Sinfonietta
für großes Blasorchester op. 39 (1970) I.
Fanfare II.
Tempo di Valse III.
Intermezzo IV.
Finale concertante
Anfang Uraufführung der Erstfassung (ohne Fanfare):
3. Juli 1970, Trossingen, Dr. Ernst-Hohner-Konzerthaus 10. Heeresmusikkorps
der Bundeswehr Ulm / Simon Dach Uraufführung der Endfassung: 28. Januar 1990, Hohenheim, Universität Concert Band der Universität Hohenheim / Patrick Siben
Besetzung:
Picc., 2 Fl., 2 Ob., E. H.,
Klar. in Es, 3 Klar. in B, Baß-Klar., 2 Fag., Kontra-Fag., 2 Alt-Sax. in
Es, Tenor-Sax. in B, Bariton-Sax. in Es, 4 Hrn. in F., 3 Cornett in B, 3 Trp.
in B, 4 Pos., Tenorhrn., Bariton, 2 Tb., Pk., Schlgz. <3-4> (Pk., Kl. Tr., Gr. Tr., Rührtrommel, Vibra, Xyl., 4 Beck.,
Beckenpaar, Ratsche, Triangel, Tamtam, Gong, 5 Tempelblock, 3 Tomtom) Aufführungsdauer:
18 Minuten
Autograph:
Titel: "Sinfonietta" f." gr. Blasorchester (sic.)
Umfang: 67 Seiten
Datierung: 14. April 70
Aufbewahrungsort:
Verlag:
N. Simrock Hamburg-London (Boosey & Hawkes) Partitur und Stimmen: ISMN
M-2211-1813-4 Partitur: ISMN M-2211-1812-7
Video: Hummelwerke auf youtube
Im
ersten Satz Fanfare spielt das Quintintervall eine vorherrschende
Rolle. Kanon, Verbreiterung (Augmentation) und Verengung (Diminution), begleitet
von ostinaten Figuren gliedern diesen kurzen Satz mit seinem Introduktionscharakter.
Im zweiten Satz Tempo
di valse gehören Walzer-und Ländlergesten zum Ausgangsmaterial
- kurz aufleuchtende Fanfarenklänge erinnern an den ersten Satz. Ähnlich
wie bei "La Valse" von Maurice Ravel handelt es sich bei diesem "gestörten"
Walzer nicht um einen Gesellschaftstanz, sondern um eine kritische Auseinandersetzung
mit dieser Tanzform. Völlig walzerunüblich drängt beispielsweise
ein punktierter Rhythmus zu einem überraschenden Schluß. Der
dritte Satz Intermezzo ist der "getragene" Teil des Werkes.
Drei Kurzmotive stehen einer ausschwingenden, ausgeterzten Melodie gegenüber.
Im Verlauf des Satzes durchdringen sich die Einzelelemente immer mehr bis hin
zu einem ritardierenden Schluß, der im äußersten pianissimo verhaucht.
Der ganze vierte Satz
Finale concertante wird durch ein sechstöniges Motiv floskelhaft
beherrscht. Ein zwanzigtaktiges Marschthema drängt sich auf, gefolgt von
einer "cantus-firmus-Bearbeitung" eines Landsknechtsliedes aus dem Dreißigjährigen
Krieg. Das Marschthema kündigt sich wieder an. In der Apotheose kommen alle
Satzelemente zum Zuge, wobei das "Gewebe" der Holzbläser - über
dem Soldatenlied als Kanon - zwölfftönig konzipiert ist. Eine kurze
Coda mit rasch aufgebautem Tutti beschließt das Werk. Bertold
Hummel |
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Musikalische
Struktur und Analyse
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Eine
detaillierte Analyse des Werkes befindet sich in der Diplomarbeit: Denis
Laile: Bertold Hummel und seine Werke für Blasorchester (3,21 MB)
Interview zur Uraufführung der Endfassung von op. 39 (1990)
Mit
dem 1. Satz "Fanfare" (in einer schlankeren Instrumentation) bewarb
sich Bertold Hummel bei der Ausschreibung für die Olympiafanfare 1972 in
München und erhielt dafür eine Olympische Silbermedaille:
Presse
M - Musik zum
Lesen 04/02 Großer
Nachholbedarf für Vermittlung neuer Klanglichkeit
Beim
Bayerischen Landesmusikfest in Bamberg steht die "Sinfonietta" von Bertold
Hummel für den Wettbewerb in der Höchststufe auf dem Programm. Bundesdirigent
Ernst Oestreicher, der für diese Auswahl verantwortlich zeichnet, traf den
Komponisten zum Gespräch.Die
"Sinfonietta" haben Sie bereits 1970 komponiert. Was war der Anlaß
und warum erlebt das Werk heute nach 30 Jahren eine Renaissance?
Mein op. 39 wurde für einen meiner Theorieschüler - heute ist er Oberstleutnant
und Leiter eines Luftwaffenmusikkorps - zu dessen Kapellmeisterprüfung geschrieben.
Zur Uraufführung stand das Heeresmusikkorps in Ulm zur Verfügung. Es
freut mich natürlich, daß das Werk noch oder wieder aktuell ist und
erneut Anklang findet. Dazu trägt sicherlich eine neue Herstellung des Werkes
bei, sowie die Möglichkeit, es käuflich zu erwerben, statt wie bisher
nur als Leihmaterial. Für
den Laienkonsumenten wie den Laienproduzenten - und das sind unsere Aktiven im
Nordbayerischen Musikbund überwiegend - ist Neue Musik auch heute noch gewöhnungsbedürftig,
wird häufig noch abgelehnt. Was sind die Gründe dafür?
Vielfach
haben sich meine Komponistenkollegen nicht intensiv genug mit "Musik von
und für Laien" beschäftigt, so daß auf diesem Gebiet erheblicher
Nachholbedarf besteht, neue Klanglichkeit sowie neue Satztechniken und Strukturen
zu vermitteln.Darf man dem Laienzuhörer
eine Hilfestellung geben oder sollte man es jedem Einzelnen überlassen, seine
eigene Hörgewohnheit bei dem Werk zu finden?
Generell sollte sich der Komponist so klar ausdrücken, daß es keines
Kommentars bedarf. Jedoch gibt es verschiedene Stufen des Musikverstehens:
Einmal das völlig unbeeinflußte naive Zuhören; dann das analytische
Hören,welches auch zu einem hohen ästhetischen Genuß führen
kann. Hierzu ist allerdings bei einem ungeschulten Hörer eine entsprechende
Hilfestellung vonnöten, was übrigens auch für klassisch-romantische
Musik gilt.
Welche
Hilfestellungen möchten Sie den Musikern und Zuhörern mit auf dem Weg
geben, um das Werk besser zu verstehen?
Neben einigen Musikbeispielen
und Formskizzen läßt sich über die vier Sätze das Folgende
sagen:
Im ersten
Satz (Fanfare) spielt das Quintintervall eine vorherrschende Rolle.
Kanon, Verbreiterung (Augmentation) und Verengung (Diminution), begleitet von
ostinaten Figuren gliedern diesen kurzen Satz mit seinem Introduktionscharakter.
Im zweiten Satz
(Tempo di valse) gehören Walzer-und Ländlergesten zum Ausgangsmaterial
- kurz aufleuchtende Fanfarenklänge erinnern an den ersten Satz. Ähnlich
wie bei "La Valse" von Maurice Ravel handelt es sich bei diesem "gestörten"
Walzer nicht um einen Gesellschaftstanz, sondern um eine kritische Auseinandersetzung
mit dieser Tanzform. Völlig walzerunüblich drängt beispielsweise
ein punktierter Rhythmus zu einem überraschenden Schluß.
Der
dritte Satz (Intermezzo) ist der "getragene" Teil
des Werkes. Drei Kurzmotive stehen einer aus schwingenden, ausgeterzten Melodie
gegenüber. Im Verlauf des Satzes durchdringen sich die Einzelelemente immer
mehr bis hin zu einem ritardierenden Schluß, der im äußersten
pianissimo verhaucht.
Der
ganze vierte Satz (Finale concertante) wird durch ein sechstöniges
Motiv floskelhaft beherrscht. Ein zwanzigtaktiges Marschthema drängt sich
auf, gefolgt von einer "cantus-firmus-Bearbeitung" eines Landsknechtsliedes
aus dem Dreißigjährigen Krieg. Das Marschthema kündigt sich wieder
an. In der Apotheose kommen alle Satzelemente zum Zuge, wobei das "Gewebe"
der Holzbläser - über dem Soldatenlied als Kanon - zwölfftönig
konzipiert ist. Eine kurze Coda mit rasch aufgebautem Tutti beschließt das
Werk.Bei einer Sinfonietta
erwartet man ja ursprünglich eine gewisse klassisch ausgeprägte Form.
Werden diese Erwartungen erfüllt? Eigentlich nur im vierten Satz,
der quasi eine Sonatensatzform aufweist. Die Sätze 1 bis 3 haben mehr den
Charakter von Suitensätzen. Wo
sehen Sie besondere Probleme für unsere Orchesterleiter bei der Einstudierung
dieses Werkes? Da oft einzelne Instrumentengruppen allein zu hören
sind, sollten besonders diese Stellen klanglich ausbalanciert werden; auch ist
die zum Teil sehr unterschiedliche Dynamik zu beachten, damit die musikalischen
und instrumentationsspezifischen Absichten des Komponisten zum Tragen kommen.
Sie haben die "Sinfonietta"
als eine "in die Jahre gekommene Tochter" bezeichnet. Was verbindet
Sie mit dieser Tochter des Jahrgangs 1970 und der damaligen Generation und Zeit?
Ich habe im allgemeinen keine Probleme mit meinen älteren Musentöchtern,
waren sie doch jeweils echter Ausdruck meines damaligen Musikdenkens und -erfindens.
Vielleicht schimmert ein wenig mein gespaltenes Verhältnis zu falschem Pathos
durch. Gerade Neue
Musik wird immer auch auf dieses Weise hinterfragt, inwieweit sie auf dem Boden
historischer Kompositionsansätze steht. Ist ihre "Sinfonietta"
von einem bestimmten Stil geprägt? Wir stehen immer auf den Schultern
unserer Vorfahren. Mein Stil ist eine Summe dessen, was mich als Komponist "gebildet"
hat. Der Versuch einer Synthese der verschiedensten kompositorischen Errungenschaften
der sogenannten "modernen Musik" kann sicherlich auch als "Neue,
zeitgenössische Musik" bezeichnet werden. Wie
ordnen Sie die "Sinfonietta" im Gesamtkontext Ihres Oeuvre für
Blasorchester ein? Die "Sinfonietta" stellte zur Zeit ihrer
Entstehung für mich den Versuch dar, mitzuhelfen, die etwas verkrustete Blasmusikliteratur
zu beleben und aufzuwerten. Sie war meine erste umfassende Arbeit im Metier Blasorchester
und hat daher in meinem Schaffen eine besondere Bedeutung. Ich wünsche mir,
daß möglichst viele Blasorchester sich der Herausforderung dieses Werkes
stellen, insbesondere beim Wettbewerb in Bamberg. Sie
sind Berufsmusiker und waren Präsident der Hochschule für Musik in Würzburg.
Wie sehen Sie als ehemaliger Leiter einer solchen Profischmiede das Bemühen
der Laienmusikverbände und ihrer Blasorchester, Neue Musik zu interpretieren?
Dieses Bemühen kann ich nur begrüßen und versuchen, es mit allen
mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern. Musik
steht immer im Dreieck Komponist - Interpret - Hörer. Dieses Verhältnis
ist leider nicht immer ungestört. Die Interpreten jammern schon vor der ersten
Beschäftigung mit Neuer Musik, daß sie unverständlich ist, der
Zuhörer beklagt die "schrägen Akkorde" und eine scheinbare
Zusammenhanglosigkeit. Wie können wir zukünftig das Verhältnis
zwischen Komponist und seinen "Opfern", die die Kompositionen spielen
und hören müssen, verbessern? Von größter Wichtigkeit
für mich als Komponist ist meine soziologische Stellung in der Gesellschaft.
Ich nehme nicht nur mich, sondern auch Interpreten und Publikum ernst. So hoffe
ich, daß sich bei Aufführungen meiner Werke ein Dreieck des Einvernehmens
einstellt - zwischen Komponist - Ausführenden - und Hörern. Dies kann
sich natürlich auf verschiedenen Ebenen ereignen. Hierzu gehört von
seiten des Komponisten eine genaue Einschätzung der technischen Fähigkeiten
der Interpreten, eine große Erfahrung und Kenntnis im Umgang mit den jeweiligen
Instrumentarium - sowie von seiten der Interpreten und Hörern eine unvoreingenommene
Offenheit den neuen Werken gegenüber. Blasorchesterwerke
und -komponisten werden von der GEMA häufig unbesehen in die Kategorie U-Musik
klassifiziert, was vor allem vielen Komponisten, die "ernstzunehmende"
neue Musik schreiben, benachteiligt. Ist diese Trennung zwischen E- und U-Musik
überhaupt noch zeitgemäß oder sollte man hier andere Differenzierungskritierien
finden? Dies liegt häufig an der Art der Programmerfassung. Viele
der besagten E-Werke erscheinen im Eröffnungsteil von Konzertprogrammen,
die außerdem mehrheitlich mit Werken der U-Musik bestückt sind. Hier
ist der Werkausschuß der GEMA im Bedarfsfall anzurufen. Über "E"
und "U" wurde und wird viel diskutiert. Es gibt unzählige Niveau-Stufen
vom Oratorium, der Sinfonie bis hin zum banalen Schlager, denen die GEMA in einem
komplizierten Einstufungsverfahren gerecht zu werden versucht und das jährlich
durch die Mitgliederversammlung den Erfahrungserkenntnissen entsprechend angepaßt
und verfeinert wird. Dies ist meines Erachtens immer noch gerechter als eine Vereinheitlichung,
die beispielsweise den Autoren mit rein kommerziellen Tendenzen aus dem jetzigen
U-Bereich eine große Bevorzugung bescheren würde. Die Kulturschaffenden
im eigentlichen Sinne würden mit Sicherheit stark benachteiligt sein (vergleiche
hierzu auch Urheberrechtswahrnehmungsgesetz vom 08.05.1998, BGB, §7): "Der
Verteilungsplan soll dem Grundsatz entsprechen, daß kulturell bedeutende
Werke und Leistungen zu fördern sind". Professor
Hummel, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und wünsche, daß
die "Sinfonietta" zu einem "Klassiker" der Literatur für
sinfonische Blasorchester werden kann. Am
Ende der Betrachtungen zu Bertold Hummels Sinfonik ist ein Hinweis auf sein Schaffen
für das Laienmusizieren notwendig. Auf diesem Gebiet steht er voll in der
Tradition seiner Lehrmeister Genzmer und Hindemith, die ebenfalls die Nähe
zur Praxis der nichtprofessionellen Musiker nie verloren. Naturgemäß
gilt die Maxime: Je einfacher das Konzept, desto diatonischer und reduzierter
sind die Bausteine und Klänge. Der Aspekt der Farbe tritt dann in den Hintergrund
und die kompositorische Fraktur wird stärker von zeichnerisch linearen Strukturen
bestimmt, die deutlich konventioneller wirken. Von den sinfonischen Werken
zählen die Stücke für Blasorchester zu den einfachen Kompositionen.
Ausgesprochen für Laien komponiert wurde die „Sinfonietta“
op. 39, 1970 entstanden, und die „Musica Urbana“ op. 81c,
die Hummel 1983 komponierte und die ein Jahr später in seinem Geburtsort
Hüfingen unter seiner Leitung mit ortsansässigen Spielern aus der Taufe
gehoben wurde. Für etwas gehobenere Ansprüche schuf Hummel 1977 die
„Oregonsinfonie“ op. 67, die am 7. April 1978 in Ashland/Oregon
(USA) in Anwesenheit des Komponisten zum ersten Mal erklang. Neun Jahre später,
anläßlich seiner zweiten USA-Reise, führte Hummel die „Sinfonische
Ouvertüre“ op. 81d (den erweiterten ersten Satz der "Oregonsinfonie“)
in seinem Gepäck mit und brachte sie am 21. November 1987 in Seattle mit
der W.I.B.C Directors Band zur Uraufführung. Claus
Kühnl (in "Die sinfonischen Werke Bertold Hummels",
Tutzing, 1998) |