| Harald Genzmer (9. Februar 1909 Blumenthal/Bremen - 16. Dezember 2007 München) Zurück zur Verzeichnisliste | 
| Als ehemaliger
              Schüler Harald Genzmers - ich studierte bei ihm von 1947
              bis 1954 in Freiburg in Breisgau - möchte ich seine
              universelle Geistigkeit ansprechen, seine Agilität, seine
              immense Bildung auf den verschiedensten Wissensgebieten,
              seine Beheimatung in Literatur und bildender Kunst, neben
              seinem handwerklichen Fachkönnen. Ich möchte von seiner
              künstlerischen Souveränität und seiner Toleranz, von
              seinem Verständnis für Ungewohntes, Substanzielles, von
              seinen Blick für das Wesentliche, von der Strenge seines
              Urteils berichten und nicht zuletzt von seiner Humanitas
              und der Integrität seines Charakters. Als Komponisten ging
              und geht Harald Genzmer seinen schöpferischen Weg
              unbeirrt, offen für, jedoch kritisch gegen alles, was um
              ihn vorgeht, unbeeindruckt von Alltagsmoden, sich selbst
              und seinen Überzeugungen treu bleibend, von der
              moralischen Verpflichtung getragen, Allgemeingültiges
              auszusagen. Ich wünsche dem verehrten Meister an seinem heutigen 90. Geburtstag noch viele Jahre in ungebrochener Vitalität, Gesundheit und Schöpferkraft. Bertold Hummel (in einem Genzmer-Portrait, das am 9.2.1999 im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wurde.) 
 Entscheidend bleibt die Tatsache, dass Bertold Hummel etwas kann und als Künstler eine Persönlickeit ist, die sich in den Wirren der Zeit einen klaren Kopf bewahrt hat. Harald Genzmer (1.3.1961) 
 Werke von Bertold Hummel, die mit Harald Genzmer in Verbindung stehen: 5 Bagatellen für 6 Klarinetten, op. 28 (1965) 
 Harald Genzmer gehört zu den wichtigsten deutschen Komponisten dieses Jahrhunderts. Den Dogmen der Avantgardebewegungen gegenüber immer skeptisch und darin seinem Lehrer Paul Hindemith verwandt, steht er als Künstler für eine Musik ein, die Spieler und Hörer unmittelbar ansprechen möchte. "Musik soll vital, kunstvoll und verständlich sein. Als praktikabel möge sie den Interpreten für sich gewinnen, als erfaßbar sodann den Hörer." So Genzmer selbst über seine Haltung. Genzmer wurde am 9. Februar 1909 in Bremen geboren. Entscheidende Impulse für seinen künstlerischen Weg erhielt er durch die Begegnung mit dem Werk Paul Hindemiths, bei dem er 1928 in Berlin Komposition zu studieren begann. Nach umfänglichen Aktivitäten in den verschiedensten Bereichen des Musiklebens wurde Genzmer schließlich 1946 als Lehrer für Komposition an die neugegründete Hochschule für Musik nach Freiburg i.Br. berufen. 1957 folgte der Ruf als Professor für Komposition nach München, wo er seitdem lebt. Genzmer war und ist ein leidenschaftlicher Lehrer, und er kann sich dabei berufen auf ein ungewöhnliches und vielfältiges kompositorisches Œuvre, auf eine enorme, von Bewunderung und Ehrfurcht getragene Kenntnis der Geschichte der Musik, auf eine meisterliche schöpferische Fähigkeit und kompositorisch-handwerkliche Kompetenz sowie auf eine ganz erstaunliche Kennerschaft anderer Disziplinen, seien es Literatur, Bildende Kunst oder auch naturwissenschaftliche Fächer. Viele Komponisten wie beispielsweise Debussy, Hindemith, Bartók, Strawinsky haben ihn beeinflußt; doch als Komponist hat er seinen eigenen Stil, seine eigene Sprache gefunden und in erstaunlich vielen Werkgestalten ausgeprägt. In der Tat ist Genzmers Werkkatalog ungewöhnlich reich, umfaßt Orchesterwerke, Vokalkompositionen und Kammermusik für alle Instrumente. Auffallend dabei ist, welche Bedeutung für den Komponisten die Gattung des Konzerts und der konzertierende Stil haben. Im Konzertieren entfalten und offenbaren sich für Genzmer am sinnfälligsten sowohl die Individualität des musizierenden Künstlers wie die Eigenarten der verschiedenen Instrumente. Eine bewundernswerte Kenntnis dieser Möglichkeiten sowie die respektvolle Einfühlung in die dem Musiker zugewiesene Aufgabe zeichnen Harald Genzmer aus. Hinzu kommen eine fast unerschöpfliche Fantasie und eine Vitalität im Auf- und Ausspüren kreativ experimenteller Möglichkeiten, die seiner Musik die ihr eigene Lebendigkeit und klangsinnliche Farbigkeit verleihen. "Das Prinzip Komponieren ist auch Dienst am Menschen" - hat Genzmer einmal bekannt. (Edition Peters) 
 Prof.
                Genzmer: Ja, meine Mutter spielte gut Klavier, so wie
                  eben ein Laie gut Klavier spielt. Aber schon als Kind
                  waren mir dadurch die Namen Mozart, Haydn oder
                  Beethoven geläufig. Meine Mutter spielte Klavier, und
                  ich bin dabei als Kind unter den Flügel gekrochen und
                  habe ihr zugehört. Sie spielte z. B. von Beethoven
                  eine der leichteren Sonaten, und ich habe als Kind auf
                  diese Weise eben daran teilgenommen. Dabei wußte ich
                  natürlich nicht, ob das nun Beethoven, Haydn oder
                  Mozart gewesen war. Mein Vater spielte Harmonium -
                  auch so, wie ein Laie Harmonium spielt. Aber er hatte
                  darin ein wenig Unterricht gehabt und spielte auch
                  Stücke von Karg-Elert.  Herr
                Mauser: Professionell war aber niemand Musiker. Aber es
                war wohl ein grundsätzliches Interesse an der Musik sehr
                stark vorhanden.  Prof.
                Genzmer: Es gab ein grundsätzliches Interesse,
                  sowohl von meiner Mutter, die guten Klavierunterricht
                  gehabt hatte - so wie ein Laie eben guten
                  Klavierunterricht haben konnte... Mein Vater war ja
                  eigentlich Jurist, aber er wurde durch die
                  Edda-Übersetzung bekannt. Das heißt, er war auch
                  Germanist, aber damals konnte man für so etwas keine
                  Professur bekommen. Die Musik war also in meinem
                  Elternhaus etwas ganz Natürliches und
                  Selbstverständliches, über das man gar nicht sprechen
                  mußte: Es wurde einfach gemacht. Wenn mein Vater aus
                  dem Dienst nach Hause kam, spielte er auf dem
                  Harmonium.  Herr
                Mauser: Es gehörte zum Klima des Hauses.  Prof.
                Genzmer: Ja, es gehörte einfach zum Klima des
                  Hauses. Man sprach darüber nicht groß - es geschah
                  ganz einfach.  Herr
                Mauser: Wenn man Ihre Biographie studiert, stellt man
                fest, daß in der ganzen ersten Zeit mit Ihrer
                Lebensgeschichte sehr häufige Ortswechsel verbunden
                waren.  Prof.
                Genzmer: Das kam daher, weil mein Vater eben Jurist
                  war. Er war zuerst Assessor in Blumenthal, in Arolsen,
                  später in Posen. Dann kam er nach Berlin und
                  anschließend nach Rostock. Rostock ist insofern für
                  mich wichtig geworden, weil ich dort zum ersten Mal
                  ein Orchester gehört habe. Es war damals für mich als
                  Kind natürlich eine ungeheure Sache, daß ich in ein
                  Orchesterkonzert gehen durfte. Ich war so etwas nicht
                  gewohnt und wußte eigentlich gar nicht so genau, was
                  das eigentlich sei. Ich hörte dort zu meiner
                  Überraschung von Richard Strauss die "Alpensymphonie":
                  Das war das erste Orchesterwerk, das ich gehört habe.
                  Das hat natürlich auf mich als Kind einen ungeheuren
                  Eindruck gemacht. Ich habe gebettelt und gebettelt, so
                  wie ein Kind überhaupt nur betteln kann, daß ich am
                  nächsten Sonntag wieder hingehen durfte, denn an dem
                  Tag wurde das Werk wiederholt. Ich bin da noch einmal
                  hingegangen und war völlig überrascht, daß ich jeden
                  Ton kannte. Ich wußte ja gar nicht, daß ich für Musik
                  begabt war. Denn darüber wurde zu Hause nicht
                  gesprochen.  Herr
                Mauser: Wann fiel die Entscheidung, sich mit der Musik
                professionell zu beschäftigen? Prof.
                Genzmer: Das kam erst später. Ich bin als Kind in
                  Orgelkonzerte gegangen, in die ich gratis
                  hineingekommen bin. Dort habe ich mir Stücke von Bach
                  und Reger angehört. Das sind eben die Komponisten, die
                  man bei einem Kirchenkonzert hören konnte. Ich hörte
                  in der Oper natürlich auch "Hänsel und Gretel", von
                  Wagner "Lohengrin" und von Lortzing "Zar und
                  Zimmermann": Daran kann ich mich noch erinnern, denn
                  das gehörte damals in Rostock zum Repertoire. Ich ging
                  voller Begeisterung in diese Konzerte. Aber damals
                  dachte ich noch überhaupt nicht daran, daß ich die
                  Musik einmal als Beruf ergreifen würde. Das kam erst
                  viel später. Das kam alles erst in Marburg. In Marburg
                  kam das deshalb zustande, weil ich mir mein
                  Taschengeld durch das Spielen von Tanzmusik verdient
                  habe. Ich hatte in der Klasse einen Kollegen, der gut
                  Geige spielen konnte... Herr
                Mauser: Marburg war die nächste Station Ihres Vaters? Prof.
                Genzmer: Ja, das war die nächste Station meines
                  Vaters, weil er an die Universität in Marburg berufen
                  worden war. Dort wurde er später auch Rektor. Ich habe
                  dort, wie gesagt, viel Tanzmusik gespielt. Meine
                  Eltern merkten dann, daß ich mich sehr für Musik
                  interessierte und z. B. an Konzerten mit großer
                  Begeisterung teilnahm. In Marburg spielte damals z. B.
                  das "Busch-Quartett" oder auch Serkin, der meinetwegen
                  die Bachvariationen von Reger usw. spielte. Das waren
                  wirklich ungeheure Eindrücke für mich. Ich bekam auch
                  sehr guten Theorieunterricht beim dortigen
                  Universitätsmusikdirektor Stephani. An diesen
                  Unterricht denke ich heute noch mit Dankbarkeit
                  zurück, denn er befähigte mich, später an der
                  Hochschule die Aufnahmeprüfung glatt zu bestehen. Ich
                  war einfach sehr gut vorbereitet.  Herr
                Mauser: Das musikalische Gedächtnis, das Sie in einem
                außerordentlichen Maße besitzen, haben Sie ja bereits
                beim Hören der "Alpensymphonie" bemerkt: die
                Merkfähigkeit und die Konzentration. Prof.
                Genzmer: Ich war sehr erstaunt, als ich das merkte,
                  denn ich wußte ja nicht, daß man das wiedererkennen
                  kann. Ich war völlig überrascht davon, daß ich jeden
                  Ton kannte: Ich wußte genau, jetzt kommt diese und nun
                  kommt jene Stelle, jetzt kommt ein Oboen-Solo usw.  Herr
                Mauser: Das war wahrscheinlich eine Art
                Schlüsselerlebnis für Sie selbst. Prof.
                Genzmer: Ja, das war für mich ein Schlüsselerlebnis,
                  aber ich wußte nicht, daß das ein Schlüsselerlebnis
                  war. Ich hatte keine Ahnung davon, denn ich war so
                  harmlos, wie ein Kind nur harmlos sein kann - ich war
                  damals vielleicht 12 oder 13 Jahre alt.  Herr
                Mauser: Die entscheidende Stadt für Ihre professionelle
                Ausbildung wurde in den zwanziger Jahren Berlin. Berlin
                war damals ja eine der Kulturmetropolen der Welt,
                vielleicht sogar die Kulturmetropole von Europa. Dort
                gab es die entscheidende Begegnung, den Unterricht, die
                Auseinandersetzung und eben den Kontakt mit Paul
                Hindemith.  Prof.
                Genzmer: Ja, mit Paul Hindemith. Ich hatte Geld
                  durch mein Schlager-Spielen: Ich verdiente jeden
                  Sonnabend 1,50 Mark in der Stunde: Das war damals viel
                  Geld. Nach zehn Stunden kam ich nachts um sechs Uhr
                  mit 15 Mark nach Hause, wo ich mich dann natürlich ins
                  Bett legte. Ich hatte dadurch jedenfalls das Geld, um
                  nach Gießen fahren zu können. Beim dortigen
                  Universitätsmusikdirektor hatte ich ein paar
                  Klavierstunden, und er sagte zu mir: "Nächste Woche
                  kommt Hindemith, das ist ein sehr guter Komponist. Ich
                  glaube, das interessiert Sie. Gehen Sie da doch mal
                  hin." Da ich bei Stephani, wie gesagt, sehr guten
                  Unterricht gehabt hatte, konnte ich auch eine Partitur
                  lesen, zumindest eine Streichquartettpartitur von
                  Haydn oder Beethoven usw. Ich ging hin, mit der
                  Partitur in der Hand und hörte mir das an. Ich glaubte
                  natürlich, naiv wie ich als Kind war, daß alle anderen
                  Zuhörer auch eine Partitur dabei hätten und das
                  ebenfalls voller Interesse mitlesen würden. Ich las
                  voller Interesse die erste Seite und merkte dabei, daß
                  das alles falsch war und anders ging als sonst. Ich
                  war so gefesselt, daß ich gar nicht mehr weiterlas,
                  sondern nur noch zuhörte. Am Schluß des Konzertes war
                  ich natürlich der wildeste Klatscher im Saal und rief
                  "Bravo" usw.: So wie ein Kind eben reagiert.  Herr
                Mauser: Das war ein Konzert mit dem "Amar-Quartett". Prof.
                Genzmer: Ja, das war ein Konzert mit dem
                  "Amar-Quartett". Hindemith selbst spielte dabei
                  Bratsche. Sie spielten noch ein Streichquartett von
                  Schubert und auch ein Quartett von Debussy. Und von
                  Hindemith selbst spielten sie das Opus 22. Das ist
                  eines der schönsten Streichquartette, die er überhaupt
                  komponiert hat. Er selbst spielte herrlich Bratsche.
                  In diesem Stück ist auch viel für Bratsche.  Herr
                Mauser: Sie haben also Hindemith zunächst als
                Interpreten auch seines eigenen Werks kennengelernt.  Prof.
                Genzmer: Ja, ich habe ihn als Interpreten seines
                  eigenen Werks gehört. Da ich ja Geld hatte, habe ich
                  mir voller Neugier die Noten gekauft. Ich kaufte mir
                  davon, was zu kaufen war. Ich kaufte mir auch eine
                  Zeitschrift namens "Melos", die damals erschien. Darin
                  las ich die Namen Bartók, Strawinsky und Schönberg,
                  und wie sie alle hießen.  Herr
                Mauser: Hindemith galt gerade in den zwanziger Jahren
                als musikalischer Bürgerschreck. Gerade das
                Streichquartett Opus 22, das Sie soeben erwähnt haben,
                galt als eines der Stücke, in dem gleichsam eine neue
                Tonsprache und eine neue Welt entwickelt wurde. Hatten
                Sie damals als junger Mensch beim Hören das Gefühl, daß
                das ein neuer Weg war? Prof.
                Genzmer: Ja, ich merkte natürlich, daß das etwas
                  ganz anderes war. Wie gesagt, eine Reger-Partitur
                  kannte ich schon. Reger hatte ja selbst noch die
                  Sonatinen am Klavier gespielt. Das waren also durchaus
                  Werke, die ich damals gekannt habe. Daß das aber etwas
                  ganz anderes war, war mir schon klar. Ich war
                  natürlich Feuer und Flamme für diese Sachen, ich
                  kaufte mir von Bartók die Suite für Klavier und
                  spielte sie recht und schlecht. Ich habe auch von
                  Schönberg die Klavierstücke Opus 19 gespielt. Ich war
                  damals befreundet mit Emil von Behring: Er war ein
                  Sohn des berühmten Mediziners und spielte sehr gut
                  Geige. Wir haben bei Stephani ein Hauskonzert mit
                  moderner Musik gegeben. Ich weiß noch, daß wir damals
                  von Bartók die zweite Geigensonate gespielt haben:
                  nicht alle Sätze, aber den ersten Satz davon. Dann
                  spielten wir von Hindemith Opus 11, die zweite Sonate
                  in D-Dur: davon aber nur die ersten zwei Sätze. Ich
                  spielte auch noch die Klavierstücke Opus 19 von
                  Schönberg, die nicht so schwer sind, und zwei oder
                  drei Sätze - ich weiß das nicht mehr so genau - aus
                  der Suite von Bartók. Herr
                Mauser: Da sind die Klassiker der musikalischen Moderne
                versammelt. Prof.
                Genzmer: Ja, aber das wußte ich damals natürlich
                  alles noch nicht. Sie waren aber für mich etwas sehr
                  Aufregendes und etwas, womit ich mich beschäftigt
                  habe. Stephani hatte dafür Verständnis, obwohl ich
                  doch bei ihm einen sehr guten Unterricht in
                  klassischer Harmonielehre bekommen hatte. Ihm gefiel
                  es natürlich auch, einen jungen Menschen zu haben, der
                  sich so leidenschaftlich für diese Dinge
                  interessierte.  Herr
                Mauser: Wie lange nach diesem Gießener Erlebnis hat es
                noch gedauert, bis Sie das Studium in Berlin begannen? Prof.
                Genzmer: Ich hatte zunächst an der Universität in
                  Marburg an der Lahn noch zwei Semester belegt. Da war
                  auch Kunstgeschichte mit dabei gewesen. Ich hatte mich
                  auch, wie schon gesagt, bei Stephani in Harmonielehre
                  vorbereitet - und mich auch in den Anfängen des
                  Kontrapunktes geübt. Ich tat dies nach "Draeseke", das
                  war damals ein bekanntes Lehrbuch. Dann ging ich, wenn
                  ich mich nicht irre, 1928 nach Berlin. Ich kam etwas
                  spät, im Mai, zu Hindemith, weil ich krank gewesen
                  war, und er sagte zu mir, daran erinnere ich mich noch
                  genau: "Hören Sie mal, eines muß ich Ihnen gleich
                  sagen: Bei mir wird keine moderne Musik gemacht, bei
                  mir wird anständig gearbeitet!" Ich sagte voller
                  Erstaunen: "Aber gerade deswegen komme ich doch zu
                  Ihnen." "Ach, so", sagte er, "dann ist ja alles in
                  Ordnung." Herr
                Mauser: Wie sah der Kompositionsunterricht dort aus?  Prof.
                Genzmer: Zunächst wurde ganz einfach am Kontrapunkt
                  weitergearbeitet, in einer Klasse, in der auch
                  Nebenfachschüler waren. Da merkte Hindemith natürlich
                  bald, daß ich kompositorisch begabt und interessiert
                  war. Ich kam vielleicht ein Jahr später in die
                  Kompositionsklasse. Dort war auch ein Schüler von
                  Zoltán Kodály mit dabei. Auch Wittelsbach, der bei
                  Schnabel Klavier studierte, war mit in der Klasse. Er
                  sollte später Direktor der Musikschule bzw. des
                  Konservatoriums in Zürich werden. Es gab dort also
                  schon eine Gruppe von jungen Leuten... Herr
                Mauser: Man wurde also nicht sofort für die
                Kompositionsklasse zugelassen, sondern man... Prof.
                Genzmer: Richtig, man hat zuerst einmal anständig am
                  Kontrapunkt gearbeitet. Ich habe dafür Aufgaben
                  gemacht, und Hindemith hat gemerkt, daß ich auch freie
                  Aufgaben machte: Ich machte nicht nur abstrakt
                  vierstimmig Kontrapunkt, sondern vielleicht für Geige,
                  Klarinette, Bratsche und Cello oder so etwas
                  Ähnliches. Das machte ich aus freiem Antrieb.
                  Hindemith merkte dann, daß ich an so etwas
                  interessiert war. Infolgedessen kam ich eben in die
                  Kompositionsklasse.  Herr
                Mauser: Zwei Dinge sind bei Ihrer Musik, wie ich meine,
                besonders wichtig. Zum einen ist das Instrument immer
                elementar mitgedacht. Ihre Musik, soweit ich sie kenne,
                ist immer spezifisch für dieses Instrument, von der
                Klanglichkeit und der Spieltechnik her. Und es gibt das
                Charakteristische dabei: Ihre Stücke haben immer eine
                ganz spezielle, in einem bestimmten Gestus und in einer
                bestimmten Ausdruckshaltung gründende Charakteristik.
                Vielleicht wollen wir nun an dieser Stelle ein kleines
                Stück einspielen, um auch einen Klangeindruck zu
                bekommen. Ich würde vorschlagen, daß wir als erstes ein
                Stück hören, das einen Titel hat, nämlich "Meditation":
                Es ist das erste Stück aus den 1965 entstandenen
                Studien. Prof.
                Genzmer: Ja, das ist 30 Jahre her. (Herr Mauser
                  spielt von Harald Genzmer: Studien für Klavier zu zwei
                  Händen, Heft II, Meditationen) Herr
                Mauser: Wir haben dieses ausdrucksvolle Klavierstück vor
                unserem Gespräch aufgezeichnet. Sie haben es schon
                gesagt, das liegt nun über 30 Jahre zurück. Dennoch ist
                es ein typischer Genzmer, denn ein weiteres
                Charakteristikum Ihrer Klangsprache und Ihres
                kompositorischen Weges besteht sicher darin, daß eine
                große Einheitlichkeit das ganze Oeuvre umspannt. Sie
                sind sich letztlich, wie viele bedeutende Komponisten,
                treu geblieben. Das, was Sie heute komponieren, steht
                auch in einem gewissen Kontext zur Musiksprache, wie sie
                vor 30 Jahren für Sie existierte. Wann hatten Sie
                eigentlich das Gefühl, zu einer eigenen Klangsprache
                gefunden zu haben, so daß Sie sagen konnten, Sie seien
                Komponist und hätten etwas Eigenes und Spezielles zu
                sagen? Prof.
                Genzmer: Das ist zunächst etwas sehr Einfaches. Als
                  ich studierte, war ich nicht nur Schüler von
                  Hindemith, sondern auch von Curt Sachs. Curt Sachs war
                  dieser bedeutende Instrumentenkundler, der leider 1933
                  gehen mußte. Ihm habe ich ganz einfach die Einführung
                  in die verschiedenen Instrumente zu danken. Dann hatte
                  ich auch noch Unterricht, und zwar sehr guten
                  Unterricht, in Klarinette. Das heißt also, ich kannte
                  auch die Blasinstrumente. Wenn man Klarinette spielen
                  kann, kennt man sich bald auch auf dem Saxophon und
                  den anderen Holzblasinstrumenten aus. Ich konnte auch
                  Blockflöte spielen. Ich habe z. B. das Trio von
                  Hindemith zusammen mit Hindemith selbst in Plön beim
                  Musiktag uraufgeführt.  Herr
                Mauser: Und wir dürfen dabei das Klavier nicht
                vergessen.  Prof. Genzmer: Klavierunterricht habe ich bei Rudolf Schmied gehabt. Dieses Stück, das Sie soeben gespielt haben, das so diese zögernden klagenden Akkorde hat: Damit wollte ich Klavierstücke schreiben, die nicht so schwer, sondern auch einem Laien zugänglich sind, der sich mit moderner Musik beschäftigen will. Sie haben das sicherlich sehr schön gespielt, aber das kann auch ein Laie spielen, der sich mit moderner Musik beschäftigt und gut Klavier spielen kann. Denn davon gibt es ja eine ganze Menge. 
 Herr
                Mauser: Das ist auch etwas, das Sie mit Ihrem Lehrer
                Hindemith verbindet: auf der einen Seite anspruchsvolle
                virtuose Konzertmusik, und auf der anderen Seite - was
                sich ja durchaus nicht auszuschließen braucht, sondern
                sich vielleicht sogar fruchtbar ergänzt - Musik für den
                Liebhaber, für den Laien und auch für Kinder, die ja in
                eine neue musikalische Welt hineinwachsen sollen. Das
                war für Sie eigentlich nie ein Problem oder eine
                Spannung, sondern das war etwas, das natürlicherweise
                etwas miteinander zu tun hatte.  Prof.
                Genzmer: Das hatte Gründe. Ich ging nach meinem
                  Studium nach Breslau an die Oper. Dort war ich
                  zunächst Korrepetitor und später Studienleiter. Ein
                  Studienleiter ist jemand, der sich quasi um den ganzen
                  Betrieb hinter den Kulissen kümmern muß. Ich war auch
                  hinsichtlich des Orchesters Mädchen für alles. Ich
                  spielte Orgel, Harmonium, Celesta, Klavier, Cembalo,
                  also alles, was an Tasteninstrumenten vorkam. Oft
                  erfuhr man erst am Morgen, was man am Abend zu spielen
                  hatte. Ich erinnere mich z. B. daran, daß ich einmal
                  von Richard Strauss in der "Josephslegende" die
                  Celesta spielen sollte. Ich kannte das Stück von
                  Strauß gar nicht. Aber danach wurde man nicht gefragt:
                  Man kann das eben. Oder man kann das eben nicht, dann
                  ist man nicht zu gebrauchen. Ich habe mir natürlich
                  die Noten angesehen, ich setzte mich abends ans
                  Celesta und spielte das. Und plötzlich merkte ich, daß
                  ich ein großes Solo zu spielen hatte. Es ist natürlich
                  schon eine gewisse Nervenfrage in so einem Moment,
                  einfach weiterzuspielen und keine Miene zu verziehen.
                  Das ganze Orchester schaute natürlich zu mir hin und
                  dachte sich: "Nun wollen wir doch mal sehen, wie der
                  das macht!" Da es funktionierte und auch gut
                  funktionierte, war ich natürlich gut angenommen. Ich
                  wurde auch deshalb Studienleiter, weil ich ganz
                  einfach für das Institut zu gebrauchen war. Ich war ja
                  z. B. auch am Klavier gewandt, d. h., ich konnte einen
                  Klavierauszug von Richard Strauss recht und schlecht
                  vom Blatt spielen. Ich war kein Solopianist wie Sie,
                  Herr Mauser, aber ich war am Klavier doch einigermaßen
                  gewandt, so daß ich mir da doch helfen konnte.  Herr
                Mauser: Das haben Ihre Schüler ja auch immer besonders
                geschätzt - auf Ihre pädagogischen Fähigkeiten kommen
                wir später noch zu sprechen -, daß Sie gleichsam aus dem
                Kopf oder "en passant", wenn die Noten auflagen, quasi
                aus der gesamten traditionellen Literatur alles parat
                hatten. Das weiß ich nämlich noch genau. Ihre Laufbahn
                war aber nach dem Studium bei Hindemith als
                Studienleiter zunächst die eines, wenn man so will,
                praktischen Musikers. Wie war das Verhältnis dieser
                beginnenden Laufbahn an einem Opernhaus, einem Theater,
                zu Ihren eigenen kompositorischen Ambitionen? Denn Sie
                wollten in erster Linie doch Komponist sein.  Prof.
                Genzmer: Ich wollte wirklich Komponist werden. Ich
                  habe natürlich für das Theater, weil sie gemerkt
                  haben, daß ich dazu zu gebrauchen war, auch
                  Theatermusiken geschrieben: z. B. eine Bühnenmusik zum
                  "Prinz von Homburg", die ich natürlich auch selbst
                  dirigiert habe und die dann auch dreißig Mal gespielt
                  wurde. Auch zu anderen, heute gleichgültigen Stücken
                  habe ich Bühnenmusik komponiert. Damals wurde
                  natürlich nicht danach gefragt, was ich an diesen oder
                  jenen Instrumenten haben wollte. Statt dessen ging es
                  darum, was einem zur Verfügung stand. Ich erinnere
                  mich z. B. an den "Prinz von Homburg": zwei Hörner,
                  zwei Trompeten, zwei Posaunen, eine Baßtuba und ein
                  Schlagzeug. Dafür mußte ich einfach eine Bühnenmusik
                  schreiben. Das kann man, oder man kann das eben nicht.
                  Danach wurde nicht gefragt. Ich konnte das natürlich,
                  es war für mich auch gar kein Problem. Ich erinnere
                  mich auch daran, daß mich damals ein Kollege darauf
                  aufmerksam machte, daß es eine Gesellschaft für
                  musikalische Aufführungsrechte - sie hieß damals
                  STAGMA - gibt, denn von so etwas hatte ich keine
                  Ahnung. Hindemith hatte über so etwas auch nie
                  gesprochen. Ich ging dorthin und sagte, daß diese
                  Bühnenmusik ja nun schon dreißigmal gespielt worden
                  sei. Woraufhin mir gesagt wurde, daß ich dort
                  eintreten könne. Damals ging ich eben zum ersten Mal
                  zu dieser Gesellschaft. Ich hatte mich dann auch -
                  schon in Berlin - für Oskar Sala interessiert. Oskar
                  Sala hatte ja das Trautonium zusammen mit Professor
                  Trautwein entwickelt. Und viele der Klänge, die Sie
                  soeben in dem Stück gespielt haben, waren durch Klänge
                  angeregt worden, die auf dem Trautonium möglich sind.
                 Herr
                Mauser: Das sollten wir vielleicht etwas näher erklären,
                weil das unseren Zuschauern womöglich nicht so vertraut
                ist. Sie sind ja, wenn man es genau nimmt, auch ein
                Pionier in der Entwicklung der elektronischen Musik
                gewesen. Denn das Trautonium war immerhin eines der
                ersten elektronischen Instrumente. Sie waren zusammen
                mit Hindemith einer der ersten Komponisten, der für
                dieses neuartige Instrumentarium Stücke komponierte. Das
                war damals in Berlin in diesem Kreis doch auch eine
                Aufbruchstimmung zu neuen Klangwelten, zu ganz
                ungewöhnlichen Dingen, alternativ zum traditionellen
                Instrumentarium. Das war, wie ich denke,
                bewußtseinsmäßig doch ein gravierendes Erlebnis gewesen.
                 Prof.
                Genzmer: Mich hat das natürlich sehr interessiert.
                  Ich war mit Sala befreundet. Wir durften als einzige
                  Gäste Hindemith in seiner Wohnung besuchen. Dort wurde
                  oft über solche Dinge gesprochen: was da möglich sei,
                  und wie man ein solches Instrument entwickeln könne.
                  Hindemith hat Professor Trautwein auch des öfteren
                  beraten. Das Trautonium ist ein Instrument mit Saiten,
                  die man verschieden stimmen kann. Man kann es von den
                  höchsten bis hinunter zu den tiefsten Lagen bespielen.
                  Das war damals eine Art Geige, die bis zum Kontrabaß
                  hinunter reichte. Ich habe damals in Breslau schon
                  verschiedene Stücke für Sala geschrieben. Ich kam dann
                  nach Berlin und habe dort eine endgültige Fassung
                  gefunden für das erste Trautonium-Konzert, das heute,
                  weil sich Sala mehr der Filmmusik zugewendet hat, Gott
                  sei Dank auf Schallplatte erhalten geblieben ist: Es
                  gibt eine CD mit diesem Konzert. Das Stück wurde in
                  der "Berliner Philharmonie" sehr prominent aufgeführt.
                  Der Intendant der "Berliner Philharmonie" hatte dafür
                  Verständnis, und Schuricht dirigierte die Aufführung
                  natürlich auch ausgezeichnet. Sala war ein echter
                  Virtuose gewesen. Er hatte schon als Pennäler
                  Klavierkonzerte mit Orchester gespielt. Als Pennäler!
                  Er spielte das damals wirklich ausgezeichnet. Das
                  erregte natürlich auch einiges an Aufsehen, und damals
                  habe ich mir mit diesem Stück, wie man sagt, zum
                  ersten Mal eine Art Namen gemacht.  Herr
                Mauser: War das ein Werk, das hinsichtlich des
                Bekanntheitsgrades auch eine wichtige Rolle gespielt
                hat?  Prof.
                Genzmer: Damals wurde das in sehr vielen Städten
                  gespielt. Als das Dritte Reich vorbei war, wurde es
                  auch wieder gespielt. 1952 habe ich ein zweites Stück
                  komponiert, ein Stück für Mixtur-Trautonium, das auch
                  neuartige Klänge enthielt, die man nicht mehr in Noten
                  aufschreiben konnte. Das ist auf der anderen Seite
                  dieser CD, so daß sich auch heute die Leute noch einen
                  Eindruck von diesem Stück machen können. Das wurde
                  damals vom "Südwestfunk" sehr gut uraufgeführt, mit
                  Rosbaud am Pult. Dieses Stück wurde auch in vielen
                  anderen Städten gespielt, z. B. auch in der "Berliner
                  Philharmonie", wo es Sawallisch dirigiert hat. Solche
                  Dirigenten haben sich also damals dafür eingesetzt.
                  Sala hat sich dann ganz anderen Dingen zugewandt: Ihn
                  interessierte diese neue Klangwelt so, daß er sich
                  hauptsächlich dem Film zugewandt hat. Er hat ja später
                  zu Hitchcocks "Die Vögel" eine Art neuer Klangwelt
                  geschaffen, denn Musik im üblichen Sinne war das nicht
                  mehr.  Herr
                Mauser: Man sagt dazu heute "Soundtrack". Wenn man Ihr
                Werk überblickt - wir sind ja nun zwangsläufig und
                übergangslos zum Komponisten Genzmer gekommen, der
                natürlich mit Ihrer Lebensgeschichte zusammenhängt -,
                muß man feststellen, daß Sie, wie das bei Ihrem Lehrer
                Paul Hindemith auch der Fall gewesen ist, einer der
                wenigen Universalisten unter den Komponisten sind. Es
                gibt von Ihnen Musik für fast jede Gattung, jede
                Instrumentalkombination: es gibt auch Orchestermusik und
                vielfach auch Konzerte. Nur eine Gattung fehlt - und das
                erscheint mir deshalb besonders verwunderlich, weil Sie
                ja beim Einstieg in Ihre Berufslaufbahn mit dieser
                Gattung besonders zu tun hatten, nämlich mit der Oper.
                Warum gibt es keine Oper von Harald Genzmer? Prof.
                Genzmer: Das kann ich Ihnen nicht beantworten.
                  Wissen Sie, man weiß über sich selbst immer sehr wenig
                  Bescheid, das sage ich ganz offen. Es gibt vielleicht
                  deshalb keine Oper, weil ich keinen Stoff gefunden
                  habe, der mich wirklich interessiert hätte. Ich wurde
                  öfters gefragt, warum ich denn keine Oper schreiben
                  würde. Ich wurde auch öfters dazu angeregt, aber ich
                  habe mich nie entschließen können, eine wirkliche Oper
                  zu schreiben. Ich habe einmal ein kleines Tanzspiel
                  geschrieben usw. Aber ich bin für die Oper ganz
                  einfach nicht geschaffen: Das ist eine andere Welt.
                  Ein Komponist aus unserer Zeit wie z. B. Hans Werner
                  Henze schreibt Opern, weil das ganz einfach seine Welt
                  ist. Meine ist das aber nicht. Henze schreibt aber
                  selbstverständlich auch Stücke für Konzerte und
                  symphonische Werke. Richard Strauss ist ja das
                  berühmte Beispiel für einen Mann, der herrliche Opern
                  geschrieben hat, auch großartige symphonische Werke -
                  aber dafür wenig Kammermusik.  Herr
                Mauser: Das Instrumentale ist Ihr eigenes Feld, obwohl
                es von Ihnen auch wunderbare Chöre und Vokalmusik gibt.
                Hierbei ist ja auch Ihre literarische Neigung etwas ganz
                Wichtiges, das im Hintergrund steht. Dennoch ist die
                instrumentale Virtuosität sowohl im Lyrischen als auch
                im Dramatischen etwas ganz Charakteristisches für Sie.
                Vielleicht wollen wir als zweites Hörbeispiel jetzt an
                dieser Stelle ein kurzes und typisches
                Virtuosenstückchen von Harald Genzmer hören. Wir hören
                aus den "Dialogen" aus dem Jahr 1963 ein Presto, das wir
                ebenfalls vor unserem Gespräch hier aufgezeichnet haben.
                (Herr Mauser spielt von Harald Genzmer: Dialoge für
                Klavier, Presto) Prof.
                Genzmer: Zu dem Stück kann ich ganz einfach sagen,
                  daß ich einmal ein Stakkatostück schreiben wollte. Und
                  das haben Sie herrlich gespielt - genauso, wie ich mir
                  das denke.  Herr
                Mauser: Diese virtuose Zweistimmigkeit ist eigentlich
                das Prinzip dieser Dialoge: ein Wechselspiel auch
                zwischen den beiden Händen, zwischen zwei Stimmen.
                Virtuose Zweistimmigkeit ist auch etwas, das Hindemith
                sehr interessiert hatte: der durchsichtige Satz, in dem
                die beiden Stimmen in ihrer Eigentümlichkeit und doch in
                einer genauen Bezogenheit erfaßt werden können. Ich
                denke, Faßlichkeit, Hörbarkeit und überhaupt der
                Sprachcharakter der Musik - daß der Mensch sich von der
                Musik auch in einem humanen Sinne angesprochen fühlt und
                nicht durch übergroße Kompliziertheit überfordert wird
                -, ist wohl etwas, das im Hintergrund Ihr Komponieren
                immer mit bestimmt hat.  Prof.
                Genzmer: Ja, es kommt noch etwas anderes hinzu. Ich
                  war in Breslau und ging von Breslau weg, weil ich
                  nicht in den "braunen Verein" eintreten wollte. Ich
                  ging dann nach Berlin. Dort habe ich an der
                  Volkshochschule mit Laien gearbeitet und Stücke
                  geschrieben, die diese Laien auch wirklich spielen
                  konnten. Zum Beispiel für drei Geigen: Es gibt ein
                  Spielbuch für drei Geigen. Oder es gibt auch Stücke,
                  die ich später geschrieben habe, wie die Sinfonietta,
                  die sehr viel gespielt worden ist. Das habe ich damals
                  gelernt. Das kann man auch nur lernen, indem man sich
                  mit Laien beschäftigt. Ich selbst habe öfters Oskar
                  Sala begleitet, wenn er auf dem Trautonium gespielt
                  hat. Es gab damals beim Rundfunk zwei Herren, Bruno
                  Aulich und Willi Stech, die sich sehr dafür
                  interessierten und mir daher die Gelegenheit gaben,
                  dort mit Sala zu spielen. Dann habe ich auch Sachen
                  für Otto Dobrindt bearbeitet, also für das
                  Unterhaltungsorchester - und für Trautonium und
                  kleines Orchester.  Herr
                Mauser: Neben dem wachsenden Erfolg als Komponist,
                sowohl auf der pädagogischen als auch auf der virtuosen
                Schiene und der Konzertschiene, war beruflich gesehen
                die Musikpädagogik eigentlich die wichtige dritte Ebene,
                auf der Sie sich bewegt haben.  Prof.
                Genzmer: Das war erst später. Im Dritten Reich hieß
                  es an der Berliner Hochschule, wo das denkbar gewesen
                  wäre: "Der kommt uns nicht über die Schwelle!" Nachdem
                  1946 diese Zeit vorbei war, fragte mich Gustav Scheck,
                  der große Flötist, der in Freiburg gerade die
                  Hochschule gegründet hatte, ob ich nicht an diese
                  Hochschule kommen wollte, denn er würde einen
                  stellvertretenden Direktor brauchen. Ich sagte zu und
                  ging dorthin. Dort habe ich auch für Scheck allerlei
                  komponiert wie Flötensonaten usw. Es war auch ein
                  Flötenkonzert mit dabei, das Scheck oft gespielt hat.
                  Dorthin wurden z. B. auch sehr gute Klavierspieler
                  geholt wie Carl Seemann, der sich damals sehr für uns
                  eingesetzt hat. Für ihn habe ich diese Suite in C,
                  dieses Virtuosenstück, geschrieben. Das geschah
                  eigentlich auf Anregung der Franzosen: Sie spielten
                  nicht groß die Besatzungsmacht, sondern waren
                  kulturell an uns interessiert. Sie benahmen sich
                  menschlich völlig natürlich und sagten zu uns: "Hören
                  Sie mal, wir machen eine Ausstellung mit moderner
                  Malerei." Damals waren Namen, die heute jeder kennt,
                  wie Picasso oder Léger usw. noch völlig neu.
                  "Schreiben Sie doch ein modernes Stück dafür!" Da habe
                  ich dieses Stück in C geschrieben, das Seemann zu
                  dieser Ausstellung uraufgeführt hat. Und inzwischen
                  ist das auch von vielen anderen gespielt worden.  Herr
                Mauser: Damit sind wir nun bei der groß dimensionierten
                virtuosen Musik, der Konzertmusik, angelangt. Die Suite
                in C ist eines der Virtuosenstücke für Klavier. Für das
                Klavier haben Sie immer wieder wichtige Werke verfaßt.
                Vielleicht hören wir jetzt an dieser Stelle den ersten
                Satz, langsame Einleitung, moderato und allegro, der
                fünften Klaviersonate aus dem Jahr 1985, in dem sich
                diese groß dimensionierte Konzert- und Virtuosenmusik
                besonders deutlich und faszinierend zeigt. (Herr Mauser
                spielt von Harald Genzmer: Fünfte Sonate für Klavier,
                Moderato Allegro) Prof.
                Genzmer: Ja, der Komponist kann nur "Danke schön"
                  sagen, denn genauso hat er sich das Stück vorgestellt.
                   Herr
                Mauser: Vielen Dank. Der Hauptort Ihrer pädagogischen
                Tätigkeit war aber München, wo Sie lange Jahre als
                Kompositionsprofessor tätig waren. Hatte für Sie die
                Lehre und das Unterrichten der jungen Leute eigentlich
                eine Rückwirkung auf das eigene Komponieren?  Prof.
                Genzmer: Ja, schon. Das war auch abgesehen davon der
                  Fall, weil ich mit vielen Kollegen befreundet war wie
                  z. B., um nur einen Namen stellvertretend für viele zu
                  nennen, mit dem Organisten Professor Lehrndorfer, der
                  meine Orgelwerke zum großen Teil uraufgeführt hat,
                  oder mit Frau Professor Höhenrieder, die meine Suite
                  in C sehr häufig gespielt hat. Viele andere Kollegen
                  wären hier also noch zu nennen. Durch das Gespräch mit
                  jungen Leuten bin ich z. B. darauf gekommen, einmal
                  eine Messe zu schreiben, die gut zu singen ist. Diese
                  Messe wurde auch in München bei einem Kirchenkonzert
                  zum ersten Mal gespielt. Das kommt daher: Wir hatten
                  uns mit der Hindemith-Messe beschäftigt. Die
                  Hindemith-Messe ist zwar kompositorisch sehr
                  interessant und sehr gut, aber sehr schwer, so daß sie
                  nur von ganz wenigen Chören überhaupt gesungen werden
                  kann. Ich wollte bewußt eine Messe komponieren, die
                  von jedem guten Laienchor zu interpretieren ist und
                  von jedem Organisten, der gut Orgel spielen kann - und
                  nicht nur von den großen Virtuosen. Das kam einfach
                  durch den Kontakt mit den Studenten, weil ich
                  Kirchenmusiker beider Konfessionen im Unterricht
                  hatte. Durch diesen Kontakt ist das entstanden. Die
                  Uraufführung war in Wien.  Herr
                Mauser: Vielleicht als letzte Frage, lieber Herr
                Genzmer, eine zum Schaffensprozeß: Wie komponieren Sie
                eigentlich? Ist der Einfall besonders wichtig oder die
                Ausarbeitung ? Die rhythmisch-motorische Seite ist ja
                bei den Virtuosenstücken sehr bedeutungsvoll. Wie
                entsteht Ihre Musik? Gibt es z. B. Skizzen?  Prof.
                Genzmer: Ja, ich will Ihnen dazu ein Beispiel
                  nennen. Ich wurde von Irland gebeten, für das Chorfest
                  in Irland ein Stück zu schreiben. Da suchte ich lange
                  nach Texten, bis mich ein Freund auf den Gedichtband
                  "Die irische Harfe" aufmerksam machte. Ich hatte den
                  Gedichtband vor mir liegen und habe darin gelesen, bis
                  mir schließlich klar wurde, daß ich diese fünf Stücke
                  komponieren werde. Wie ich das aber komponieren
                  sollte? Ich hatte keine Ahnung davon. Ich legte mich
                  nach Tisch ein wenig hin, um auszuruhen, da fiel es
                  mir plötzlich ein, und ich hatte den Stil gefunden.
                  Ich wußte da schon ganz genau, wie das Stück geht.
                  Dann schrieb ich es ganz schnell mit Bleistift so
                  ungefähr in eine Kladde hinein. In den nächsten Tagen
                  war das für mich nur mehr eine Frage der Ausarbeitung,
                  die ich jederzeit machen konnte, weil ich mich ja
                  handwerklich eigentlich immer sicher gefühlt habe.
                  Etwas anderes ist es, wenn man ein Stück für ein
                  spezielles Instrument schreibt. Ich wurde z. B. einmal
                  gebeten, ein Stück für Baßtuba zu schreiben. Der
                  Spieler rief mich an, und ich sagte zu ihm, er solle
                  mir doch einmal einen Brief schreiben. Der Brief war
                  so nett, daß ich mir gesagt habe: "Mit dem Mann
                  arbeite ich gerne zusammen." Dann habe ich zuerst
                  Skizzen für die Baßtuba gemacht und ihm diese Ideen
                  geschickt. Ich wollte ein Stück schreiben, das für die
                  Baßtuba nicht so schwer ist wie das berühmte Konzert
                  von Williams. Ich wollte ein Stück schreiben, das
                  jeder, der gut Baßtuba spielen kann, auch spielen
                  kann. Er schrieb dann zurück, daß es gut zu spielen
                  sei und man es sogar noch schneller spielen könne. Das
                  wollte ich aber gar nicht. Und dann habe ich eben das
                  Stück nach den Skizzen zu Ende gemacht. So ist dieses
                  Stück für Baßtuba entstanden.  Herr
                Mauser: Gut, es ist also die Inspiration wie die
                Ausarbeitung von großer Wichtigkeit.  Prof.
                Genzmer: Ja, das geht aber unbewußt, denn man hat
                  das nicht in der Hand. Man weiß gar nicht wie das
                  geht. Man hat es eben plötzlich.  Herr Mauser: Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses anregende Gespräch, lieber Herr Genzmer. Meine Damen und Herren, das war Alpha-Forum. Ich bedanke mich auch bei Ihnen sehr herzlich für das Zuhören und Zuschauen. | ||