Emil Seiler (5. Februar 1906 Nürnberg - 21. März 1998 Freiburg i. Brsg.) Zurück zur Verzeichnisliste |
Bertold Hummel besucht von 1947 bis 1954 an der Hochschule für Musik in Freiburg den Kammermusikunterricht bei Emil Seiler. Dieser bestärkt ihn darin, als Cellist seine
Begabung
eher in der Kammermusik als im Virtuosentum zu suchen. Hummel
musiziert mit Seiler in öffentlichen Konzerten und begleitet ihn
als Continuospieler bei Rundfunkaufnahmen. Bis zu Seilers Tod stehen die
beiden Musiker in herzlichem Kontakt.
Emil Seiler ca. 1930
Prof. Emil
Seiler in Memoriam Angeregt wurde Emil Seiler nicht zuletzt von Paul Hindemith, der ihn seit 1929 für neue Bratschen-Kompositionen und seine Experimente mit den historischen Instrumenten der Berliner Instrumentensammlung begeisterte. Werner Eginhard Köhler hob bereits 1938 in seiner Dissertation über die Viola d'amore die Verdienste Emil Seilers als Advokat der Viola d'amore hervor und schreibt im Hinblick auf Hindemith und Seiler, die er anschließend erwähnt: "Künstler der jungen Generation…haben sich eifrig für eine Wiederbelebung des Viola d'amore- Spiels eingesetzt und sich besonders dadurch Verdienste erworben, daß sie die alte wertvolle Original-Literatur, die noch in den Bibliotheken der Auswertung und Veröffentlichung harrt, einem größeren Hörerkreis erschlossen haben." Ein bekanntes Photo zeigt Hindemith und Seiler bei einer Aufführung im Musikinstrumenten-Museum, bei der beide auf sogennanten "Diskant-Violen" oder Viole d'amore ohne Resonanzsaiten spielen. Über die Biographie Emil Seilers informieren Harry Danks in seinem Buch über die Viola d'amore (Halesowen 1976, S. 102) und Maurice Riley im ersten Band seiner "History of the Viola" (Ann Arbor 1980, S. 360). Trotzdem erscheint es angebracht, dem Lebenswerk dieses verdienten Mannes unsere besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Anhand des Materials, das seine Witwe und seine Tochter zur Verfügung stellten und das auch einer autobiographische Skizze enthält, soll daher ein ausführlicher Lebenslauf Emil Seilers nachgezeichnet werden. 1.
Musikalische Ausbildung Nach dem Abschluß einer dreijährigen Banklehre begann Emil Seiler 1925 sein Musikstudium am Nürnberger Konservatorium bei Seby Horváth, einem Schuler von Albert Rosé. Seiler wurde bald sein bevorzugter Schüler. Der Unterricht bestand nach Seilers Angaben aus der Bogen- und Fingertechnik von Sevcik sowie Etüden von Klatt, Werken von Bach und den Sonaten von Grieg und Pfitzner. Horváth förderte auch die sich abzeichnende Unterrichtsbegabung Seilers, indem er ihn seinen Sohn unterrichten ließ. Seiler bemerkt dazu in seinen Erinnerungen: "Die Freude am Unterrichten bleibt bis zum Ende meines Lebens." Jede Woche fanden unter Horváths Leitung Klassenstunden mit Kammermusik statt, bei denen Emil Seiler im Steichquartett Bratsche spielte. Zu einem unvergeßlichen Schüsselerlebnis wurde für ihn die Arbeit an dem Trio für 2 Violinen und Viola von Zoltán Kodaly. Mit diesem Werk weckte Horváth nicht nur Seilers Interesse für die neue Musik, sondern auch seine Liebe zu dem Klang der Bratsche, und Seiler schreibt "ab jetzt wurde sie mein eigenstes Instrument." 1928 setzte Emil Seiler sein Studium an der Berliner Musikhochschule bei dem erst 30jährigen Prof. Joseph Wolfsthal fort, der ein Schüler Fleschs war. Daher wurde das Umlernen von der Wiener Rosé-Technik auf das Flesch-System notwendig. Die Assistentin Wolfsthals, eine ältere Dame mit Namen Schiemann, war ihm bei der Umstellung durch ihre tägliche Repetition behilflich. Seiler war besonders berührt von den Werken der neuen Musik, die er mit Wolfstahl studierte (Hindemith, Milhaud, Strawinsky), aber er wurde von seinem Lehrer auch dazu angehalten, die Werke Bachs nach dem Original zu spielen. In dieser Zeit war Emil Seiler, wie fast alle Wolfstahl-Schüler, Mitglied in dem Kammerorchester Michael Taube und spielte in den Kammerorchestern von Hans von Benda und Edwin Fischer. Prof. Wolfstahl ließ Emil Seiler 1929 die Viola d'amore-Sonate von Paul Hindemith, der an der Berliner Hochschule eine Professor für Komposition inne hatte, einstudieren und stellte ihn damit dem Komponisten vor. Daraus erwuchs eine intensive Zusammenarbeit, gerade auch auf dem Gebiet der alten Musik, denn in den folgenden Jahren gab Seiler als Hindemith Kammermusik-Partner zahlreiche Konzerte, deren Herzstück regelmäßig die Partita c-moll für zwei Viole d'amore von Biber war. Unter der Leitung von Curt Sachs erhielt Emil Seiler die Gelegenheit, die Viola d'amore, Viola pomposa, verschiedene andere Violen, Pochette und sogar Nagelgeige auf originalen Instrumenten zu erlernen. Diese Instrumente enstammten der ehemaligen königlichen Musikinstrumenten-Sammlung, die damals noch ein Teil der Berliner Musikhochschule in Charlottenburg war und heute das Herzstück des Berliner Instrumentenmuseums ausmacht. (Gerade die Viola d'amore-Instrumente sind jedoch heute leider nicht mehr erhalten, da sie seit der Auslagerung im Bombenkrieg verschollen sind und wahrschleinlich zerstört wurden). Sachs produzierte außerdem einem Film über alte Instrumente bei der UfA, an dem Seiler mitwirkte. Im der Folge lud ihn Hellmuth Christian Wolff ein, die Viola d'amore an der Berliner Universität vorzusführen und ermöglichte es ihm, in der Staatsbibliothek alte Manuskripte mit Viola d'amore-Literatur einzusehen und zu kopieren. Bei dieser Gelegenheit lernte Emil Seiler auch Vadim Borissowsky kennen,, mit dem ihm eine dauernde Freundschaft verband und den er im September 1971 in Moskau besuchte. Im Februar 1932 erkrankte der Geiger Joseph Wolfstahl auf einer Amerikareise an einer Lungenentzündung und verstarb 34jährig noch auf der Reise. Nach dem plötzlichen Tod seines Geigenprofessors setzte Emil Seiler sein Studium bei Prof. Hans Mahlke in Berlin fort, bei dem er jetzt ausschließlich Bratsche studierte. Als Emil Seiler ein halbes Jahr später bei seiner Reifeprüfung eine Solosonate von Hindemith und das Hindemith gewidmete Viola-Konzert op. 108 von Milhaud spielte, erntete er spöttische Bermerkungen zu seinem Engagement für die neue Musik, denn 1932, ein Jahr vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, hatte die ultrakonservative Musikauffassung auch in Berlin an Boden gewonnen. Damals ahnte noch niemand, daß Emil Seiler nicht zuletzt durch dieses Eintreten für die Werke Hindemiths einmal Nachfolger seines Lehrers Mahlke an der Hochschule der Künste in West-Berlin werden sollte. 2.
Neue und alte Musik im nationalsozialistischen Berlin Hans Mersmann bereitete damals in Zusammenarbeit mit Hindemith und Seiler Rundfunksendungen mit neuer Kammermusik am Deutschlandsender Berlin vor. 1933 wurde er jedoch wegen seines Engagements für die neue Musik von der Technischen Hochschule Berlin entlassen. In seiner letzten Sendung, die Mersmann 1934 nur noch als Zuschauer von außen mitverfolgen konnte, spielte Emil Seiler die Sonatine für Viola und Klavier von Paul Dessau und das Heckelphon-Trio von Paul Hindemith. Wenige Monate später wurde Hindemith von den Nationalsozialisten mit einem Aufführungsverbot belegt. Von allen Aufnahmen, an denen Seiler mitwirkte, sammelte er die Unikat-Mitschnitte, die er vom Rundfunk auf Schallplatten erhielt. Von 1935 bis 1943 war Emil Seiler koordinierter Solobratscher in neugegründeten Orchester des Deutschlandsenders Berlin. In den ersten drei Jahren spielte Walter Trampler (+ September 1997) als zweiter koordinierter Solobratscher mit ihn am Pult. Herausragende Dirigenten waren: Richard Strauss, Herbert von Karajan, Hans Rosbaud, Carl Schuricht, Willem Mengelberg, Clemens Kraus, Karl Böhm, Oswald Kabasta, Robert Steger und Rudolf Schulz-Dornburg. Daneben unterrichtete Emil Seiler von 1935 bis 1943 am Konservatorium Klindworth-Scharwenka sowie von 1940 bis 1943 an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin. Seit 1941 war Seiler zusätzlich verantwortlich für Kammermusik am Deutschlandsender Berlin. Die Programme, die er spielte, beschränkten sich meistens auf barocke Kammermusik mit Viola d'amore, da neue Musik, nicht gesendet wurde. Trotzdem spielte Emil Seiler weiterhin neue Kompositionen, etwa in regelmäßigen Hauskonzerten bei dem "entarteten" Maler Emil Nolde in Berlin, die dessen Frau zusammen mit der Pianistin Frau Tscharner organisierte. Außerdem nahm er (1942-43) an den dreiwöchigen Sonntagsmatineen in der Musikbibliothek Berlin-Charlottenburg teil, bei der neue Kammermusik aufgeführt wurde. Zusammen mit der Pianistin Edith Picht-Axenfeld spielte Werke von Harald Genzmer, Johann Nepomuk David und Cäsar Bresgen. 3.
Glückliche Jahre in Österreich In dieser Zeit entstanden zahlreiche Aufnahmen mit alter Musik, besonders für den Deutschlandsender Prag. Aber auch neue Musik wurde gepflegt. Der Komponist Johann Nepomuk David, den Seiler von Berliner Aufführungen seiner Werke her kannte, war aus dem ausgebombten Leipzig in seinen Geburtsort Eferding bei Linz übergesiedelt. Er besuchte Emil Seiler wiederholt im Bruckner-Stift, da er in seiner Jugend selbst Chorknabe in St. Florian war. Während er sich die alte Musik anhörte, meinte er: "Ich werde auch alte Musik schreiben, und zwar ganz anders." Er widmete Emil Seiler seine Solosonate für Viola op. 31 Nr. 3 und komponierte weitere Werke für die Musiker um Seiler (Sonate für Laute op. 31 Nr. 5, Duos op. 32 für Flöte und Viola, Blockflöte und Laute, Klarinette und Viola). Für Seiler entstanden weiterhin die Duo-Sonate op. 31a für Viola d'amore und Viola da gamba (1942) sowie die Variationen über ein eigenes Thema op. 32 Nr. 4 (jetzt op. posth.) für gleiche Besetzung (1945). Im Zusammenhang mit David berichtet Seiler in seinen Erinnerungen von einem interessanten Vorfall, über den auch in St. Florian gelacht wurde: In den 40er Jarhen empfanden es die Machtbar in Deutschland als störend, daß Johann Nepomuk David als Direktor der Leipziger Musikhochschule einen alttestamentarischen Namen trägt. Also empfahl der Oberbürgermeister von Leipzig dem Komponisten dringend, seinen Namen abgzulegen und stattdessen den Namen des "von Hitler so sehr verehrten Richard Wagner" anzunehmen. Daß der Österreicher David dieses Ansinnen ablehnte, braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden. Drei Wochen vor Kriegsende wurden Seiler, Gerwig und Tietz zum Militär nach Linz, dem sogennanten "Volkssturm", eingezogen. Werner Tietz, der mit der Cembalisten Lisedore Häge verlobt war, fiel noch in den letzten Kriegstagen. Emil Seiler geriet in amerikanaische Gefangenschaft und wurde wenig später mit einer schweren Krankheit entlassen. Bei seiner Rückkehr nach St. Florian, in das die Amerikaner inzwischen eingezogen waren (sie nannten sie die "Happy Abbey"), fand er die Rundfunk-Mitschnitte seiner Kammermusik-Sendungen, unter anderem mit Werken von Strawinski und Hindemith, nicht mehr vor. Die Suche Seilers nach seinen kostbaren Klangdokumenten blieb auch in den folgengen Jahren erfolglos. 4. Als Professor
in Deutschland Zu Weihnachten 1946 wurden alle Deutschen aus Österreich ausgewiesen, und Emil Seiler kam über München und Nürnberg nach Freiburg. Dort wurde er 1946 zunächst Dozent an der Freiburger Musikhochschule, bevor er 1947 die Professor für Viola, Viola d'amore und Kammermusk erhielt. Im Kammermusikkreis um den Leiter der Hochschule, den Flötisten Gustav Scheck, widmete er sich wieder der neuen sowie der alten Musik (Konzertreisen mit Debussy-Trio und Solosonaten von Reger und Hindemith.) Ab
Februar 1955 folgte Emil Seiler einem Ruf an die Berliner Hochschule als Nachfolger
seines ehemaligen Lehrers Prof. Hans Mahlke. Dort versuchte er, an den Geist seiner
eingenen Berliner Studienzeit anzuknüpfen. In der Instrumentensammlung fand
Emil Seiler ein Duplikat-Instrument der Viola d'amore von Hindemith vor, das ebenfalls
von Sprenger gebaut war. Er bemerkt dazu: "Hindemith spielte die Sprenger
Viola d'amore sehr gerne, da sie sehr gut die Stimmung hielt." Im Archiv
der Hochschule fand er den schriftlichen Nachlaß Hindemiths mit vielen Abschriften
von Werken für Viola d'amore und andere historische Instrumente. Die Auflistung
Seilers aus dem Gedächtnis spiegelt das Repertoire jener Berliner Pioniertaten
auf dem Gebiet der Viola d'amore: Einige seiner zahlreichen Schüler wurden durch Emil Seiler zum Viola d'amorespiel angeregt. Neben seiner intensiven Unterrichtstütigkeit widmete sich Seiler viele Jahre lang der Arbeit mit dem Berliner Streichquartett, mit dem er ausgedehnte Konzertreisen ins Ausland unternahm. Die übrigen Mitglieder des Quartetts waren die Geiger Rudolf Schulz und Willi Kirch sowie der Cellist Lutz Walther. Seilers eigenhändige Liste der Werke, die ihm gewidmet sind, umfaßt 13 Kompositionen für Bratsche, Seiler erwähnt keine Werke für Viola d'amore, auch nicht die oben genannten Kompositionen Davids. Möglicherweise existiert noch eine weitere Aufzählung mit Viola d'amore-Kompositionen, deren Widmungsträger er ist. Die Viola-Liste sei hier im Wortlaut wiedergegeben: David
Solosonate 1974 trat Emil Seiler in den Ruhestand und konzertierte nicht mehr öffentlich. Er siedelte nach Freiburg und gründete dort den Musik-Kindergarten "Pflüger-Stiftung," in dem Kinder schon früh spielerisch an das Geigespielen herangeführt werden sollten. Bei der Umstrukturierung der Pflüger-Stiftung 1977 löste sich Emil Seiler wieder von dieser Einrichtung und führte seither ein zurückgezogenes Leben in Freiburg. An dem internationalen Viola d'amore-Kongress 1988 in Stuttgart nahm Emil Seiler als Ehrengast der "Viola d'amore Society of America" teil. Ein eigenes Referat war seinen Verdiensten um das Instrument gewidmet. Am 5. Februar 1996 feierte er seinen 90. Geburtstag und erhielt Ehrungen durch die Stadt Freiburg, den Berliner Senat und die Viola d'amore-Gesellschaft. Emil
Seiler wohnte nur wenige Gehminuten entfernt von der Wohnung des Autors in Freiburg,
der während der vergangenen 6 Jahre das Glück hatte, viele anregende
Gespräche mit ihm frühren zu dürfen und darüber hinaus sogar
noch einige Unterrichtsstunden zu erhalten. Am. 21. März 1998 ging das ereignisreiche
Leben Emil Seilers nach 92 Jahre friedlich zu Ende. Sein Tod ist ein Verlust für
alle, denen die Viola d'amore am Herzen liegt. |