Dieter Weiss (18. November 1922 Essen - 5. August 2009 Bayreuth) Zurück zur Verzeichnisliste |
Bertold Hummel lernt den Organisten und Kantor Dieter Weiss zu Beginn der gemeinsamen Studienzeit 1947 in Freiburg kennen. Dieter Weiss regt ihn zu etlichen Orgel- und Chorwerken an und bringt sie auch zur Uraufführung. Darunter findet sich das bekannte Alleluja für Orgel op. 44, dessen Widmungsträger er ist. Bis zu Hummels Lebensende stehen die beiden Musiker in freundschaftlichem Kontakt. Werke, die von Dieter Weiss zur Uraufführung gebracht wurden GEISTLICHES KONZERT für Bariton und Orgel INTRODUKTION, ARIOSO und FUGE für Orgel op. 4 DEM KÖNIG DER EWIGKEIT, Kantate für Chor und 7 Instrumente op. 17
Biografie
Im Jahr 1997 verfasst Dieter Weiss folgende Schrift über den Komponisten: Bertold
Hummel wurde am 27. November 1025 in Hüfingen bei Donaueschingen geboren.
Sein Vater war neben seiner Tätigkeit als Volksschullehrer Organist und Leiter
der Kirchenchores in Hüfingen tätig. Schon im frühen Alter bekam
der Knabe Musikunterricht, sang im Kirchenchor Sopran und hatte bald ein selbstverständliches
Verhältnis zur Orgel und Gregorianik. Diese Liebe und Erfahrung im Umgang
mit der Gregorianik, sagt Hummel später, hat seine kompositorische Arbeit
ganz entscheidend geprägt: Wie der Choral erklärbar ist als additives
Summieren von Bausteinen, so erkennt man in Hummels Werken Mosaiksteine, die einer
ständigen Metamorphose unterworfen werden. Die Freiburger
Studienzeit an der 1946 unter dem Flötisten Gustav Scheck als Direktor neu
gegründeten Hochschule war eine einzigartige Aufbruchszeit, zumal Baden in
der französischen Besatzungszone lag. Zum ersten Mal sahen wir Bilder von
Braque, Leger und Picasso. Auch der vollständige Zyklus "Miserere"
von Rouault wurde gezeigt. Im Münster erklang verschiedentlich Orgelmusik
von Olivier Messiaen (den Hummel später als einen der "Leuchtürme
der europäischen Musikgeschichte" bezeichnnen wird), dessen "Quatuor
pour la fin de temps" von vier Professoren im Treppenhaus des Wenzinger-Hauses
am Münsterplatz (dem Hauptgebäude der Hochschule) gespielt wurde und
tiefe, bewegende Eindrücke hinterließ. Das musikalische Klima der Hochschule
wurde entscheidend mitgeprägt von Walter Kraft, Konrad Lechner, Fritz Neumeyer,
Edith Picht-Axendfeld und Carl Seemann. Daneben bot der Kunstverein in einer Verkaufsausstellung
Emil Noldes herrliche Blumen-Aquarelle für 450 neue Deutsche Mark an. Diese
und ähnliche Eindücke schufen eine aufregende und stimulierende Atmosphäre,
die der Intensität des Studiums sehr zugute kam. Von
1956 an war Bertold Hummel an der Freiburger Kirche St. Konrad als Kantor tätig,
nebenher auch als freier Mitarbeiter des Südwestfunks. Der ständige
Kontakt mit seinem Chor regte ihn zu zahlreichen Chorkompositionen an; er wusste
bald die Schwierigkeiten für Chorstimmen auf dem Boden der Realität
zu belassen und dennoch einen gut klingenden Satz zu schreiben. In dieser Zeit
wurde eine Missa brevis (op. 5) bei den Donaueschinger
Musiktagen vom Freiburger Domchor uraufgeführt (1952). Neben weiteren Messen
schrieb der Freiburger Kantor (der auch im Gottesdienst die Orgel gut zu spielen
verstand) zahlreiche einstimmige liturgische Stücke und Motetten, zudem einige
sehr verschiedenartige, wesentliche Kantaten, unter denen mir "Dem
König der Ewigkeit" op. 17 (mit kleiner Bläserbesetzung)
besonders nahe steht. Dieser vokale Strang erreicht dann seinen Höhepunkt
mit dem Oratorium "Der Schrein der Märtyrer"
op. 90 zu Ehren des Heiligen Kilian, das im Würzburger Dom seine
singuläre Uraufführung erlebte mit mehreren Chören, Soli, Orchester
und drei Orgeln (1989), eine kaum zu übertreffende Besetzung. Aber Hummels
großer Respekt vor dem Laienmusizieren lässt ihn immer wieder zu leichter
auszuführenden Stücken zurückkehren wie zuletzt für das Knabenchortreffen
in Salzburg (1996). Noch
heute ist Bertold Hummel ein engagierter Kammermusiker, und es zeigt sich, dass
die Hälfte seiner Werke für kammermusikalische Besetzungen geschrieben
ist: immer noch der Offenbarungseid für jeden Komponisten. Ein weiteres Viertel
der Werkskala ist der Kirchenmusik vorbehalten. Durch starke Intensität zeichnet
sich besonders das zweite Streichquartett op. 46
aus. Bei den Kammermusiken für Bläser sind die meisten Instrumente vertreten,
auch mit Solostücken: Ein unglaublicher Reichtum tut sich in diesen Sparten
des Werkkataloges auf. Natürlich kommen die Streicher nicht zu kurz; eine
willkommmene Erweiterung der Besetzung stellen die Gesänge
nach Briefen von Vincent van Gogh für Baritonsolo und Steichquartett op.
84 dar, auch nach Schoenberg immer noch eine seltene Kombination. Eine
spezielle Neigung hat der Komponist auch zum Schlagzeug, für das eine ganze
Reihe sehr farbiger Solostücke vorliegt. Der größte Erfolg auf
diesem Gebiet wurde bisher das Konzert für Schlagzeug
und Orchester op. 70, das 1985 uraufgeführt wurde und seitdem ein
internationaler Renner geworden ist. Hummels rhythmische und klangfreudige Begabung
feiert hier einen wirklichen Triumph. Von seinen vier Bühnenwerken hat besonders die Kammeroper "Des Kaisers neue Kleider" op. 10 viel von sich Reden gemacht. Einen gewichtigen Schwerpunkt in Hummels Schaffen bilden unbedingt seine 15 sinfonischen Orchesterwerke. Der reiche Farbsinn des Komponisten äussert sich hier in einer überwältigenden Instrumentationskunst, die immer wieder auch für Überraschungen sorgt. Schon allein daher sind alle diese Stücke spannend anzuhören. Besonders herausragend figurieren die Zweite Sinfonie "Reverenza" op. 30 (komponiert 1966) und die "Visionen" op. 73 (komponiert 1979/80). In "Reverenza" führt das vollchromatische Denken des Komponisten auch zu gezielt eingesetzten Zwölftonfeldern wie polytonalen Flächen, durchzogen von sanglichen Kontrapunkten. Die Technik der permanenten Metamorphosen erreicht im Schlusssatz eine überwältigende Steigerung mit der Durchführung des "Te deum" -Themas, das sich wie selbstverständlich einfügt. Die kürzeren "Visionen" sind nach der Apokalypse des Johannes komponiert und bringen die Menschheitsnöte unserer Zeit mit ihr in Verbindung. Zauberhafte Sphärenklänge schieben sich zwischen die von Blechbläsern dominierten Partien; das Stück endet - sehr still mit der Vision des himmlischen Jerusalem. In beiden Werken gibt es nirgends unkontrollierte Emotionen, die Klarheit der Strukturen bleibt immer bestimmend, zuweilen finden sich melodische Spuren von Hindemith, nicht aber von Genzmer. 1963 wurde Hummel als
Kompositionslehrer an das damalige Staatskonservatorium in Würzburg berufen.
In seiner passionierten Unterrichtstätigkeit bekennt er, kein Avantgardist
zu sein, viel mehr fühlt er sich der Gemeinschaft verbunden und verpflichtet;
für ihn existiert das Dreieck Komponist - Interpret - Hörer als wesentliche
Grundlage des Musiklebens. Im Unterricht respektiert er die Persönlichkeit
seines Gegenüber und versucht sie an dessen Standpunkt "abzuholen"
und durch sein sehr sicheres Urteilsvermögen zu überzeugen. Daher zeigen
die zahlreichen Hummelschüler jeweils recht verschiedene musikalische Profile
- zur Freude ihres Lehrers, dessen stilistische Haltung nicht eng begrenzt, sondern
immer offen für wesentliche Anregungen ist. So sind auch seinen vielen Hommages
zu verstehen an Bruckner, Berg, Messiaen und andere, deren Stil er überzeugend
zu amalgieren versteht. Seine Meisterklasse für Komposition leitete er bis
1988; während dieser Zeit avancierte das Würzburger Institut durch seine
Aktivitäten und Initiativen in den Rang einer Hochschule für Musik,
zu deren Präsident Hummel 1979 gewählt wurde, heute noch als Ehrenpräsident
fungierend. Ebenfalls bis 1988 gab er mit den Konzerten seinen Würzburger
Studios für Neue Musik wesentliche und viel beachtete Anregungen für
die Entwicklung der Musik unserer Tage. Bertold
Hummel ist des öfteren ausgezeichnet worden: 1956 war er Stipendiat des Bundesverbandes
der deutschen Industrie, 1960 erhielt er den Kompositionspreis der Stadt Düsseldorf,
1988 den Kulturpreis der Stadt Würzburg und 1996 den Friedrich-Baur-Preis
für Musk; 1982 gehört er der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
an. Die Klarheit seines
musikalischen Denkens spiegelt sich in seiner deutlichen, plastischen Notenschrift,
sie ist direkt "anschaulich" zum Spielen und vermittelt dafür manche
Anregungen. Auch nach Erscheinen uraufgeführter Stücke im Druck habe
ich solche Stücke viel lieber weiterhin aus dem Autograph gespielt. Man meint
zu spüren, dass der Komponist diese Noten mit großer Verantwortlichkeit
aufschrieb. Auch die Sicherheit dieser Notenschrift ist bestechend: hier schreibt
ein souveräner Meister unserer Zeit, der in seinem weitgespannten Oeuvre
hohe Geistigkeit, starke geistliche Rückbindung und trumphiernde Musikalität
unter Beweis stellt. Dieter Weiss (1997) |