BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 43


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Klangfiguren für Streicher, op. 43 (1971/72)


I.

II.

III.

 

Uraufführung: 16. Oktober 1971, Würzburg, Bayerisches Staatskonservatorium der Musik
Camerata Academica Salzburg / Marian Waskiewicz

Plakat der Erstaufführung

Aufführungsdauer: 10 Minuten

Autograph:
Titel: Klangfiguren
Umfang: 22 Seiten
Datierung: I. 14. Juli 71 II. 26.Juli 71 III. 15.I.72

Verlag: Schott Musik International ED 6542 / ISMN: 979-0-001-06959-5 (Partitur und Stimmen sind Kaufmaterial)

I.II.III.

Conventus Musicus CM 106

Video: Hummelwerke auf Youtube

 

Die Klangfiguren op. 43 entstanden als Auftragskomposition der Camerata academica des Mozarteums Salzburg und sind seit ihrer Uraufführung bereits von mehreren Orchestern aufgeführt und aufgenommen worden.

In drei locker miteinander verknüpften Sätzen, sind die spieltechnischen Möglichkeiten von 17 Solostreichern auf vielfältige Weise zu einem Mobile changierender Klänge organisiert. Der hohe Verschmelzungsgrad der Streichinstrumente läßt phantasievolle Klangmischungen entstehen, die verschiedene Grade der Bewegtheit, des Richtungswillens oder der Dichte annehmen. Die farblich reizvollen Klangmomente erwachsen auseinander und bilden eine Form, deren Idee die Fluktuation ist. Dazu bieten optische Vorstellungen wie z.B. Dreiecksrotationen und die Raum-Zeit-Figurationen eines Mobiles die Grundlage der Gestaltung. Die beiden Ecksätze ähneln einander in der Formidee und bilden einen symmetrischen Rahmen um den scherzohaft hingetupften Mittelsatz. Das Finale mit dem klangvollen Pathos eines langsamen Satzes bringt die "symphonie en miniature" zum Abschluß.

Bertold Hummel

 

Vorbemerkung (Schott ED 6542)

In den Klangfiguren werden Klänge und Spielweisen der Neuen Musik, wie z. B. Clusters (Tontrauben), vielstimmige Akkordbildungen, Klangüberlagerungen, Polyrhythmik usw. in exakter Notierung fixiert. So demonstriert Klangfigur II beispielsweise die Umsetzung geometrischer Figuren in musikalische Struktur. Wegen ihrer bewußt einfach gehaltenen Spieltechnik in allen Stimmen liegt der Hauptzweck des Werkes bei der Verwendung in der Orchestererziehung, insbesondere auch mit Laienorchestern. Die Wirkung der Klangfiguren hängt wesentlich ab von einer detaillierten Erarbeitung der Dynamik, Klangfarbe und Intonation in den einzelnen Stimmgruppen. Es empfiehlt sich deshalb, die zusammengehörenden Gruppen, wie sie im Partiturbild leicht erkennbar sind, gesondert und gründlich zu probieren und ihnen die musikalischen Vorgänge hörend bewußt zu machen. Bei den ausgeschriebenen Clusters sollen nach Möglichkeit keine einzelnen Stimmen aus dem Gesamtklang heraustreten: dies kann z. B. sehr gut in den Takten 1 - 4 des I. Stückes mit den Violinen 1 - 10, Viola 1 und 2 studiert werden. Wichtig ist demnach, daß die Klangfiguren, die sich aus vielen Einzelelementen mosaikartig zusammensetzen, zum Schluß einen klanglich wohlausgewogenen Gesamteindruck ergeben. Hierzu soll eine sorgfältige neuartige Hörerziehung des Einzelspielers im oben gesagten Sinne führen. Die Ausführung der Klangfiguren ist Laienorchestern durchaus erreichbar, die Stücke können aber auch den qualifizierten Kammerorchestern beim Erarbeiten neuer musikalischer Mittel als nutzbringende 'Etüden' bez. zur Erweiterung des Repertoirs dienen. Zum schnelleren Eindringen in die musikalische Aufgabenstellung sind die Einzelstimmen genau bezeichnet.


Im dreisätzigen Zyklus der Klangfiguren op. 43, enstanden 1971 als Auftragskomposition der Camerata academica des Mozarteums Salzburg und am 2. Oktober des gleichen Jahres dort uraufgeführt, werden dicht gearbeitete und vielschichtig organisierte Klangblöcke aus der Aufteilung des Streichorchesters in 17 Einzelstimmen abgeleitet. Neben Passagen einer vielstimmigen, linear konzipierten Polyphonie - z.B. im 1. Satz - kommt es zu chromatisch aufgefüllten Clustern von starker Wirkung. Der Ausdrucksgehalt solcher Tontrauben ist von sekundärer Bedeutung gegenüber der im Vordergrund stehenden formalen und strukturellen Anlage der ganzen Komposition.

Das chromatische Total wird im Eröffnungsabschnitt des 1. Satzes linear und simultan ausgebreitet. Daran schließen sich zwei längere Abschnitte an, in denen sich - ausgehend von einem Vierton-Modell - unterschiedliche Arten der Verflechtung von linearen und akkordlichen Vorgängen ereignen. Die Einheitlichkeit der Chromatik in allen Dimensionen bewirkt eine Kohärenz der relativ kurzen, zellartigen Motivgebilde, die dem Klanggeflecht ein bewegtes Innenleben verleihen.

Geometrische Figuren wie Rhombus, Dreieck und Rechteck geben dem 2. Satz Konturen, wobei vielfältige Spieltechniken auf den Streichinstrumenten für deren Farbgebung sorgen.

Der 3. Satz greift die motivische Satztechnik des 1. Satzes wieder auf, leitet jedoch eine größere Vielfalt von melodischen Gebilden aus dem Total möglicher Intervallbeziehungen ab. Der erste Abschnitt öffnet den Intervallfächer von der Kleinsekund (melisch exponiert) über die Großsekund (akkordisch exponiert) bis zu Terzen und Quart. Tritonus-Strukturen beherrschen die Melodik des kraftvollen zweiten Abschnitts. Der Schlußabschnitt beginnt zunächst mit einer Reminiszenz des Satzanfangs, läßt jedoch in Art einer Synthese die Gebilde der ersten beiden Abschnitte zusammenwachsen und in längeren Melodiebögen ausschwingen, ehe deutlich wahrnehmbare Quart-Quintstrukturen das Schließen des Intervallfächers zurück zur Sekund in der Coda einleiten.

Dr. Klaus H. Stahmer

 

Im Mai 1981 äußerte sich Bertold Hummel in einem Brief an den Freund und Dirigenten Günther Wich, dass er sich seine Klangfiguren op. 43 auch in einer choreographierten Interpretation vorstellen könnte.


Presse

Neue Osnabrücker Zeitung, 21.5.1983

Vor allem der erste Satz, dicht und streckenweise dialogisch-linear gearbeitet, hinterließ starken Eindruck. Aber auch die aufgefaserten bizarren Gesten der Figur II und die teils neo-expressionistisch, teils "sphärisch" anmutenden Ausbrüche und Klangschichtungen des Finales vermochten zu fesseln.

 

Main-Echo 19.10.1971

Klangfiguren 1 und 2 nannte Bertold Hummel das 1971 im Auftrag der Camerata Academica komponierte Opus für 24 Streicher - es könnte ebenso "Musikalisches Mobile" heißen. Klangbewegung ist sein hervorstechendes Merkmal, Technik in ihrer Fluktuation - einmal ohne Elektronik - rein instrumental in Musik umgesetzt. Der ständige Wechsel von gleißendem Flirren (Figur 1) oder Pizzicato-Tontrauben (Figur 2) zu energisch dagegengesetzten Klangblöcken, der Kontrast von logisch-zwangsläufiger Entwicklung und bewußt rauher Reihung unabhängiger Lautballungen, von melodischen Einsprengseln und atonal verdichteten Übersetzungen abstrakt-optischer Formen in klingende Gestalt - das alles macht den Reiz des ebenso kurzen wie kurzweiligen Werks aus.

 

Laienorchester in Bayern 5. Jahrgang Juni 1987

"Klangfiguren von Bertold Hummel" - Erfahrungen eines Laienorchesters mit der Avantgarde
Das Amberger Kammerorchester (8/8/4/4/3) hatte sich für sein Herbstkonzert 1986 neben Mozart und Stamitz für dieses Werk entschieden - ein schärferer Kontrast ist wohl kaum denkbar. Schon die erste Probe zeigte, daß an die Spieler völlig neue Anforderungen gestellt wurden: einmal in der Besetzung (Violinen 10fach, Bratschen und Celli jeweils 3fach geteilt), dann aber auch in der Spieltechnik, denn Hummel verlangt Flageolett, Spiel am Steg, Glissandi, Saitenaufschläge auf das Griffbrett etc. Vor allem was Hörgewohnheiten anbetraf, mußte mancher umdenken: Es ist nicht ganz einfach, ein "a" zu spielen, wenn der Nebenmann "ais", das hintere Pult "h" und "c" intoniert usw. Gerade von solchen "Clustern" aber lebt dieses Werk von Hummel, unter unserem Dirigenten Peter K. Donhauser erarbeiteten wir die drei Sätze im wörtlichen Sinne ,taktweise', um alle klanglichen und rhythmischen Raffinessen zu erfassen, mit denen z.B. Zweifel, Verharren, plötzlicher Entschluß usw. musikalisch dargestellt werden.
Vielleicht am wichtigsten war für viele unserer Orchestermitglieder die Erkenntnis, daß die Halb- und Ganztonschritte in den Clustern sauber intoniert werden müssen - auch und gerade in der modernen Musik hört man Unreinheiten! Dann aber die bange Frage: Können wir "so etwas Avantgardistisches" unserem konservativen, der Moderne doch eher "wohlwollend-ablehnend" gegenüberstehenden Publikum zumuten? Wir wagten es, der Dirigent sprach einige einführende Worte und ließ ein paar Takte und Cluster anspielen. Nach der Aufführung: Zwar keine Ovationen, doch ungewöhnlich langer und freundlicher Beifall.

Detlef Barth, Amberger Kammerochester


Stuttgarter Zeitung, 18.6.1974

... ein schön klingendes und effektvolles Sück, Musik eines freitonalen Quasi-Impressionismus, die für vornehmlich auf Barockmusik getrimmte Kammerorchester eine wohltuende Abwechslung sein sollte.

Wolfram Schwinger