BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 96b Zurück zur Verzeichnisliste |
Musik für Saxophon (Es/Alt) und Orchester, op. 96b (1993/1995)
Hörbeispiel vom Ende der Kadenz bis zum Schluss der Komposition
Orchesterbesetzung: 2.2.2.2 - 3.3.2.1 - Pk., Schlgz. <2>, Streicher Uraufführung: 9. Februar 1996, Lublin (Polen)Andrzej Rzymkowski / Philharmonisches Orchester Lublin / Agnieszka Kreiner (Plakat) Widmung: für Andrzej Rzymkowski Autograph: Aufführungsdauer: 20 Minuten Verlag:
N. Simrock Hamburg-London (Boosey & Hawkes) Die "Musik für Saxophon (Es/Alt) und Orchester" op. 96b (1993/95) hat den Charakter einer Instrumentalballade mit rhapsodischen Elementen, in dem der Solist gleichsam als Erzähler fungiert. Das einsätzige Werk gliedert sich in sieben Abschnitte von gegensätzlicher dynamischer und rhythmischer Struktur. Eröffnet wird das Stück von einem sich auffächernden achtstimmigen Klang, der im Verlauf des Stückes wiederholt gliedernd eingesetzt wird. Ein diatonisches, lyrisches Thema des Soloinstruments entwickelt sich zu einem ersten Höhepunkt. Der zweite Abschnitte ist ein Allegro über pochenden Bässen, das in ein Orchestertutti mündet. Der gregorianische Hymnus "Pange, lingua, gloriosi" wird im dritten Abschnitt zitiert, um im vierten mit dem pochenden Allegro des zweiten Abschnitts verknüpft zu werden. Das gesamte Material des Werkes wird im folgenden Formteil - dessen Beginn durch den abrupten Abbruch einer Steigerung deutlich wird – in kurzen orchestralen und solistischen Episoden durchführungsartig verarbeitet. Eine letzte Steigerung leitet über zu der ausladenden Kadenz des Solisten, die den vorletzten Abschnitt bildet. In der Coda wird das Choralmotiv jazzartig verändert; dann wird ein 16stimmiger Klang aufgebaut, aus dem heraus sich das Saxophon letztmals musikalisch zu Wort meldet — mit einem B-A-C-H-Motiv, das zuvor schon mehrmals angeklungen war. Ein verhaltener E-Dur-Klang mit einem verlöschenden Aufwärtsglissando beendet das Werk in äußerstem Pianissimo. Bertold Hummel
Meine Musik
für Saxophon (Es/Alt) und Orchester op. 96b
hat den Charakter einer Instrumentalballade mit
rhapsodischen Elementen. Das narrative, einsätzige Werk
kann formal in 7 Abschnitte gegliedert werden, die sehr
gegensätzlich dynamische und rhythmische Strukturen
aufweisen, wobei der Solist quasi als "Erzähler"
fungiert. Lyrisches steht neben dramatischen Episoden. 1) Die ruhigen
Eröffnungstakte fächern einen 8-stimmigen Klang auf, der
im Verlauf des Stückes wiederholt gliedernd eingesetzt
wird. Ein diatonisches, lyrisches Thema des
Soloinstrumentes - durch einen bewegten Einschub
überblendet - entwickelt sich zu einem ersten Höhepunkt,
dem die Wiederkehr des Anfangs mit einem ausklingenden
Abgesang folgt. 2) Über
pochenden Bässen erhebt sich in verschiedenen
sequenzierenden Wellen ein Allegroteil der in ein
Orchestertutti mündet. Nach kurzem konzertantem
Imitationswechsel zwischen Solo und Orchester beruhigt
sich dieser Abschnitt. 3) In einen Mixturklang der Streicher eingebettet, wird der gregorianische Hymnus "Pange, lingua, gloriosi ..." zitiert. Im folgenden Verlauf des Stückes ist dieser Choral allgegenwärtig und erfährt vielerlei Metamorphosen.
5) Nach dem
abrupten Abbruch einer Steigerung leitet ein
aufgefächerter 12-töniger Akkord den Durchführungsteil
ein, der das gesamte Material des Werkes in kurzen
orchestralen und solistischen Episoden verschiedenartig
beleuchtet. 6) Eine letzte
Steigerung leitet über zu einer ausladenden Kadenz des
Soloinstrumentes. Auch hier sind wiederum alle
Satzelemente präsent. 7) In der Coda
erfährt das Choralmotiv zunächst eine jazzartige
Metamorphose. Schließlich wird ein 16-stimmiger Klang
aufgebaut, aus dem heraus sich das Soloinstrument
letztmals meldet mit dem "B-A-C-H" - Motiv, welches
schon mehrmals im Verlauf des Stückes angedeutet wurde.
Ein verhaltener E-Dur- Klang mit einem verlöschenden
Aufwärtsglissando beendet das Werk im äußersten
pianissimo. Die UA von op.
96b fand am 9. Februar 1996 in Lublin (Polen) statt mit
Andrzej Rzymkowski, dem das Werk auch gewidmet ist, und
dem Philharmonischen Orchester Lublin unter der Leitung
von Agnieszka Kreiner. Bertold
Hummel
Presse Göttinger Tageblatt 25.3.1998 Gregorianik auf dem Saxophon Am Kommenden Freitag erlebt die "Musik für Saxophon und Orchester" von Bertold Hummel im Konzert des Göttinger Symphonie Orchesters ihre deutsche Erstaufführung. Tageblatt-Redakteur Michael Schäfer sprach mit dem in Würzburg lebenden Komponisten. Tageblatt: In ihrem Werkverzeichnis taucht von Opus 68 an das Saxophon häufig auf. Hat das einen besonderen Grund? Hummel: In der Tat. Denn damals habe ich einen ausgezeichneten Saxophonisten aus Kanada kennengelernt, Normand DesChenes. Sein Spiel hat meine frühere Skepsis diesem Instrument gegenüber beseitigt. Später hat er etliche CD-Aufnahmen von meinen Stücken gemacht. Tageblatt: Von Ihrer "Musik für Saxophon" gab es zuvor eine Fassung für Horn und Orchester. Was hat Sie zur Umarbeitung bewogen? Hummel: Ich lernte den Saxophonisten Andrzej Rzymkowski kennen, der sich in seiner polnischen Heimat für meine Saxophonstücke einsetzt. Für ihn habe ich das Stück bearbeitet. Die Saxophonfassung ist ziemlich verändert gegenüber der Hornfassung, sie ist wesentlich virtuoser und hat eine ganz neue Kadenz. Andrzej Rzymkowski war auch der Solist der Uraufführung, die am 9. Februar 1996 in Lublin stattfand. Tageblatt: Im Mittelteil Ihres Stückes zitieren Sie, wie Sie in Ihrer Werkeinführung erwähnen, einen gregorianischen Hymnus. Gregorianik und Saxophon — wie passt das zusammen? Hummel: Der Klang des Saxophons, vor allem in der Tiefe, ähnelt der menschlichen Stimme. Insofern kann ich mit dem Saxophon auch einen gregorianischen Hymnus anstimmen. Auch Richard Wagner wollte übrigens ursprünglich das Saxophon im "Ring des Nibelungen" einsetzen - es verstärkt auf besondere Weise die Mittellage im Orchester. Tageblatt: Meinen Sie, daß Hörer aus dem Protestantischen Norden heute solche Melodien identifizieren können? Hummel: Sicherlich fällt es ihnen nicht so leicht wie den Polen, bei denen ich mich fast gewundert habe, daß sie den Hymnus bei der Uraufführung in Lublin nicht mitgesungen haben. Aber auch wenn man diese urtümlichen Melodien nicht kennt, vermittelt sich doch ihr besonderer Charakter. Seit Jahrhunderten - gleichsam unterirdisch - wirkt die Gregorianik in der abendländischen Musik immer noch mit. Tageblatt: Denken Sie beim Komponieren in erster Linie an Ihr Publikum, oder ist für Sie die musikalische Struktur das Primäre? Konkret: Würden Sie für einen angenehmeren Klang eine Idee opfern? Hummel: Das würde ich nicht tun. Aber für mich bleibt dennoch das Dreieck Komponist - Interpret - Hörer eine stete Herausforderung. Da bin ich erwas anderer Meinung als meine L‘art-pour-l‘art-Freunde, die ihre soziale Einordnung als Komponist offenbar nicht verstanden haben. Tageblatt: Sehen Sie eine Chance, die Kluft zwischen den Komponisten und dem Publikum von heute zu verkleinern? Hummel: Die Komponisten müssen sich der Rolle bewußt werden, die sie zu spielen haben. Tageblatt: Eine persönliche Frage: Sie haben sechs Söhne. Gibt es darunter Musiker? Hummel: Fünf sind Berufsmusiker geworden, einer Theologe. Und unter den Musikern sind zwei Komponisten. Einer von ihnen schreibt sehr avantgardistisch. Gegen ihn ist Helmut Lachenmann ein Altmeister.
Göttinger Tageblatt 30.3.1998 Hummels gefühlsbetonte Musik ist sehr wirkungsvoll. Manche Effekte muten etwas theatralisch an, aber sie sind stets dramaturgisch einsichtig vorbereitet. Und alle Saxophonisten können Hummel dankbar sein, daß er dieses zu Unrecht häufig nur als Mittel der Unterhaltungsmusik gescholtene Instrument mit einem derart ausdrucksstarken Konzert im "ernsten" Bereich bedacht hat. Endlich können Saxophonisten auch mal was anderes als Glasunow im Symphoniekonzert spielen.
Schwarzwälder Bote 29.1.2007 Im Mittelpunkt
des Abends stand dann das Saxofon-Konzert op. 96b von
Bertold Hummel (1995), das nicht nur wegen der Wahl des
Soloinstrumentes, sondern auch wegen seines
kompositorischen Inhalts und seiner Verarbeitung
geschätzt wird. Hummel schrieb für das zu Ende gehende
20. Jahrhundert vielfältige moderne Musik, die mit ihren
Klängen und Harmonien fest in ihrer Zeit steht, aber die
seltene Eigenschaft hat, Hörer nicht zu verschrecken,
sondern sie gekonnt einlädt, sich den neuen Klängen zu
öffnen. Das Saxofon-Konzert hat nicht die gewohnte
Einteilung in Sätze. Es hat sieben ineinander
übergehende Abschnitte und gleicht einer
Instrumentalballade. Das Saxofon erzählt. Das Orchester
nimmt die Eindrücke auf und verarbeitet sie in
vielfältiger Form. Ulrich Eißler |