BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 99b


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Vier Haiku für Singstimme und Klavier, op. 99b (1995)


I.

Erfüllte Tage.
In ewiger Gegenwart
leben ohne Schmerz.

II.

Wesen der Seele
gehüllt in tiefstes Schweigen
bist du ohne Bild.

III.

Fließen und Strömen
in den Lebensgezeiten
dem Ewigen zu.

IV.

Ein jeder Grashalm
singt sein ureigenes Lied
das Lied der Schöpfung.

(Deutsch von Marie-Luise Stangl)

 

Uraufführung: 17. November 1995, Würzburg, Residenz
Martin Hummel / Armin Fuchs


Aufführungsdauer: 5 Minuten

Autograph:
Titel: 4 HAIKU
Umfang: 8 Seiten
Datierung: I. 28.8.95 / II. 29.8.95 / III. - / IV.
5.Sept.95
Aufbewahrungsort:

Verlag: Schott Music ED 20285 / ISMN: M-001-14990-7

 

Eine besondere Stellung nimmt Hummels bislang letzter (Herbst 1995) Klavierlieder-Zyklus ein: seine 4 Haiku op. 99b. In dieser japanischen Poesiegattung dichtet hier - völlig formgerecht (3 Verse mit insgesamt 17 Silben) - Marie-Louise Stangl. Die dichte Knappheit des Modells führt auch in der Musik jeweils zu einer Konzentration auf das Wesentliche der Struktur. So klären sich - im ersten Stück - aus einer verschwimmendn Zwölfton-Totale, die aus vier übereinander geschichteten Dreiklängen gebildet ist, erfüllte Tage in reinem oder nur wenig "angereicherten" Dur, um am Schluß ohne Schmerz wieder in das stille Klangmeer einzutauchen. In der selben Form schwillt dieses "Klangmeer" in dem vierten Stück nach "Lied der Schöpfung" zum fortissimo an. Ein Haiku enthält trotz seiner Kürze ein jeweils möglichst umfassendes Bild, Gefühl oder eine Lebensweisheit. Hummels Singstimme spiegelt das - geformt in der Dreiteiligkeit - vielleicht am glücklichsten in dem dritten Stück. Fernöstliche Färbung findet sich lediglich in einigen Ganztonpassagen, so im zweiten Stück, wo zu dem Wort Schweigen einen Takt lang die Ganztonleiter auf Es, einen Takt später die Ganztonleiter auf D verwendet wird.

Wolgang Osthoff (in "Zu den Liedern Bertold Hummels", Tutzing 1998)

 

Wolfgang Osthoff
Zu den Liedern Bertold Hummels

 

Mit der knappen Form der Haiku beschäftigte sich Bertold Hummel bereits 1973 in seinem Werk 11 Haiku für gemischten Chor und Vibrafon op. 41b. Die vorliegende Komposition entstand im Jahre 1995. In den letzten Jahren seines Lebens machte es ihm Vergnügen in den vorgegebenen Regeln dieser Gedichtform eigene Haiku zu erfinden.

Martin Hummel


Erstausgabe: J. Schuberth & Co., Eisenach 2000