BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 89b


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Konzertante Musik für Gitarre und Streichorchester op. 89b (1989/1998)


I. Andante Anfang (Version mit Streichquartett)

II. Burleske

III. Arioso

IV. Finale Anfang (Version mit Streichquartett)

 

Uraufführung: 2. August 1998, Schweinfurt, Rathaus
Maximilian Mangold / Südthüringisches Kammerorchester / Bertold Hummel


Aufführungsdauer: 23 Minuten

Verlag: Vogt & Fritz VF 1060 / ISMN M 2026-1283-5
Errata: Partitur und Stimmen: III. Arioso, Takt 32: letzte Viertelpause entfällt. IV. Finale: Takt 16: Gitarren- und Violinstimme muss getauscht werden.
Nachträgliche Korrektur des Komponisten: IV. Finale: Sprung von Takt 98 bis einschließlich Takt 123


 

Maximilian Mangold, Südthüringisches Kammerorchester, Bertold Hummel - Schweinfurt 2.8.1998

Die Konzertante Musik für Gitarre und Streichorchester op. 89b ist eine 1998 von mir erstellte Erweiterung des Quintetts op. 89a aus dem Jahre 1989.

Im 1. Satz Andante wird über dem Orgelpunkt g ein 12-töniges Thema vorgetragen, zunächst von Viola und Violoncello. Die Gitarre stetzt quasi rezitaivisch diese Episode fort. Über dem Orgelpunkt E (Takt 11) setzt die Spiegelung ein; jetzt liegt das Thema bei den beiden Violinen. Auch das Gitarrenrezitativ verläuft in der Umkehrung. Im Takt 21 beginnt die Engführung der ersten 4 Töne des Themas; es schliesst sich über den Orgelpunkt A das 12-Ton-Thema in der Gitarre an, das überleitet zu einer choralartigen Phrase (Takt 31), die nach Fis-Dur führt. Wieder fällt die Gitarre mit dem Rezitativ ein. Die Wiederholung der Choralepisode endet mit H-Dur. Es schliesst sich eine Engführung der ersten 4 Töne des 12-Ton-Themas an. Eine Dreiklangsfolge (ab Takt 47)., die das ganze chromatische Material berücksichtigt, signalisiert den nahen Schluss des Satzes. Die 12-Tonreihe (ab Takt 54) erscheint ein letztes Mal und wird durch Haltetöne in den Streichern in einem vollchromatischen Klang umgesetzt.

Die Burleske (2. Satz) steht ganz im Zeichen der Gassenhauermelodie: "O du lieber Augustin". Eine turbulente Sechzehntelbewegung schafft den nötigen Gegensatz zu den Liedmetamorphosen, tonale gitarristische Allerweltsformeln tauchen auf und werden immer wieder weggewischt bzw. in Frage gestellt. Mit einer grossen Schlussgeste endet der Satz.

Im 3. Satz werden ariose, mit barocken Floskeln versehene Abschnitte eingeleitet, gegliedert, unterbrochen und beendet durch statisch klangliche wowie rezitativische Episoden.

Den Beschluss bildet ein konzertantes Finale mit Rondocharakter. Einem jazzartigen Thema über pochenden Bässen steht eine etwas groteske Marschepisode gegenüber, die in eine Gitarrenkadenz mündet. Es folgt eine Art Reprise mit Durchführung verschiedener Gedanken des 1. Teils. Die ruhige Coda erhält einen überraschenden Schluss.

Bertold Hummel

 

Bertold Hummel zeigt sich seiner Konzertanten Musik von der Zweiten Wiener Schule beeinflußt. Der erste Satz seines Werkes ist nämlich von dodekaphonen Strukturen bestimmt. Viermal erklingt eine Zwölftenreihe. Gleich zu Beginn wird sie im Unisono von Bratsche und Cello erstmals intoniert. Nach einem Zwischenspiel der Gitarre, das wie die folgenden Interludien in lockerer Weise Reihenbruchstücke verwendet, ist die Grundreihe den hohen Streichern überantwortet: allerdings jetzt in einem anderen Modus, als Umkehrung. Ein weiteres Zwischenspiel ist zu hören, endet mit einer Tremolopassage der Streicher. Nun wartet die Gitarre mit der Zwölftonreihe auf, transponiert sie zunächst von G nach A, dann in neuem rhythmischen Gewand nach E. Letztmals zieht ein von starken dynamischen Kontrasten geprägtes Zwischenspiel am Hörer vorüber, das wieder durch ein Streichertremolo beschlossen wird, bevor die Reihe ihre vierte Exposition erlebt. Die einzelnen Töne der Zwölftonmelodie sind dieses Mal allerdings nicht einem einzigen lnstrument anvertraut, sondern sie wandern durch die Stimmen aller Beteiligten ein Verfahren, das schon Anton Wehern verwendet hat: so im Schlußsatz seiner ersten Kantate.

Zur strengen Architektur des einleitenden Andante bildet der zweite Satz einen scharfen Kontrast zeichnet er sich doch durch Spielfreude und musikalischen Humor aus. Zum burlesken Ausdruck tragen das Zitat des Liedes "O, du lieber Augustin" und seine bis zum Grotesken reichenden Metamorphosen nicht unerheblich bei. Die Welt des lieben Augustin besingend, offenbart Hummel erneut seine Verbundenheit mit der Wiener Schule. Denn auch Schönberg erwies der Altwiener Volksweise und ihrem Helden seine Reverenz indem er sie in seinem zweiten Streichquartett zitierte.

Der dritte Satz der Konzertanten Musik, Arioso überschrieben, gestaltet sich abermals als eine Art Reise in die Vergangenheit. Mit seiner Fortspinnungsmelodik und mit seinen Anflügen von Kontrapunktik führt er den Hörer in die Epoche des Barock.

Das Finale schließlich ist in Form eines Rondos angelegt. Tänzerische Passagen. deren pulsierende Rhythmen vom Elan südamerikanischer Musik inspiriert zu sein scheinen treten mit marschartigen Sentenzen in einen prikelnden Wettstreit, der nur gelegentlich von lyrischen Passagen interpunktiert wird. Dem tänzerischen Element bleibt indes das letzte Wort vorbehalten: Nach einigen, die Septime durchmessenden Glissandi erklingt es ein letztes Mal - sozusagen in sublimierter Form - in den Flageoletts der Gitarre.

Matthias Henke