BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 108


Zurück zur Verzeichnisliste
Kopflos
Ein Liederzyklus nach skurrilen Gedichten von Hermann Hesse für mittlere Stimme und Klavier, op. 108
(2002)

1. Kopflos

2. Antwort an Freunde, die mir ein sehr schwieriges Gedicht im neuen Stil geschickt und gefragt hatten, ob ich es etwa verstehe.

3. Waldnacht Gedicht eines Schwabinger Symbolisten

4. Soirée

5. Bildnis eines zu alt gewordenen Literaten

6. Belehrung

 

Uraufführung: 9. August 2003, Calw, Georgenäum
Martin Hummel / Markus Bellheim


Aufführungsdauer: 15 Minuten

Autograph:
Titel: -
Umfang: 17 Seiten
Datierung: I. - II. - III. - IV. - V. 26.5.02 VI. - 

Verlag: Schott Musik International ED 9706, ISMN M-001-13627-3

Musicaphon 55719

Nr. 1 Kopflos Nr. 3 Waldnacht Nr. 6 Belehrung

Der Liederzyklus Kopflos steht auf der Repertoireliste des Internationalen Wettbewerbs "Franz Schubert und die Musik der Moderne" in Graz.

 

Vorwort

Als mein Vater im Mai 2002 den vorliegenden Liederzyklus als Auftragskomposition für das Hermann-Hesse-Festival in Calw skizzierte, konnte er nicht wissen, dass diese Lieder sein letztes abgeschlossenes Werk sein sollten. Begeistert von den skurrilen Texten, die den verehrten Dichter von einer, in bisherigen Liedschöpfungen eher seltenen Seite zeigen, machte er sich hoch motiviert an die Arbeit. Während des weiteren Kompositionsprozesses mehrten sich die immer deutlicher werdenden Hiobsbotschaften ärztlicher Befunde. Dennoch arbeitete er mit ungewohnter Ausdauer und Genugtuung an den vielen Details der Partitur, die er noch am 21. Juli mit letzten Korrekturen versah. Die ihm wohl vertrauten Stilmittel der Dodekaphonie, des Jazz, der Musik des 19. Jahrhunderts parodierte er im Sinne der dichterischen Vorlage ebenso, wie seine eigene, unverkennbar persönliche Tonsprache.
Dass nun am Ende seines umfangreichen Oeuvres diese heiteren, ja fast komödiantischen Lieder stehen, findet seine Entsprechung in der serenen Altersweisheit, die Bertold Hummel posthum mehrfach bescheinigt wurde.
Mein Vater starb am 9. August 2002 - dem 40. Todestag des Dichters.

Martin Hummel

 

Wolfgang Osthoff
Bertold Hummels letzter Liederzyklus: Kopflos

 

Kopflos

Man nehm den Deckel nur vom Topfe
Und sieh, wie froh der Dampf entweicht!
Wie lebt nach abgeschnittnem Kopfe
Das schwere Leben sich so leicht!
Kein Schnupfen mehr, kein Nasentropfen,
Kein Zahnweh und kein Augenbrand
Noch Stirnkatarrh noch Schläfenklopfen.
Es ist wie im Schlaraffenland.
Zwar gibt es ohne Kopf kein Denken,
Doch ist es darum nicht so schad,
Man kann mit Wein die Kehle tränken
Es ist das beste Gurgelbad,
Und ach, wie lebt es sich so stille:
Kein Wort, kein Lärm, kein grelles Licht!
Und nie mehr sucht man seine Brille
Und nie mehr macht man ein Gedicht.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt


Antwort an Freunde, die mir ein sehr schwieriges Gedicht im neuen Stil geschickt und gefragt hatten, ob ich es etwa verstehe.

Manchem mag
Doch jedem nicht
Gott gegeben
Verstehen gelblicher
Verse dunkles Violett.

Zwölf sind der Töne,
Mancher versteht
Zwölfergesang
Mit oder ohne Adorno,
Nicht aber
Unterzeichneter,
Dessen Augen
Erstaunen blendet.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt

 

Waldnacht Gedicht eines Schwabinger Symbolisten

Der Wald -! Die Nacht -! Glühwürmer staunen;
Ein ferner Vogel geigt auf einer Flöte.
Die Äste knarren - - - Sagen raunen,
Indes ich vor dem Geist der Nacht erröte.

Ein ungeheures Weh schluchzt in den Tiefen,
Ein ungeheures Lachen gellt herüber - -
Ich geb' dem Monde einen Nasenstüber
Und denke derer, die im Schatten schliefen.

Ein gelber Schmerz mit silbergrünen Rändern
Schrillt mir durchs Herz wie eine stumpfe Säge ...
Der Weltgeist brütet auf den schwarzen Ländern;
Mein Busen zittert und mein Schlips sitzt schräge.

O namenlose Wonne, so zu stehen
Im wehen Mond und solche Qual zu leiden!
Mit blindem Blick ins Herz der Nacht zu sehen!!
Und stumm zu herrschen über violette Weiten!!!

© Suhrkamp Verlag Frankfurt

 

Soirée

Man hatte mich eingeladen,
Ich wußte nicht warum;
Viel Herren mit schmalen Waden
Standen im Saal herum.

Es waren Herren von Namen
Und von gewaltigem Ruf,
Von denen der eine Dramen,
Der andre Romane schuf.

Sie wußten sich flott zu betragen
Und machten ein groß Geschrei,
Da schämte ich mich zu sagen,
daß ich auch ein Dichter sei.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt

 

Bildnis eines zu alt gewordenen Literaten

Noch sieht man ihn als letzte Säule
Auf etwas schwachem Sockel ragen.
Noch ist er fähig, manche Eule
Behutsam nach Athen zu tragen.

Zwar leidet er an Gicht und Spasmen
Und wird allmählich dürr und klein,
Doch fallen ihm die Pleonasmen
Noch immer dutzendweise ein.

So sucht er, immer neu verwundert,
Im Kinderspiel sein Greisenglück,
Und blickt aufs neunzehnte Jahrhundert
Wie auf ein Paradies zurück.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt

 

Belehrung

Mehr oder weniger, mein lieber Knabe,
Sind schließlich alle Menschenworte Schwindel,
Verhältnismäßig sind wir in der Windel
Am ehrlichsten, und später dann im Grabe,

Dann legen wir uns zu den Vätern nieder,
Sind endlich weise und voll kühler Klarheit,
Mit blanken Knochen klappern wir die Wahrheit,
Und mancher lög und lebte lieber wieder.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt

 

Presse

Kreisnachrichten, Calw 11.8.2003

Eine bemerkenswerte Uraufführung: der Liederzyklus "Kopflos" nach skurillen Gedichten von Hermann Hesse, in denen sich Hesse mit den Auswüchsen des Literaturbetriebes auseinandersetzt, Adorno belächelt oder den deutschen Symbolismus verspottet.