BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 93


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Phantasus - Liederzyklus für Singstimme und Gitarre nach Gedichten von Arno Holz, op. 93 (1990)

I. In meinem schwarzen Taxuswald

II. Aus weißen Wolken

III. See, See, sonnigste See

IV. Vor meinem Fenster

V. Rote Rosen

VI. In meinem grünen Steinwald

 

Uraufführung: 5. Februar 1991, Dinkelsbühl, Konzertsaal
Martin Hummel / Clemer Andreotti

Widmung: für meinen Sohn Martin

Aufführungsdauer: 24 Minuten

Verlag: Vogt & Fritz VF 1095-00 / ISMN: M 2026-1418-1

I. III.IV.VI.

 

Arno Holz (1863-1929), der Begründer und Theoretiker des Naturalismus wies in seiner Spätphase bereits auf den Expressionismus hin. Dies gilt insbesondere für seine Versdichtung "Phantasus" (fast 1600 Seiten), verschieden lange, um die senkrechte Mittelachse der Seite angeordnete Zeilen.

Der Zyklus umfasst sechs ausgewählte Gedichte, deren Sinngehalt musikalisch zu deuten versucht wird. Die Gitarre übernimmt hierbei vielfach die Rolle des Kommentators — so besonders beim 3. Lied "See, See, sonnigste See", das den dramatischen Höhepunkt des Werkes darstellt. Die Gitarrenvorspiele des ersten und letzten Liedes korrespondieren miteinander und bilden dadurch quasi einen fomalen Rahmen. Während in den Liedern 1,2 und 4 das Lyrische vorherrscht, sind die Lieder 3 und 5 mehr dramatischen Zuschnitts. Im 6. Lied sorgt ein 36-taktiger Orgelpunkt für eine fahle Mondstimmung und einen verhaltenen Ausklang.

Der Zyklus entstand 1990 auf Anregung meines Sohnes Martin, dem er auch gewidmet ist.

Bertold Hummel

 

Seit den späten 80er Jahren finden sich bei Bertold Hummel auch Gesangszyklen, die von der traditionellen Klavierbegleitung abgehen. Als Variante zu ihr läßt sich noch Gitarrenbegleitung ansehen, welche - innerhalb des deutschen Liedbereichs - im späteren 18. und frühen 19. Jahrhundert sehr beliebt war. Hummel verwendet sie in seinem Liederzyklus "Phantasus" auf frei gewählte Gedichte aus der gleichnamigen Sammlung von Arno Holz. Obwohl sich die Möglichkeiten polyphoner Gestaltung auf der Gitarre drastisch reduzieren, hält Hummel prinzipiell an der Struktur seiner Klavierlieder fest. Sehr häufig findet sich allerdings typische Gitarrentechnik wie z.B. das Rasgado (permanentes Arpeggieren mit den Fingernägeln, meist von oben nach unten und zurück), etwa im Anfang des dritten Liedes ("See, See, sonnigste See"). Holzens artistische Neoromantik mit ihrer Rokoko-Nostalgie (seine naturalistischen Modernismen bleiben ausgeklammert) wird von Hummel etwas augenzwinkernd musikalisch eingefangen, z.B. wenn im ersten Lied auf relativ einfach genannten Blumen dann mit blinken eine abgezirkelte Variante desselben musikalischen Motivs erfolgt. Die instrumentale Einleitung dieses Liedes "In meinem schwarzen Taxuswald" kehrt beziehungsreich zu Beginn des letzten Liedes "In meinem grünen Steinwald" wieder, den Zyklus rundend. Das balladeske dritte Lied, "See, See, sonnigste See", gibt Hummel mit realistischem Humor wieder, was in der Singstimme zu Glissandi und Trillern und sogar zu jenem Sprechen auf angedeuteten Tonhöhen führt, das zuerst von Engelbert Humperdinck in der Frühfassung seiner "Königskinder" angewandt wurde. Wenn aber die Dreiklänge bei der Stelle wohnen die alten Götter im zweiten Lied ("Aus weißen Wolken") noch als Ironie erscheinen, hat man bei ihrem Wiederauftreten im letzten Lied den Eindruck, dass Mond und Sonnensee, die blauen Blumen und die Harfe doch als Stimmung so ernst genommen werden, dass der (wiederum offene) Schluß im C-Dur-Quartsext- bzw. Sextakkord überzeugt - umsomehr, als der Ton E schon während des ganzen Liedes (Abgesehen von dem erwähnten instrumentalen Vorspiel) durchklingt.

Wolfgang Osthoff (in "Zu den Liedern Bertold Hummels", Tutzing 1998)

 

Wolfgang Osthoff
Zu den Liedern Bertold Hummels

 

Arno Holz

Sechs Gedichte aus Phantasus

I.

In meinem schwarzen Taxuswald
singt ein Märchenvogel —
die ganze Nacht.
Blumen blinken.
Unter Sternen, die sich spiegeln,
treibt mein Boot.
Meine träumenden Hände
tauchen in schwimmende Wasserrosen.
Unten, lautlos, die Tiefe.

Fern die Ufer! Das Lied ...

II.

Aus weissen Wolken
baut sich ein Schloss.
Spiegelnde Seen, selige Wiesen,
singende Brunnen aus tiefstem Smaragd!
In seinen schimmernden Hallen
wohnen die alten Götter.
Noch immer, abends, wenn die Sonne
purpurn sinkt,
glühn seine Gärten,
von ihren Wundern bebt mein Herz
und lange ... steh ich. Sehnsüchtig!
Dann naht die Nacht, die Luft verlischt,
wie zitterndes Silber blinkt das Meer,
und über die ganze Welt hin
weht ein Duft wie von Rosen.

III.

See, See, sonnigste See, soweit du siehst!
Über die rollenden Wasser hin,
jauchzend, tausend Tritonen.
Auf ihren Schultern, muschelempor,
hoch, ein Weib.
Ihre Nacktheit in die Sonne.
Unter ihr, triefend,
die blendenden Perlmutterwände
immer wieder von Neuem hoch,
dick, feist, verliebt, wie Kröten,
sieben alte, glamsrige Meertaper.
Die Gesichter! Das Gestöhn und das Gepruste!
Da, plötzlich, wütend aus der Tiefe, Neptun.
Sein Bart blitzt. "Hallunken!"
Und, plitschplatsch, sein Dreizack
den sieben Schlappschwänzen um die Glatzen.
Die brüllen! Dann, schnell,
hier noch ein paar Tatschen,
dort noch ein Bauch — weg sind sie.
Die Schöne lächelt.
Neptun verbeugt sich.
"Madam?"

IV.

Vor meinem Fenster singt ein Vogel.
Still hör ich zu; mein Herz vergeht.
Er singt, was ich als Kind besass
und dann — vergessen.

V.

Rote Rosen winden sich um meine düstre Lanze.
Durch weisse Lilienwälder schnaubt mein Hengst.
Aus grünen Seen, Schilf im Haar,
tauchen schlanke, schleierlose Jungfraun.
Ich reite wie aus Erz. Immer, dicht vor mir,
fliegt der Vogel Phönix und singt.

VI.

In meinem grünen Steinwald scheint der Mond.
In seinem Licht sitzt ein blasses Weib und singt.
Von einem Sonnensee, von blauen Blumen,
von einem Kind, das Mutter ruft.
Müde fällt die Hand ihr übers Knie,
in ihrer stummen Harfe glänzt der Mond.