Stille
Nacht 3 Variationen und ein Nachsatz aus der Ferne für Sprecher
und gemischten Chor a capella (1974/1980)
Variation 2 und 3
Uraufführung
der 3 Variationen: 8. Dezember 1974, Hamburg, St. Michaelis
Elisabeth
Flickenschildt (Sprecherin) / St. Michaelis-Chor / Günter Jena
Weitere Aufführungen in Hamburg, St. Michaelis:
9. Dezember 1978: Heinz Rühmann (Sprecher) / St. Michaelis-Chor / Günter Jena
5./6. Dezember 2015: Christiane Hörbiger (Sprecherin) / St. Michaelis-Chor / Christoph Schoener
Aufführungsdauer:
9 Minuten
Autograph A/B:
Titel: Stille Nacht / zu: Stille Nacht (Nachsatz aus der Ferne)
Umfang: 6 Seiten / 2 Seiten
Datierung: 23.11.74 / 1980
Aufbewahrungsort:
Verlag:
Schott Music C 52107 / ISMN: 979-0-001-14409-4
| | Notenbeispiele | Programm
1978 |
Stille
Nacht Stille Nacht,
Heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht Nur das traute, hochheilige
Paar. Holder Knabe im lockigen Haar, Schlafe in himmlischer Ruh! Stille
Nacht! Heilige Nacht! Gottes Sohn, o wie lacht Lieb' aus deinem göttlichen
Mund, Da uns schlägt die rettende Stund'. |: Christ in deiner Geburt!
:| Stille Nacht! Heilige
Nacht! Hirten erst kundgemacht Durch der Engel Alleluja, Tönt es
laut von fern und nah: |: "Christ der Retter ist da!" :| Vorwort
(Schott Music C 52107) Als
der neuberufene Kirchenmusikdirektor Günter Jena 1974 in Hamburgs größter
und traditionsreichster Kirche St. Michaelis die überaus erfolgreiche und
bis zum heutigen Tage stattfindende Konzertveranstaltung mit Musik und Dichtung
zur Adventszeit ins Leben rief, bat er Bertold Hummel für den Chor St. Michaelis
3 Variationen über das weltbekannte Weihnachtslied "Stille Nacht"
zu komponieren. Die Idee
war, den Sprecher, der zwischen den Musikstücken Dichtungen zur Advents-
und Weihnachtszeit vortrug in dieser Liedmotette mit einzubeziehen. Für
die drei ersten Aufführungen dieser Komposition im "Hamburger Michel"
standen mit Elisabeth Flickenschildt (1974/1975) und Heinz Rühmann (1978)
zwei der berühmtesten deutschen Schauspieler zur Verfügung. Nach einer Aufführung am 2. Weihnachtsfeiertag 1980 im Würzburger Kiliansdom
komponierte mein Vater auf Bitten der Würzburger Domsingknaben
noch einen "Nachsatz aus der Ferne". Damit kam er dem an diesem Feiertag
besonders ausgeprägten Harmoniebedürfnis entgegen und löste die
doppelbödige Schlussfloskel der dritten Strophe in strahlendes C-Dur auf.
Chöre, die dieses
wirkungsvolle Stück in ihr Weihnachtsprogramm aufnehmen wollen, mögen
über dessen Ausklang selbst entscheiden. Martin
Hummel
Den
Kompositionsauftrag formuliert Günther Jena folgendermaßen: Sehr
geehrter Herr Hummel! Beiliegend das Lied. Natürlich müßte
es für den Chor höher stehen. Da Frau Flickenschildt anwesend ist, könnte
die erste Strophe auch für Sprechstimme über Chor sein - ich weiß
aber nicht, ob das günstig ist, nachdem sie ja unmittelbar vorher die Geschichte
von Böll lesen soll. Zweiter und dritter Vers sollten meines Erachtens umgestellt
werden, um eine deutlichere (dynamische?) Steigerung zu erzielen. Es kann auch
eine Steigerung in der Stimmenzahl vorgenommen werden, es singen 90 - 100 Chorsänger. Der
ganze Abend wird mit mehreren Lichteffekten begleitet: er beginnt adventlich in
der abgedunkelten Kirche, dann treten Kerzen dazu und am Schluß des Abends
soll die Kirche bei weihnachtlichem Jubel festlich erleuchtet sein. Beim 3. Vers
könnte ein Scheinwerfer auf eine goldene Sonne und den erstandenen Christus
im Altarbild aufblenden und damit zum ersten Mal die Kirche merklich heller machen.
Leider habe ich die Böll-Geschichte zu Haus vergessen, aber Sie können
sich vielleicht in etwa vorstellen, welche Stimmung er in einem Hauptbahnhof am
Heilig Abend einfängt: Einsamkeit, Verlassenheit, Dunkelheit,Trostlosigkeit.
Mit
den herzlichsten Grüßen Ihr Günter Jena
Lesevorschläge:
Bei der beliebten Konzertreihe Musik und Dichtung
zur Adventszeit im Hamburger Michel wurden vor der Motette diese Texte gelesen:
Heinrich Böll: Weihnacht im Großstadtbahnhof (Elisabeth Flickenschildt, 1974) - danach Jochen Klepper: Die Nacht ist vorgedrungen
Karl Heinrich Waggerl: Das ist die stillste Zeit im Jahr (Heinz Rühmann, 1978)
Selma Lagerlöff: Die heilige Nacht (Christiane Hörbiger, 2015) - danach Johannes Kuhn: Glauben sie an Engel?
Presse
Musica
sacra, September/Oktober 2007 Das
Stück, das für den Chor der St. Michaelis-Kirche in Hamburg geschrieben
ist, integriert in der ersten Variation einen Sprecher. Über einem Cluster,
der sich aus dem ersten Liedmotiv dreimal neu entwickelt, rezitiert er (oder sie)
die erste Strophe. Damit ist der Sprecherpart schon erfüllt. In der zweiten
und dritten Strophe ist die Liedmelodie vollständig und unverändert
zu hören, erst im Alt, dann in Parallelen zwischen Sopran und Tenor. Was
man aber von den anderen Stimmen dazu zu hören bekommt, das ist im schönsten
Sinne unerhört! Keinerlei harmonischer Zuckerguss, kein Weihnachtskitsch,
keine musikalischen Goldlöckchen. Nur eine ganz logische motivische Entwicklung,
aus dem pp der zweiten Strophe heraus durch immer weitere Aufteilung der
Stimmen in ein ff in der dritten Strophe, in der Ober- und Unterchor parallel
geführt sind. Und gerade diese Logik ist so bestechend, die Akkordik, die
sich aus der Führung der einzelnen Stimmen ergibt, so erstaunlich neu und
doch so, als könne es gar nicht anders sein... Die dritte Strophe endet mit
dem Cluster der ersten, der "Nachsatz aus der Ferne" bringt eine
ganze "Strophe" nur auf Tonsilben, und führt den Hörer wieder
zurück "nach Hause", nach C-Dur. Einziger Wermutstropfen:
auch wenn es anders auf dem Titelblatt steht, der Chor ist wirklich in allen Stimmen
geteilt, Sopran und Tenor an wichtigen Stellen sogar dreifach, man braucht Bässe,
die auf dem tiefen g noch klingen, man braucht Soprane, die ohne Not lange
im pp auf dem hohen g verweilen können, man braucht einen wirklich
großen Chor dafür. Stefan Rauh
Fränkisches
Volksblatt, 29.12.1980 Hummels
vier-bis achtstimmiger Chorsatz zu Grubers weltbekannter Melodie "Stille
Nacht, heilige Nacht" (für Günther Jenas Michaelischor in Hamburg
verfaßt) beschäftigt sich mit Mustern, die flächige Klangteppiche
(mit Clusters und Gleittönen) in ein Wiegen und Wogen einfließen lassen.
Von überall her ertönen da quasi Engelsstimmen als Unter- und Überbau
zur Hauptmelodie, und dezente dissonante Reibungen entrücken die Stimmigkeit
jeglicher verführerischer Süßlichkeit.
Main-Post Karlsstadt, 16.12.2013
Künstlerischer
Höhepunkt des Konzertes war zweifellos „Stille Nacht – 3 Variationen
und ein Nachsatz aus der Ferne“ des Würzburger Komponisten Bertold
Hummel. Kai Christian Moritz rezitierte den bekannten Text zu
schwebenden Klanggebilden des Chors, die zwischen absoluter Harmonie
und atonalen Klangclustern pendelten und in der hohen gotischen Halle
nach oben strebten. Von überall her ertönten da quasi Engelsstimmen als
Unter- und Überbau zur Hauptmelodie, und dezente dissonante Reibungen
entrückten die Stimmigkeit jeglicher verführerischer Süßlichkeit. Nach
einem nur scheinbaren Ende des Stückes, der Chor hatte sich bereits von
der Bühne im Altarraum zurückgezogen, schallte plötzlich aus der
Rienecker Kapelle der glasklare, streng harmonische Nachsatz in die
mucksmäuschenstille Kirche.
Siehe
auch: Weihnachtsmusik
von Bertold Hummel
Liturgische
Musik von Bertold Hummel |