht leichten Zeit, wird uns jedoch bewußt, dass wir
gegenüber manchen anderen Menschen, die einen solch schweren Verlust verarbeiten
müssen, dies in einer großen Gemeinschaft Gleichgesinnter tun dürfen. Die
vielen Menschen, die sich zu seinem eindrucksvollen Requiem im Dom versammelt
hatten, die vielen Musiker, die ganz spontan auf uns zukamen und mit ihrer Kunst
den Verstorbenen an vielen Orten ehren wollten: Sie helfen uns, dass der Schmerz
in Lieder schmilzt - wie es Tagore so schön ausgedrückt hat. Heute,
an seinem 77. Geburtstag sind wir besonders dankbar, dass die Musikhochschule
wie selbstverständlich dieses Konzert in memoriam Bertold Hummel veranstaltet.
Wir freuen uns, dass so viele Studentinnen und Studenten bereit waren in Gemeinschaft
mit den Lehrenden, sich mit seinem Werk zu befassen. Genau
so hat mein Vater Musik verstanden - als eine menschenverbindene Kunst. Musik
als Ausdruck der Freundschaft und Zuneigung. Es
hat uns gefreut, dass in den zahlreichen Nachrufen erkannt wurde, dass er sein
Komponieren als bescheidenen Beitrag für eine humanere Welt verstanden hatte. Es
gibt kaum eine Komposition die er nicht Jemandem widmete, ob es ein Kind, ein
großer Musiker oder der liebe Gott war. Er
wußte für wen er die Stücke schrieb. Als sein Enkelkind Fabian
begann Geige zu spielen, komponierte er für ihn ein kleines Violinkonzert
- natürlich in der ersten Lage. Als die Berliner Philharmoniker seine "Visionen
nach der Apokalyse des Johannes" bestellten, war in den Violinen etwas mehr
gefordert. Wahrscheinlich
rümpfte mancher Komponistenkollege über dieses Werkverständnis
die Nase. Aber er fühlte sich als ein Teil der Gemeinschaft. "Keiner
ist einzig für sich auf der Welt, er ist auch für alle anderen da."
Dieser Spruch hängt noch heute über seinem Klavier. Oft
gab es einen konkreten Anlass zu einer Komposition. Ich erinnere mich noch gut,
wie er am 4. Dezember 1976 erschrak, als er im Radio die Nachricht vom Tode Benjamin
Brittens hörte. Er zog sich zurück und nach ein paar Stunden spielte
er uns das eingangs gehörte Adagio am Klavier vor. Der
rapide geistige Zerfall seines lebensbejahenden Freundes Dietrich von Bausznern
erschütterte ihn zutiefst und inspirierte ihn unmittelbar zum gehörten
"in memoriam". Das
"Ave maria" (in der deutschen Fassung) schrieb er 1993 unter dem Eindruck
des Todes seiner Schwester Erika. Ein Jahr vor seinem Tod beschäftigte
er sich noch einmal mit der Komposition und hielt die lateinische Version nun
für die gelungenere. Ich
meine, man hört in diesem Werk diese geistige Klarheit, mit der es ihm dann
auch vergönnt war seinem eigenen Sterben entgegenzugehen. In
seinen letzten Lebensjahren brachte er, ganz entgegen seiner Gewohnheit, Stücke
ewig unveröffentlicht zu lassen, diese bei verschiedenen Verlagen unter und
revidierte frühere Werke. Die
Herausgabe der "Tastenspiele", die er immer wieder zu Geburtstagen und
Taufen der Enkelkinder komponierte und vortrug, nahm er ungewohnt zügig in
die Hand. Texte
für einen Liederzyklus nach skurrilen Gedichten von Hermann Hesse, die ich
ihm bereits vor Jahren ans Herz legte, komponierte er als letztes Werk. Bevor
ich ihn ins Krankenhaus fuhr, besprach er mit mir letzte Korrekturen. In der Regel
immer einverstanden mit meiner vorgeschlagenen Reihenfolge der Lieder, war es
ihm diesmal wichtig, dass folgendes Gedicht am Schluß steht: Belehrung Mehr
oder weniger, mein lieber Knabe, Sind schließlich alle Menschenworte
Schwindel, Verhältnismäßig sind wir in der Windel Am ehrlichsten,
und später dann im Grabe. Dann legen wir uns zu den Vätern nieder,
Sind endlich weise und voll kühler Klarheit, Mit blanken Knochen klappern
wir die Wahrheit, Und mancher lög und lebte lieber wieder. Diese
Ambivalenz des Todes erlebte er in den letzten Tagen deutlich. Auf
der einen Seite: der rasch fortschreitende körperliche Zerfall, den er mit
Stoizismus akzeptierte: Auf
die Ankündigung, er werde Blutkonserven bekommen, antwortete er: bitte nicht
von einem Schlagersänger. Auf
der anderen Seite: seine geistige am Leben hängende Vitalität: Zwischen
den Untersuchungen nutzte er die Zeit, um Weihnachtslieder für zwei Melodieinstrumente
zu setzen und gab noch kurz vor seinem Ende letzte Anweisungen zu einem Skizzenblatt
für ein Violoncellosolo. Wahrscheinlich
werden einige seiner Werke noch gespielt werden, wenn wir, die wir ihn gekannt
haben, nicht mehr sind. Dies
ist für uns eine schöne Vision. Als
Dank für die Verehrung und Freundschaft, die meinem Vater und seinem Werk
gerade hier in diesem Hause immer wieder entgegengebracht wurde, wollen wir der
Hochschulbibliothek sein gesamtes gedrucktes Schaffen überlassen (immerhin
185 Bände) und wir wünschen uns, dass auch in Zukunft der ein oder andere
die Möglichkeit wahrnimmt, den musikalischen Kosmos dieses Lebenswerkes verstehen
zu wollen. Das
letzte Buch in dem mein Vater las, war "Die Reden des Seneca". Dort
hat er folgendes unterstrichen: Durchmustere
die Tage deines Lebens — und du wirst sehen, wie wenige auf deinem Konto
verbleiben, die dir selbst gehören ... Wer hingegen richtig lebt, jeden Augenblick
nützt und jeden Tag so einrichtet, als wäre er der letzte, der lebt
im ewigen Jetzt. Lehrer
in den Künsten und Wissenschaften gibt es genug, leben aber muß man
das ganze Dasein hindurch selbst lernen, bis man Meister ist. Soviele
drängen stürmisch vorwärts und leiden an der Sehnsucht nach der
Zukunft, am Überdruß der Gegenwart. Du bist geschäftig, dein Leben
eilt dahin; inzwischen wird der Tod erscheinen, für den du, ob du willst
oder nicht, Zeit haben mußt ... Das
größte Hindernis glücklichen Lebens ist die Erwartung, die vom
Morgen abhängt. Du
verlierst den heutigen Tag; was in der Hand des Schicksals liegt, suchst du zu
ordnen; was in der deinigen liegt, läßt du fahren. Wie falsch denkst
du! Ich
danke für Ihre Aufmerksamkeit. |