Carl Winter (4. November 1898 Gommersbach - 17. Mai 1988 Freiburg/Brsg.) 


Zurück zur Verzeichnisliste

Hans Musch

... implevit eum Dominus spiritu sapientiae ...
Zum Tode von Carl Winter (1898-1988)

Im 90. Lebensjahr wurde am 17. Mai 1988 Dompräbendar Professor Monsignore Geistlicher Rat Dr. Carl Winter in Freiburg aus diesem Leben abberufen. Eine bedeutende Persönlichkeit der Musica Sacra mit einem Wirken von seltener Vielschichtigkeit ist dahingeschieden.

Carl Winter, am 4. November 1898 zu Gommersbach im Jagsttal geboren, ist in Mannheim aufgewachsen, wo sein Vater Lehrer und Organist an der St. Josefskirche war. Sein Elternhaus, eine katholische Lehrersfamilie, in der die Musik eine bedeutende Rolle spielte, hat ihn früh geprägt. Den Ersten Weltkrieg mußte er im Feld verbringen. Heimgekehrt, begann er in Freiburg das Studium der katholischen Theologie und trat 1919 in das Collegium Borromaeum ein. 1923 wurde er zum Priester geweiht. Nach Jahren der Seelsorgetätigkeit als Kaplan in der Pfarrei St. Urban in Freiburg wurde ihm ein Zweitstudium an der Kirchenmusikschule Regensburg und an der Universität München ermöglicht, wo der Passauer Domorganist Otto Dunkelberg und der Musikwissenschaftler Rudolf von Ficker seine entscheidenden Lehrer waren. Nach der Promotion mit einer vielbeachteten Dissertation über Ruggiero Giovannelli wurde Carl Winter 1934 Domorganist am Freiburger Münster für die folgenden 38 Jahre. Damit begann sein Wirken als Priester und Künstler. Die feierliche Liturgie wurde sein zentrales Anliegen. In seinen Improvisationen suchte er das Erhabene des tradierten katholischen Kultus herauszuheben, suchte die Botschaft des Glaubens mit Musik zu verkündigen. Auch um den Nachwuchs an Kirchensängern kümmerte er sich in der Betreuung einer Knabenschola am Freiburger Münster. Die Münsterorgelkonzerte richtete er ab 1934 ein - in schwerer Zeit und gegen die Behinderung
durch die damaligen Machthaber. In der Nachkriegszeit nahm ihr Besuch stetig zu, so daß die sommerlichen Freiburger Münsterorgelkonzerte zeitweilig mehr Hörer aufwiesen als die städtischen Symphoniekonzerte und aus dem kulturellen Leben der Breisgau-Metropole nicht mehr wegzudenken sind.

In große Bedrängnis geriet Carl Winter am 27. November 1944 während des Bombenangriffs auf Freiburg, der fast die gesamte Altstadt in Schutt und Asche legte und das gotische Münster erhalten ließ. Carl Winter war zum Luftschutzwart des Münsters bestellt, überstand das Bombardement im Innern des Münsters, mußte aber miterleben, wie in seinem Wohnhaus neben dem Münster, ohne helfen zu können, alle seine bei ihm zu Besuch weilenden Angehörigen umkamen. Bei ihrer Bergung soll ihm als erstes ein Notenblatt zur Hand gekommen sein mit dem Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan`: Dieser furchtbare Schicksalsschlag hat ihn tief getroffen und für lange Jahre geprägt.

In seiner Leiderfahrung wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg der bevorzugte Beichtvater der Freiburger Männerwelt. Als Freiburgs Männer nach vielen Jahren des Krieges und der Gefangenschaft endlich nach Hause kamen, gingen sie dankbaren Herzens auch wieder sehr zahlreich zur Kirche, vornehmlich in das erhaltengebliebene Münster inmitten der Trümmer. An Samstagen bildeten sich im Chorumgang hinter dem Hochaltar Menschentrauben vor den Beichtstühlen. Von Carl Winter erbaten sie sich klugen Rat, und Jahre später, als die Beichte allgemein nicht mehr so gefragt war, blieb bei Carl Winter „Hochbetrieb" in Erwartung auf priesterlichen Zuspruch eines Geistlichen, der selbst Leid erfahren und die Männer verstand.

Nach dem Krieg begann auch sein Wirken an der Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg. Schon bald wurde Carl Winter in den Kreis derer einbezogen, die 1946 die Musikhochschule Freiburg am Münsterplatz gegründet hatten. Er wurde einer ihrer ersten Orgeldozenten. Gern nahm er den Wunsch aus dem Kreise der Schulmusikstudierenden nach einem Ausbildungsgang für katholische Kirchenmusik auf und setzte ihn 1947 in die Tat um mit der Einrichtung eines Studiengangs für katholische Kirchenmusiker, aus dem bedeutende Organisten und Chorleiter und wiederum Hochschullehrer hervorgegangen sind. In dieser neuen Dimension seines Wirkens lag ihm besonders am Herzen das liturgische Orgelspiel im Gottesdienst, wie er es selbst im Münster Unserer Lieben Frau praktizierte, dazu die Geschichte der Kirchenmusik, die Liturgiewissenschaft und die Verflechtung der Musik in der Kirche mit dem gottesdienstlichen Geschehen. Seine Vorlesungen waren getragen von reichem Wissen um das Werden musikalischer und liturgischer Formen. Mit seiner fundierten humanistischen, philosphischen und theologischen Bildung konnte er tiefes Verständnis wecken. Nicht nur die Musik der Vergangenheit war für ihn Gegenstand seiner ständigen wissenschaftlichen Forschung, konkretisiert in der bedeutenden Monographie über Ruggiero Giovannelli und in den Arbeiten über das frühe lateinische Oratorium, sondern auch die Musik der Gegenwart verfolgte er mit wachem Interesse, wie die Arbeit über Igor Strawinsky's Canticum Sacrum belegt. Mit seinem liebenswürdigen Wesen hat er sich unter Kollegen und Studierenden bleibende Freunde geschaffen. Seine Hochschätzung fand Ausdruck im ehrenvollen Auftrag, zum zehnjährigen Bestehen der Freiburger Musikhochschule die Festrede „Musik - Kult - Kultur" zu halten. Wie ein Cantus firmus durchzieht dieser Gedanke seine Schriften und Reden und seine Arbeit im Musikrat des Allgemeinen Cäcililenverbandes deutscher Sprache, getragen von der Idee der Kraft des Geistes, die die Musik durchwaltet.

Einen langgehegten Wunsch konnte er 1965 verwirklichen und die neuen, von den Firmen Marcussen, Rieger und Späth erbauten Orgelwerke des Freiburger Münsters ihrer Bestimmung übergeben. Gerne hatte er sich dabei beraten lassen durch befreundete Gastorganisten der sommerlichen Münsterkonzerte wie Fernando Germani und Anton Heiller. Auch wenn er schon 1972 das Amt des Domorganisten in andere Hände gegeben hatte, betreute er noch lange seine gebliebten Münsterorgelkonzerte organisatorisch und künstlerisch weiter.

Sein priesterliches Wirken, mit dem er als Dompräbendar begonnen hatte, währte noch lange fort. Dazu gehörte sein entschiedener Einsatz für eine Missionsstation in Settipatti in Indien mit einem Sanatorium für Leprakranke, dazu gehörte seine Vorbereitung von Konvertiten und seine Betreuung von Menschen in seelischer Not.

Möge er nun, der so vielen die Sicherheit und Geborgenheit im Glauben überzeugend vorlebte, nach den Worten des Tractus der Totenmesse „lucis aeternae beatitudine perfrui" - sich der Wonne des ewigen Lichtes erfreuen.

(aus: MUSICA SACRA 108, 1988, S. 327-328)

 

Nachrufe und Würdigungen: Dr. H. G.: Dr. Carl Winter, 60 Jahre Priester (1.7. 1923 ord.). In: Musica Sacra 103, 1983, S. 485-486. l J. A. [=Johannes Adam]: Priester und Künstler. Zum Tod des Freiburger Organisten Carl Winter. In: Badische Zeitun , Freiburg, 24.5. 1988. / Theo Schrimpf.- Beichtvater der Freiburger Männerwelt (Leserbrief. In: Badische Zeitung, Freiburg, 7.6. 1988. / o. V.: Nachruf. In: Konradsblatt, Karlsruhe, 19.6.1988 ( = gekürzte Fassung des bei Winters Beerdigung von Weihbischof Wolfgang Kirchgässner gehaltenen Nachrufs). / Hans Musch: ... implevit eum Dominus spiritu sapientiae ... Zum Tode von Carl Winter (1898-1988). In: Musica Sacra 108, 1988, S. 327-328. Christoph Schmider: Carl Winter: 1998-1988/chs. - In: Freiburger Biographien. - 1. Aufl. - Freiburg im Breisgau, 2002. - S.298-299. Christoph Schmider: Winter, Karl bzw. Carl Joseph: rk., Priester, Domorganist, Musikwissenschaftler. - In: Baden-Würtembergische Biographien. - 2. 1999. - S. 487-489.

Auswahlbibliographie der Schriften Winters: Ruggiero Giovannelli (c. 1560-1625). Nachfolger Palestrinas zu St. Peter in Rom. Eine stilkritische Studie zur Geschichte der römischen Schule um die Wende des 16. Jahrhunderts. Ntünchen 1935 (= Schriftenreihe des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität München, Band 1). / Das Orgelwerk des Freiburger Münsters. Erbaut von Orgelfabrik Welte & Söhne, Freiburg i. Br. Freiburg, Herder, o. D. [1937]. / Anton Bruckners Sendung für unsere Zeit. In: CVO. Zeitschrift für Kirchenmusik 69, 1949, S. 138-142. / Canticum Sancti Marci. Strawinsky's (sic!) neues geistliches Chorwerk. In: Musica Sacra 77, 1957, S. 8-17. / Das Orgelwerk des Freiburger Münsters. Freiburg, Christophorus, 1965. / Das Orgelwerk im Münster Unserer Lieben Frau Freiburg im Breisgau. In: Musica Sacra 86, 1966, S. 40-46. / Musik - Kult - Kultur. Festvortrag aus Anlaf~ der 34. Generalversammlung des ACV in Salzburg. In: Musica Sacra 95, 1975, S. 225-240. (zusammengestellt von Christoph Schmider)