Julius Weismann (26. Dezember 1879 Freiburg/Brsg. - 22. Dezember 1950 Singen am Hohentwiel)



… bei dem Spätromantiker Julius Weismann in die Lehre geschickt, regte sich schon bald die kompositorische Ader, die zunächst spätromantisch anschwoll, aber dann einer neuen Sachlichkeit wich. 8. November 1964

… schon in sehr jungen Jahren Theorieunterricht beim Spätromantiker Julius Weismann, an den mich viele persönliche Erinnerungen binden. 8. November 1964

... bei dem Spätromantiker Julius Weismann machte ich während meiner Schulzeit meine ersten kompositiorischen Gehversuche. 1974

... An meinem Lehrer Julius Weismann hat mich die impressionistische Klangphantasie sowie der harmonische Reichtum und die formale Vielfalt gefesselt. 12. Juli 1981

Bertold Hummel 


Julius Weismann (Foto: Wieland Wagner-Bayreuth, 21.1.1950)

 
Widmung: "Zur Erinnerung an den Julius Weismann Gedenk-Abend am 23.2.1951"
Auf der Rückseite dieses Fotos dankt die Familie Weismann Bertold Hummel für seine Mitwirkung als Cellist bei dem Freiburger Konzert. Zur Aufführung kommen u.a. Weismanns Streichquartett a-moll op. 133 und die "Tagore-Lieder" für Alt und Klaviertrio, op. 67.


Julius Weismann - Sein Leben

Als Sohn des berühmten Zoologen und Vererbungsforschers August Weismann, Professor an der Freiburger Universität und Begründer des Neodarwinismus, wurde Julius Weismann am 26. Dezember 1879 in Freiburg geboren. Da er in seiner Jugend lange kränkelte, erhielt er seine Bildung durch Privatlehrer sowie durch seinen Vater. Bereits als Elfjähriger erhielt Julius Weismann von 1891-92 Kompositions- und Kontrapunktunterricht bei dem als konservativ geltenden Liechtensteiner Joseph Rheinberger in München. Von 1893 bis 1895 nahm er Klavierunterricht bei dem Lisztschüler Hermann Dimmler in Freiburg, Sprachstudien in Lausanne (1896-98) folgten, und für ein Semester (1898/99) studierte er in Berlin - die "musikalisch-überhebliche, akademisch verbrähmte - und verbrahmste - Atmosphäre" (Weismann) bei Friedrich Stumpf und Leopold von Herzogenberg stieß ihn jedoch ab. Die folgenden drei Jahre bei Ludwig Thuille, Nachfolger Rheinbergers in München, haben Weismann in seiner Entwicklung weitergebracht, sie zeigen aber auch sein ausgeprägtes Einzelgängertum: "Seltsam, daß ich jenen Menschen, mit denen ich durch die Liebe zu den Bergen in Beziehung trat, so oft näherkam - die Musik hingegen wirkte meistens als etwas Trennendes, und ich mied jene Kreise öfter, als daß ich sie suchte. Hätte ich nicht in der Familie meiner späteren Frau so liebe Aufnahme gefunden, ich wäre wohl sehr einsam gewesen. Im Thuille-Kreis gab es eben nur einen Obergott, das war Richard Wagner - und zwei lebende Götter: Max von Schillings und Ludwig Thuille! Was sollte ich 'klassizistischer' Mensch damit anfangen! Trotz meiner ehrlichen Begeisterung für Thuilles Oper 'Lobetanz' und sein Bläser-Sextett fühlte ich bald eine Kluft, die sich auftun und mich von der 'Münchener Schule' trennen würde. Trotzdem arbeitete ich eifrig bei Thuille. Für viele spätere Beurteiler meiner Musik schien ich zur Münchener Schule zu gehören. Ein großer Irrtum! Gewiß trug meine Musik nach einiger Zeit Züge davon - aber viel mehr durch den Obergott Richard Wagner als durch die Untergötter!"
1902 heiratete Weismann die Konzertsängerin Anna Hecker und ließ sich als freischaffender Komponist in München nieder - vielleicht mit ein Grund, warum er in seiner ersten Schaffensphase so viele Sololieder mit Klavierbegleitung schrieb. 1906 kehrte er in seine Heimatstadt Freiburg zurück und wirkte außerdem als Pianist und Dirigent. Die zwanziger Jahre wurden zur produktivsten Etappe in Weismanns Leben: Innerhalb von zehn Jahren entstanden fünf seiner sechs Opern. Der Durchbruch war geschafft. 1929 wurde er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste und erhielt ein Jahr später deren Beethoven-Preis. 1930 gründete Weismann mit Erich Doflein das Freiburger Musikseminar, aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Freiburger Musikhochschule hervorging. Dort lehrte er Tonsatz und leitete die Meisterklasse für Klavier. 1939 wurde er zum Ehrenbürger von Freiburg ernannt und erhielt den Leipziger Bachpreis. Doch im selben Jahr zog er nach Nussdorf (bei Überlingen) am Bodensee und gab zwei Jahre später seine Lehrtätigkeit auf. Weismann, ohnehin ein eher scheuer Einzelgänger, wenn auch Freunden gegenüber herzlich, zog sich allmählich vom öffentlichen Leben zurück. Die letzten Lebensjahre Weismanns waren von klaglos ertragener Krankheit, Skepsis, aber auch fleißigem Komponieren und zahlreichen Hauskonzerten im engsten Freundeskreis bis ins Todesjahr 1950 gekennzeichnet. Am 22. Dezember 1950, kurz vor seinem 71. Geburtstag, starb Julius Weismann in Singen am Hohentwiel.

- Stilistische Stellung

Das Schaffen Julius Weismanns ist ebenso umfangreich wie vielschichtig: Es geht bis zur Opuszahl 157a (wobei es zahlreiche Werke ohne Opuszahl gibt), und es umfaßt (abgesehen von geistlicher Musik) so ziemlich jede musikalische Gattung - von Opern, Schauspielmusiken, Chorwerken, Liedern, über Symphonien, Konzerte, Klavierstücke aller Art bis zur Kammermusik, die einen zentralen Platz bei ihm einnimmt und von der aus sich das Gesamtwerk erschließen läßt. Ein Werkverzeichnis ist beim Julius-Weismann-Archiv in Duisburg zu erhalten.
Die stattliche, kontinuierliche Produktivität Weismanns erklärt sich aus zwei Gründen: Bis 1930 und ab 1941 konnte er sich weitgehend ungehindert durch Amtspflichten auf seine Arbeit konzentrieren, da er als freischaffender Komponist, Pianist, Dirigent und Liedbegleiter tätig war. Seine Skizzenbücher, die er auf jeder Wanderung mitnahm, zeigen, daß Weismann die Einfälle, die er in der freien Natur hatte, fließend niederschrieb. Er komponierte ohne Klavier mit einer offensichtlich hervorragenden inneren Klangvorstellung und einer fertigen inneren Konzeption.
Fülle und Vielfältigkeit bringt auch das Problem mit sich, das Werk stilistisch einzuordnen. Der Pianist Franzpeter Goebels hat anhand Weismanns Klavierwerk den Versuch einer Gliederung unternommen: Bis op. 68 (1917) sieht er eine "romantische" bzw. "naive" Phase, beeinflußt von Schumann. Ab op. 76 (1918/20) bis op. 87 (1923) mache sich durch die Differenzierung und Konzentration der Harmonik und der Mittel "der Einfluß Debussys bemerkbar". Von op. 93 (1926) bis op. 109 (1931) straffen laut Goebels "konstruktive Züge die Form", er sieht "eine Art neue Musik im Anbruch" und die "Polyphonie wird härter". Den Spätstil Weismanns, der in besonderem Maße von kontrapunktischem Denken und der Hinwendung zu Bach geprägt ist, läßt er ab op. 114 (1933/34) beginnen, fügt aber hinzu: "Man sträubt sich jedoch, ein so vielschichtiges Werk in diesem Sinne zu periodisieren. Die Übergänge sind fließend und jedes einzelne Werk will erhört und aus seiner Mitte verstanden sein."
Versuche, Weismanns Werk einzuordnen, finden sich zu jeder Zeit. Bereits 1907 urteilte Thomas-San-Galli (über die Symphonie h-Moll op. 19): "Wenn wir historische Ähnlichkeiten nennen sollten, so würden wir Anklänge an Schumann hier und da finden können. Ab und zu wandelt auch einmal Brahms in undeutlichen Umrissen vorbei. Eigentliche Verwandtschaft aber hat Weismann mit Franz Schubert." Alexander Berrsche, der Klassiker der Münchner Musikkritik, hebt bei Weismann "die Gabe einer reichen, unbeschwerten Phantasie" und "die Leichtigkeit, mit der er stets über sie gebot" hervor. Adolf Weißmann, einer der bedeutendsten Berliner Musikschriftsteller seiner Zeit, erwähnt in seinem Buch Musik in der Weltkrise (1922) auch Julius Weismann: "Und nun ließen sich in langer Reihe die aufzählen, die auf verschiedenen Wegen, manche abseits von der gebrochenen Linie der modernen Kunst, Lösungen suchen. ... Rüstig am Werk ist Julius Weismann, der einen Stil zwischen dem Brahmsischen und dem Modernen, jedenfalls aber Geschlossenheit sucht ... Ein Umstürzler ist er nicht, eher ein Abseitiger, der namentlich in Kammermusikwerken ein zurückhaltendes Wesen bekennt." (S. 232)
Richard Wagners Enkel Wieland Wagner, der sich gegen Weismanns Lebensende intensiv um ihn kümmerte, sah Weismanns Musik "... in den Bereichen des Meta-physischen beheimatet, er empfindet sich nur als Mittler eines Geschenkes, das er in begnadeter Stunde empfängt. Modernste, in den Grenzbezirken der Tonalität schweifende Harmonik verbindet sich organisch mit unerbittlicher Strenge und gläubiger Demut der musikalischen Konzeption."
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Interesse an neuesten musikalischen Entwicklungen so groß, daß in Deutschland Komponisten, die nicht die Richtungen von Hindemith, Strawinsky, Schönberg und Webern weiterführten, als "konservativ" beiseitegeschoben wurden. Für Individualisten wie Julius Weismann war nur wenig Platz. Hinzu war sein Werk bei Herausgabe des ersten Werkverzeichnisses 1955 auf 20 verschiedene Verlage zersplittert, und ein großer Teil der Kompositionen war nur im Manuskript vorhanden. Doch schon längst ist die Zeit dafür reif, die Musik Weismanns neu zu entdecken.
1954 wurde unter Anregung von Wieland Wagner das Julius-Weismann-Archiv in Duisburg gegründet. Weismanns Manuskripte, Skizzenbücher sowie weitere Materialien des Archivs wurden 1981 als Dauerleihgabe an die Duisburger Stadtbibliothek übergeben. Und von Duisburg aus setzt sich die Geschäftsstelle des Archivs für die Verbreitung von Weismanns Schaffen ein.

Gerd Rataj (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Labels MDG www.mdg.de)