BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 72b


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Faustszenen nach einem Tanzpoem von Heinrich Heine für Bläser- und Schlagzeugensemble, (Konzertfassung) op. 72b (1979/1985)

I. Höllenzwang

II. Verführung

III. Tanz unseliger Geister

IV. Hexensabbat Anfang

V. Gretchen (Intermezzo)

VI. Jahrmarkt und Faust's Höllenfahrt

 

Uraufführung der Konzertfassung: 2. Dezember 1985, Würzburg, Hochschule für Musik
Bläser- und Schlagzeugensemble der Hochschule für Musik Würzburg / Günther Wich


Besetzung: 2.2.2.2 - 3.2.2.1 -Schlgz. <5>

Aufführungsdauer: 25 Minuten

Verlag: Schott Music

UNIMOZ 64

Video: Hummelwerke auf youtube


Das überaus fantasievolle Faustpoem von Heinrich Heine diente mir als Stimulans zu den fünf* Szenen, in denen ich versucht habe, in komprimierter Form die Farbigkeit der Bilder des Vorwurfs einzufangen. Die Figuren der Handlung sind mit melodischen und rhythmischen Leitmotiven versehen, die entsprechend dem Progress des Werkes permanenten Metamorphosen unterworfen werden. Das Werk entstand für die Berliner Festwochen in der Besetzung: Holz- und Blechbläser sowie fünf Schlagzeugern.

Bertold Hummel (Programmheft der Berliner Festwochen 1979, Seite 140)

* das Intermezzo "Gretchen" fügte Hummel später dem Werk hinzu.

 

I. Höllenzwang
Mitternacht. Faust zeichnet magische Kreise mit dem Schwert in die Erde — Beschwörung - (Höllenzwang) - Die Erde öffnet sich bei Donner und Blitz. Es erscheint als Tänzerin Mephistophela - Faust ist zunächst skeptisch, dann jedoch interessiert und fasziniert. Um ihr zu gefallen, läßt er sich von ihr das Tanzen lehren, was nach vergeblichen Versuchen letztlich auch gelingt. Die Erscheinung eines Trugbildes veranlaßt ihn schließlich, den Kontrakt mit Mephistophola zu schließen. Mit seiner Unterschrift entsagt er für irdische Genüsse seiner himmlischen Seligkeit. Danach ist Faust wieder alleine.

II. Verführung
Am Hofes des Herzogs erkennt Faust in der Gestalt der Herzogin das Trugbild, das ihm Mephistophela erscheinen ließ - Rendezvous.

III. Tanz unseliger Geister
In der Gestalt von Bacchantinnen tanzen die Gefährten Mephistophelas in der Vorfreude auf den Hexensabbat.

IV. Hexensabbat
Hexenronde - Notabilitäten der Unterwelt, skurril maskiert - verruchte Parodien von Kirchenmusik - Adoration des schwarzen Bockes - obszöne Tänze vor seinem Postament - voller Begeisterung stürzt sich Faust in das Treiben, als er dort die Herzogin erblickt. Als diese sich jedoch dem schwarzen Bock hingibt, ist Faust angeekelt von dieser Satansmesse und entweicht unbemerkt durch die Lüfte auf magischen Rossen - Die Orgie findet ihren Höhepunkt. Beim ersten Sonnenstrahl geht der schwarze Bock in Flammen auf - der ganze Spuk ist zu Ende.

V. Gretchen (Intermezzo)
Faust ist verzaubert von der reinen Natürlichkeit, Zucht und Schönheit der Bürgerstochter "Gretchen". Er scheint im bescheidenen Idyll das langersehnte Glück gefunden zu haben und ist entschlossen, Gretchen zum Altar zu führen.

VI. Jahrmarkt und Faust' Höllenfahrt
Man zieht auf den Platz vor der Kathedrale - Tanz, Frohsinn, Turbulenz, Trompetenstöße; - Höhnisch und angewidert betrachtet Mephistophela - als Herold verkleidet — das harmlos ausgelassene Treiben. Sie löst grosse Verwirrung aus, als sie Faust an seinen Kontrakt erinnert, den er mit seinem Blut unterzeichnet hat. Plötzlich bricht auf Beschwörung Mephistophelas ein schreckliches Gewitter herein - Fausts Zeit der irdischen Genüsse ist abgelaufen - alles Volk flieht in die nahe Kathedrale - die Glocken läuten - das Volk singt und betet - vergebens versucht Faust das Unheil abzuwenden - die Höllenfürsten fordern ihren Tribut - Mephistophela verwandelt sich in eine Schlange und erdrosselt Faust - die Erde tut sich auf - der teuflische Hofstaat verschwindet mit Faust in die Hölle.


Faust-Szenen Leitmodi

Franz Rauhut: Interview mit Bertold Hummel
(aus dem Programmheft der Berliner Festwochen 1979, die unter dem Thema "Faust" standen.)

Auf Wunsch eines englischen Theaterdirektors erdachte Heinrich Heine (1847) einen Faust in Ballettform, was kühn, aber realisierbar war, hatte doch Gluck einen Don Juan ("Le festin de Pierre") als Ballett komponiert, aber die Hoffnung auf das Rampenlicht für den "Doktor Faust, ein Tanzpoem", ging nicht in Erfüllung. Die poesievoll detaillierte Schilderung zündete bei dem Komponisten Bertold Hummel, der in seinen "Faustszenen für Bläser und Schlagzeuger" den Intentionen des Dichters in streng eingehaltener Folge mit einer ungemein suggestiven Musik gehorchte. Die Uraufführung in den "Berliner Festwochen" am 25. September 1979 durch die Bläservereinigung der Jungen Deutschen Philharmonie im Theatersaal der Hochschule der Künste fand eine begeisterte Aufnahme.

Im ersten Akt, Höllenzwang, in dem Dr. Faust in seinem Studierzimmer die Geister der Unterwelt heraufbeschwört und Mephistophela ihn durch das verführerische Bild der Herzogin im Spiegel zum Unterschreiben des Paktes verleitet, erdröhnen die dämonischen Motive der Musik mit überwältigender Schrecklichkeit, was sich in Variationen, mit gelegentlich skurriler Lautmalerei, durch alle Akte hindurchzieht.

Der zweite, Verführung, am herzoglichen Hofe spielend, läßt die Herzogin mit Faust und den Herzog, in ironischem Kontrast, mit Mephistophela tanzen.

Der Hexensabbat, im dritten Akt, ist als Höhepunkt des Ganzen dichterisch und musikalisch am reichsten mit Themen und Motiven gesättigt. Eine Hexe nach der andern kommt herbeigezischt; eine blasphemische Parodie der Messe ist dem als Bock auftretenden Satan gewidmet; er tanzt mit der Herzogin, die eine Satansbraut ist, ein Menuett; Faust erlebt mit ihr eine Enttäuschung, die die große Verführungskunst der Hölle als faulen Zauber entlarvt. Daraufhin läßt dem von der Sehnsucht nach dem Reinschönen Erfaßten Mephistophela die antike Helena erscheinen, deren Leitmotiv durch wechselnde Klangfarben bezaubert.

Fausts Versuch im nächsten Akt, der Helena betitelt ist, sich mit der berühmten Schönen zu vereinigen, mißlingt durch das Hereinstürmen der eifersüchtigen Herzogin; die antike Welt verfällt der Verwesung, was Faust durch Töten der Herzogin rächt.

Der abschließende fünfte Akt bietet das Volksfest einer Kirmes mit dem Charme munterer Musik. Der als Quacksalber auftretende Dr. Faust glaubt jetzt sein Glück endlich in der Häuslichkeit mit einem lieblichen Bürgermeisterstöchterlein zu finden, die er auf der Stelle ehelichen will, aber da tritt Mephistophela mit dem blutunterschriebenen Pakt dazwischen und der Sünder wird mit wuchtigem Spektakel in die Hölle abtransportiert, worauf das Leitmotiv Faust als lieblicher Nachklang ein letztes Mal ertönt.

Was hat Sie veranlaßt, nach Heines "Tanzpoem" zu greifen?
Von der Berliner Festwochenleitung wurde der Wunsch an mich herangetragen, eine Faustkomposition zu liefern. Ich hatte in meiner Studienzeit eine Bühnenmusik zu Marlow‘s Faust geschrieben. Das Faust-Thema hatte mich schon immer interessiert. Besonderes Interesse weckte bei mir Heinrich Heine‘s Bearbeitung des Stoffes als Tanzpoem. Hier sah ich die Möglichkeit, eine abwechslungsreiche Musik zu schreiben.

Warum haben Sie für die Struktur das Wagnersche Leitmotiv verwendet?
Um dem Hörer das Verständnis für die "Handlung" zu erleichtern, habe ich den handelnden Personen eine Tonfolge - quasi als "Leitmodus" mitgegeben, der je nach Situation der Handlung seine Gestalt verändert.

Läßt sich Ihr Werk der Gattung "Symphonische Dichtung" oder "Programmusik" zuordnen oder ziehen Sie eine Aufführung in Ballettform vor? Wäre ein kurzgefaßtes Programm dem Verständnis dienlich?
Ein kurzgefaßtes Programm könnte das Verständnis bei einer konzertanten Aufführung erleichtern. Eine Ballettfassung halte ich für die idealste Aufführungsform, sofern Choreografie und Inszenierung mit der Musik in Einklang gebracht wird.

Täusche ich mich, wenn mir gelegentlich irgend eine Vergleichbarkeit mit Dukas "Zauberlehrling" oder mit Strawinskys "Feuervogel" gegeben scheint?
Ob musikalische Querverbindungen zu den gennannten Werken bestehen, kann ich nicht sagen, dafür habe ich noch zu wenig Abstand von meiner Arbeit. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn sich meine "Faustszenen" ähnlich gut in die Literatur einordnen würden wie die genannten Werke.

Haben Sie zu dem Menschheitsproblem Faust ein persönliches Verhältnis?
Ich glaube, jeder kreative Mensch hat ein persönliches Verhältnis zum Faustproblem. Ich muß gestehen, daß ich nicht zuletzt durch meine jahrelange Freundschaft mit Luigi Malipiero, dessen Faustinszenierungen unvergessen sind, eine besonders ausgeprägte Affinität zur Faustgestalt bekommen habe.

Sie haben sich treu an Heines Schilderung des Geschehens gehalten, aber ganz am Schluß weichen Sie von ihm ab, indem Sie an die Stelle christlicher Glocken- und Orgelklänge das Faustmotiv ein letztes Mal hören lassen. Was hat Sie dazu bewogen?
Ganz zum Schluß meiner Faustszenen - quasi im Nachhall - erklingt noch einmal das Faustmotiv. Es soll anzeigen, daß das Faustische mit der Höllenfahrt nicht endgültig aus dieser Welt verschwunden Ist.

Warum haben Sie Ihr Orchester auf Bläser und Schlagzeuger reduziert?
Diese Besetzung war eine Bedingung des Kompositionsauftrags. Ursprünglich hätte ich lieber für volles Orchester geschrieben. Während der Arbeit reizte es mich, eine möglichst farbige Partitur herzustellen und ich hoffe, daß mir dies trotz der Besetzungsbeschränkung gelungen ist.

Sind Ihnen beim Komponieren besondere Schwierigkeiten aufgetaucht?
Schwierigkeiten sah ich nur in meiner angespannten zeitlichen Disposition und der daraus resultierenden Hektik bei der Herstellung des Aufführungsmaterials.

Legen Sie Wert auf leichte Verständlichkeit Ihres Werkes auf seiten des Publikums?
Ich lege größten Wert auf die Verständlichkeit meines Werkes und handle mir lieber den Vorwurf von Überdeutlichkeit ein, als daß ich den Zuhörer in hoffnungslose Verwirrung bringe.

Darf ich Sie nach der Dauer der Arbeit an Ihrem Opus fragen?
Das Werk wurde in der Hauptsache in den Monaten Juli und August 1979 komponiert und instrumentiert und hat mir eine außerordentliche Arbeitsleistung abverlangt.

 

Presse

Spandauer Volksblatt 27.9.1979

... seine Faustszenen sind mit eminentem Klangsinn und Sinn für Effekte gearbeitet. Eine solche Sammlung zumal von differenzierten Schlagzeugwirkungen erlebt man nicht alle Tage. Das Stück sollte seinen Weg machen...

 

Berliner Abend 26.91979

... (Hummels) Musik ist von krasser szenischer Wirkung und sehr publikumssicher ...

 

Tagesspiegel Berlin 27.9.1979

Großes handwerkliches Können und sicheren Spürsinn für Bläser- und Schlagzeugeffekte bewies der Komponist ...

Gleich der erste Satz "Höllenzwang" tauchte in den Schlund meckernder Holzbläser wie eherner Posaunenklänge, grundiert von Schlagzeug-Exzessen....

 

Weser-Kurier, Bremen 1.10.1979

Das unleugbare hochromantische Pathos für das Tanzpoem von Heinrich Heine wird hinübergerettet in eine doch neue Klangsprache, die primär bildlich und assoziativ ist....

 

Main-Post 4.12.1985

Hummel hat, das zeigte das energiegeladene Zusammenwirken von Bläsern und nicht weniger als fünf Schlagzeugern unter Günther Wichs klarer Zeichengebung, den direkten Zugriff auf das Wesentliche bei der Schilderung der fünf Stationen Fausts.

Nicht ohne Drastik wird der "Höllenzwang" beschworen, bizarr in den Konturen samt Blitz und Donner und Höllenlauten bis ins schroffe Tosen des Schlagzeugs im rhythmischen Taumel - das ist unmißverständlich, wie auch der geschliffene "Reigen unseliger Geister", und der mit aller Drastik vorbeifegende "Hexensabbat", in dem der "Dies irae" herumzugeistern scheint.

Und doch hört sich das nicht wie "Programmusik" an, sondern wie Klangvisionen auf durchaus realistischer Basis mit magischem Hintergrund, bis hin zum Schlußsatz "Jahrmarkt und Fausts Verdammung" mit seinen fantastisch-grellen Holzbläserpassagen. "Faustszenen" ein unbequemes Opus von unmittelbarer Wirkung.