Reinhard
Schulz Anmerkungen
zu Bertold Hummel Der
Zerfall der Einheit innerhalb der Zeitgenössischen Musik findet nicht zuletzt
darin seinen Niederschlag, dass dem Musiker droht, auf der Strecke zu bleiben.
Die Einheit zwischen musikantischem Gestus und Gewicht der Aussage scheint unterminiert.
Die Debatte darüber, ob Neue Musik ins Abonnement gehöre oder besser
nach alternativen Räumen Ausschau hielte, spricht im wesentlichen auch dieses
Dilemma an. In der Zwischenzeit aber wachsen junge Interpreten heran, die sich
- zumindest teilweise - von ihren Komponistenkollegen im Stich gelassen fühlen.
Diese nämlich fordern vom Orchestermusiker ein Höchstmaß an Technik,
Flexibilität und Konzentration, dem Bedürfnis nach umfassender Präsentation
wird hingegen weit spärlicher nachgegeben. Es bildet sich vor allem in Kreisen
der Kritik das Verdikt gegenüber der "Spielmusik" aus, die sich
nur im eigenen Kreise drehe und den weitergeschrittenen Tendenzen des Materials
nicht Rechnung trage. Das
Defizit aber blieb. Um ihm zu begegnen, entstand hieraus in Deutschland eine kompositorische
Richtung, die sich insbesondere am Schaffen Paul Hindemiths orientierte. Heute
findet diese Richtung wieder weit entschiedeneres Gehör. Ihr gehört
auch Bertold Hummel an, der über seinen Lehrer Harald Genzmer gewissermaßen
als "Enkel" Hindemiths angesehen werden kann. Man kennt keine Berührungsängste
was musikantische Spielformen, auch was pädagogische Aspekte des Musizierens
betrifft. Dass dies auf große Resonanz trifft, belegen schon allein die
Aufführungszahlen, die die der Avantgarde oft bei weitem übertreffen. Bertold
Hummel, geboren 1925 in Hüfingen, also nahe bei Donaueschingen, wo Hindemith
zu dieser Zeit seine Konzerte mit zeitgenössischer Musik installierte, zählt
sich nicht zu dieser Avantgarde mit ihren Selbstisolierungstendenzen, mit ihrer
hausgemachten Ghettoisierung. Nie suchte er mit seiner Musik aus dem Rahmen der
tradierten Konzertformen auszubrechen, er betrachtet sie als angestammte Form
musikalischer Kommunikation mit ihren weiten Möglichkeiten vom großen
Konzertsaal bis hin in die Kirche. So zählt denn auch die Kirchenmusik für
den Katholiken Hummel zu einem seiner wesentlichen Betätigungsgebiete. Hier
entstand im vergangenen Jahr ein monumentales, zweieinhalbstündiges Hauptwerk,
das Oratorium "Der Schrein der Märtyrer", das in Würzburg
uraufgeführt wurde, wo er seit 1963 als Kompositionslehrer tätig ist.
Zwischen 1979 und 1997 war er Präsident der Hochschule, daneben leitete er
von 1963 bis 1988 das Studio für Neue Musik Würzburg. Viele
Kompositionen Hummels entstanden im Umfeld mit den Konzerten beim Studio für
Neue Musik, auch in Zusammenarbeit mit der Schlagzeugschule von Siegfried Fink.
In diesen Werken verbindet sich pädagogischer Ansatz mit einem ganz persönlichen
musikantischen Stil. Originalität
sowie "Anwendbarkeit" der Musik standen für Bertold Hummel immer
im Mittelpunkt seines kompositorischen Denkens. Dabei verließ er sich durchaus
auf barocke oder klassische Musikschemata, die Sonatine, das Divertimento oder
auch die Suite wurden immer wieder als Basis für die Werke herangezogen,
vor allem wenn das spielerische Moment in Zusammenhang mit dem pädagogischen
im Mittelpunkt stand. In
eigenständigeren, vielleicht gewichtigeren Arbeiten, entstand daneben in
Auseinandersetzung mit neueren Erfahrungen der Avantgarde-Kompositionen ein
"Klangfarbenstil", der den außerordentlichen Instrumentationsfähigkeiten
Hummels besonders entgegenkam. Auch hier aber sah er sich auf der Seite des "Anwenders"
wie er überhaupt grundsätzlich in der Geschichte zwei Typen von Künstlern,
von Komponisten ausmachte: die "Erfindernaturen" (Hummel bezeichnete
sie als "Leuchttürme" wozu er etwa Haydn, Beethoven, Liszt, Debussy
oder Schönberg zählte, und die "amalgamierenden Naturen",
wozu er etwa Bach, Mozart oder Brahms rechnete. Hummel fühlt sich der zweiten
Gruppe in seinem Schaffen enger verbunden, stets versucht er Experimente und deren
Ergebnisse in sein Schaffen stimmig zu integrieren, sie dem Interpreten, gleichsam
durch die eigene Brille gesehen, zur Verfügung zu stellen. Freilich birgt
dies immer die Gefahr des Schematismus, dem gerade aber steht das Moment der Originalität
gegenüber. Hieran erweist sich letztlich das Gelingen eines Werkes. Dem Druck
aber zwischen Pädagogischem Impetus, Spielmusikhaltung und individueller
Note hat es standzuhalten. Ansonsten kommt das Schaffen unter die Räder der
Banalität oder des Elitären. (aus
dem Programmheft der Münchner Philharmoniker: 2. Kammerkonzert, München
1990, S.4-5)
Claus
Kühnl Klassische
Ordnung erweitert Bertold Hummel - Komponist im zwanzigsten Jahrhundert
Bertold Hummel, dessen Metier
das Komponieren und nicht das präzise Reden und Schreiben über Musik
gewesen ist, hat sich, auf sein Schaffen zurückblickend, in den vergangenen
fünf Jahren hin und wieder selbst als Eklektizisten bezeichnet. Da er natürlich
wusste, dass dieser Begriff in der Regel als Negativvokabel gebraucht wird - "eklektisch"
meint: aus Vorhandenem auswählend, daher unoriginell - sprach er manchmal
von einem "schöpferischen Eklektizismus". Im
Nachruf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. August 2002 schrieb Michael
Gassmann: "Er sah sich als jemand, der ,sämtliche Experimente beobachtet
und analysiert hat’. Bertold Hummel war also alles das, was ein Avantgardist
nicht ist - aber er war ein Begeisterter." Dies scheint mir etwas überspitzt
formuliert, enthält aber einen wahren Kern. Worin unterschied sich also Bertold
Hummels Musikmachen von dem der Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre,
denn dies waren die entscheidenden Jahre seiner Generation, und wenn er ein Begeisterter
war, wovon war er begeistert? Programmatisch für die gesamte musikalische
Avantgarde formulierte Karl-Heinz Stockhausen in seinem Arbeitsbericht 1952/53
deren ästhetischen Ansatz wie folgt: "Auf die unmittelbare Klangvorstellung
kann man sich nicht mehr verlassen. Die Klangvorstellung ist durch alle Musik
bestimmt, die man bisher gehört hat. Wenn sie weiterhin Gültigkeit hätte,
müsste man sich auch weiterhin der klassischen Ordnung fügen."
1 Die schöpferische
Alternative zum Weitermachen wie bisher brachte bekanntlich die serielle und die
elektronische Musik hervor, deren Genese anfangs mit seriellen Methoden zustandegebracht
wurde. Bertold Hummel hat in der Tat keines seiner Werke auf serielle Techniken
gestützt. Mir gegenüber erwähnte er einmal, er hätte in seinen
Anfängen Studien mit totaler Vorherbestimmung von Tonhöhen, Dauern und
Klangfarben durchgeführt, sei aber von den Ergebnissen abgestoßen gewesen. Hummel
sah für sich keine Notwendigkeit, den klassischen Ordnungen die Gültigkeit
abzusprechen. Freilich wollte er sich ihnen auch nicht ohne weiteres fügen.
Er wollte diese Ordnungen, wo es seine schöpferische Neugierde gebot, erweitern
und um eigene Lösungen bereichern: Dies war seine, im Anfang meines Unterrichts
bei ihm stets betonte Vorstellung von Originalität. Deshalb rang er, ab den
siebziger Jahren mit zunehmender Hartnäckigkeit, um einen Personalstil, während
die Avantgarde einem solchen Bemühen ausdrücklich abschwor und mit jedem
Werk die Musik gewissermaßen neu erfinden wollte. In diese Richtung zielt
auch ein Satz der noch jungen Komponistin Isabel Mundry: "Dem, was man kann,
in einem kreativen Sinn misstrauen - ich hoffe, mich so zu bewahren und zugleich
in Bewegung zu halten. Vielleicht gelingt einem Authentizität eher, wenn
man vermeidet, sie zu pflegen." 2 Stehen sich hier womöglich zwei
miteinander unvereinbare Haltungen gegenüber? Tatsache ist, dass Bertold
Hummel bis zuletzt der kreativen Spontaneität mit anschließend akribischer
Ausgestaltung eines jeden Details Priorität in seinem Arbeitsprozess eingeräumt
hat. Dass seine Klangvorstellung durch "alle Musik, die man bisher gehört
hat", mitbestimmt wurde, war für ihn ganz natürlich und kein Grund,
gegen diese Tatsache zu rebellieren. Darüber hinaus kannte er die Errungenschaften
seiner Epoche, auch solche, deren Segnungen er nicht akzeptierte. Man könnte
in Bezug auf die Musik seiner Zeit sagen, er war topp informiert und jeder, der
ihn kannte, weiß, dass er jedes Jahr in Donaueschingen anzutreffen war,
kaum eine wichtige Rundfunksendung seiner Region ausließ und mit seinen
ehemaligen Schülern alles durchdachte, was man ihm vortrug. Allerdings hatte
er - wie jeder Komponist - gewisse Vorlieben. Er liebte den Gregorianischen Choral,
die Klassiker, Anton Bruckner, Alban Berg, Paul Hindemith und Olivier Messiaen,
dem er sich auch in der Verlebendigung des Katholizismus verbunden fühlte. Von
ihnen war er begeistert und deren Musik ist durch ihn hindurchgegangen und hat
Kraft seiner verwandelnden Persönlichkeit einen neuen Stil hervorgebracht. (Neue
Musik Zeitung, November 2002) 1
Karl-Heinz Stockhausen, Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik, Köln
1963, S. 32 2
Isabel Mundry, Booklet-Text zur CD des Deutschen Musikrates, WERGO
Man
hat sich in unserer Zeit allzu sehr daran gewöhnt, einen Komponisten an dem
zu messen, was er "Neues" erfunden hat. Neue Effekte werden als Sensation
empfunden, und doch sind sie bedeutungslos, solange sie nicht auf einer inneren
Notwendigkeit basieren. In diesem Sinn kann man Hummel sicher nicht zu den Avantgardisten
rechnen. Ebenso falsch wäre aber auch das Gegenteil, nämlich ihn etwa
unter die Traditionalisten einordnen zu wollen. Hummel beherrscht alle wesentlichen
neuereren Kompositionstechniken und setzt diese auch sinnvoll in seinen Werken
ein. Deshalb eignen sich seine Werke auch besonders, neue Musik spontan zu erleben. Claus
Kühnl (1977,
Schallplattentext: LP: Christophorus 73902)
Hans
Maier Bertold
Hummel / Plädoyer für das originelle Œuvre des zeitgenössichen
Komponisten "Er komponiert!"
Dieser Ruf eilte dem jungen Cellisten Bertold Hummel schon zu der Zeit voraus,
als er in den ersten Nachkriegsjahren an der Freiburger Musikhochschule studierte.
Wir Gymnasiasten, besonders diejenigen, die an Musik interessiert waren, hörten
es mit Bewunderung. Es gab an dieser nach dem Kriege neugegründeten Musikhochschule
manche Jung-Genies, die bekanntesten waren Fritz Wunderlich und Dietrich Fischer-Dieskau,
es gab Sänger, Geiger, Cembalisten, Organisten - aber Komponisten? Das war
etwas Besonderes. Was tut eigentlich ein Komponist? Wir stellten uns vor, daß
er am Klavier Akkorde probierte und Skizzen auf ein Notenblatt warf; oder wir
sahen ihn vor gewaltigen Partiturblättern mit vielen Notenlinien und -schlüsseln
sitzen - der Musik gebietend wie ein Schiffskapitän dem Meer und den Wellen.
Unser Respekt wuchs noch, als eine Messe des noch unbekannten Komponisten Hummel
bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurde. Daß Hans Heinz
Stuckenschmidt das Werk und seine Wiedergabe verriß, focht uns nicht an.
Wir waren stolz auf Bertold Hummel und wütend auf Stuckenschmidt (damals
eine Art Reich-Ranicki der Musikkritik!). Ich erinnere mich an einen Auftritt
Paul Hindemiths in der Freiburger Musikhochschule, es muß 1949 oder 50 gewesen
sein. Die an Musik Interessierten vom Bertold-Gymnasium hatten, um den berühmten
Mann zu sehen, glatt die Schule geschwänzt. Es gab einen ungeheuren Auflauf
auf den Treppenstufen des schönen Barockpalais am Münsterplatz, als
der kleine, quirlige, rundliche Hindemith dort in unglaublichem Sprechtempo eine
improvisierte, aber höchst gelehrte Rede über Musiktheorie zu halten
begann. Auch Harald Genzmer, Schüler Hindemiths, Professor für Komposition
in Freiburg, Lehrer Hummels, war dort. Damals hat sich mir der Gedanke eingeprägt:
Hindemith, Genzmer, Hummel - die müssen zusammengehören! Es stimmte
ja auch; und Stuckenschmidts Reaktion sehe ich heute in diesem Licht: Es durfte
einfach nicht sein, daß sich neben der Wiener Schule, die er publizistisch
vertrat, noch etwas anderes, Eigenständiges regte. Zum Glück hatte
Bertold Hummel gute Nerven und bei aller Bescheidenheit das nötige Selbstbewußtsein.
Er ging nach dem Studium erst einmal auf Konzertreisen, die ihn weit weg, bis
nach Südafrika, führten, wobei er in Personalunion als Cellist und als
Komponist auftrat. Dann wurde er seßhaft, heiratete 1955 die Geigerin Inken
Steffen, wirkte als Kantor in Freiburg und als freier Mitarbeiter beim Südwestfunk
Baden-Baden. Mit Schalk in den Augen erzählte er, wie die Musiker beim
Einüben einer seiner nicht ganz einfachen Partituren gestöhnt und geschimpft
hatten: "Mathematische Musik, dös hammer fei gern, mein Herr!"
Übrigens arbeitete er pausenlos weiter und verleibte sich allmählich
die gesamte Moderne, auch die Wiener Schule, ein. Schon damals verblüffte
Bertold Hummel durch seine stilistische Breite: Er konnte neben höchst raffinierten
und artistischen Gebilden auch ganz einfache für Laien schreiben, konnte
sich auf unterschiedliche Fähigkeiten einlassen, konnte abwägen und
ausgleichen - so wie er später als Kompositionslehrer die melodischen Talente
kontrapunktisch angefeuert und die Rhythmiker zur Melodie angeregt hat. Die
Stunde des Kompositionslehrers Bertold Hummel schlug 1963, als das Bayerische
Staatskonservatorium Würzburg ihn als Dozenten für Komposition berief.
Seither ist Würzburg für ihn, seine Frau und seine sechs Söhne
- alle höchst musikalisch, fünf selbst Musiker! - zum Lebensmittelpunkt
geworden. Er begründete und leitete das Studio für Neue Musik Würzburg,
er darf als Gründervater der Hochschule für Musik Würzburg gelten,
der er als Professor und später als langjähriger Präsident und
Ehrenpräsident angehörte und bis heute angehört. Aber er hat
auch ebenso selbstverständlich in der Dommusik mitgewirkt. Ein leibhaftiger
Bischof, Paul Werner Scheele, schrieb das Libretto für sein kirchenmusikalisches
Magnum opus, den "Schrein der Märtyrer". Dies in einer Zeit, die
für anspruchsvolle zeitgenössische Kirchenmusik nicht eben günstig
war und die ihn bereits 1979 die skeptische Frage stellen ließ, ob es noch
möglich sei, innerhalb der Kirche "den Streit um die Vergeistigung zu
führen, ohne den ein Aufschwung nicht zu erwarten ist". Was beeindruckt
an Bertold Hummels in 100 Opus-Nummern, in Manuskripten, Partituren, Drucken,
in zahlreichen Schallplatten und CDs vorliegendem Werk? Zunächst einmal seine
ungewöhnliche Vielseitigkeit. Das im November 1995 abgeschlossene 30seitige
Werkverzeichnis führt nahezu alle Kompositionsgattungen an: Bühnenwerke,
Instrumentalwerke, Vokalwerke, Bühnen-, Hörspiel- und Filmmusiken. Eine
Kammeroper, drei Ballette, drei Sinfonien und zahlreiche Werke für großes
und kleines Orchester, eine Fülle von Kammermusik für Bläser und
Streicher, Kompositionen für Gitarre, Harfe, Klavier, Orgel und - als besonderer
Akzent - Percussion. Ein umfangreiches geistliches Vokalwerk, das ein Oratorium,
sechs Messen, Proprien, Motetten, Kantaten und Sologesänge umfaßt,
weltliche Vokalwerke, die von Chorwerken und Kantaten bis zu Sologesängen
reichen. Obwohl Bertold Hummel die Sprechweisen der musikalischen Moderne kennt
und beherrscht, ist doch sein Werk nicht auf eine einzige Formel zu bringen. Er
ist kein musikalischer Konstruktivist, kein Neo-Klassiker, kein Polystilist, kein
Adept der Postmoderne. Ist er dann etwa - wie man die Hindemith-und Genzmerschüler
manchmal mit finsterem Blick verdächtigt - ein dem Rhythmischen und Motorischen
verpflichteter "Musikant"? Alles andere als dies: So sehr seine Musik
von vitalen Energie strotzt, so umsichtig und bewußt, so witzig und luzide
wird das musikalische Material verarbeitet. Handwerks-Genauigkeit wird durch Virtuosität
und farbigen Klangsinn glücklich ergänzt. Besonders die solistischen
Partien steigern sich oft ins Artistische und Raffinierte. Diese Musik mutet
dem Hörer einiges zu. Sie verliert ihn aber nie aus den Augen und Ohren.
Das Dreieck Komponist - Interpret - Hörer bleibt für Hummel nach eigenem
Bekenntnis eine stetige Herausforderung. Und auch die Parameter der Melodie, des
Rhythmus, der Harmonik müssen seiner Meinung nach immer wieder in ein spannungsvolles
Gleichgewicht gebracht werden. Hummels Musik verharrt nicht in einem Pathos der
Distanz - sie verlangt nach dem Hörer. Freilich will sie ihm nicht nur schmeicheln,
ihn gar einlullen, sie fordert ihn heraus, will ihm etwas sagen. Das gilt auch
für Hummels Kirchenmusik, die in seinem Œuvre ganz selbstverständlich
ihren Platz hat. Denn das Geistliche und das Profane - die Kunst, ein Gloria zu
singen oder zum Tanz aufzuspielen - fallen bei ihm nicht auseinander; sie gehören
zusammen und ergänzen sich. Die geistliche Musik bildet ein Kontinuum im
Schaffen des Komponisten. Sie verbindet die Arbeitsabschnitte seines Lebens.
In
der Werkstatt Bertold Hummels geht nichts verloren. So hörte der
Neunjährige in Freiburg Bruckners Dritte Sinfonie und war überzeugt:
Ich muß Komponist werden! Er notierte sich eine viertaktige
Akkordfolge, die er lange später in seinem dreisätzigen Orgelwerk "In
memoriam Anton Bruckner", das 1989 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt
wurde, wieder zitierte. Anton
Bruckner und Olivier Messiaen haben den Kirchenmusiker Bertold Hummel ebenso durch
ihre Frömmigkeit wie durch ihren Avantgardismus beeindruckt. Auch seine eigene
geistliche Musik ist kühn und herb, komplex und fordernd. Immer wieder hat
Hummel die französische Orgelmusik des 20. Jahrhunderts rühmend hervorgehoben:
Ihr sei es gelungen, das Zeitgenössische im Bewußtsein des Kirchenvolkes
zu verankern und jene Gettobildung zu vermeiden, die anderswo oft die geistliche
Musik ins Abseits gedrängt hat. Bertold Hummel ist vielfach ausgezeichnet
worden. Schon 1956 war er Stipendiat des Bundesverbandes der deutschen Industrie.
1960 erhielt er den Kompositionspreis der Stadt Stuttgart, 1961 den Robert-Schumann-Preis
der Stadt Düsseldorf, 1988 den Kulturpreis der Stadt Würzburg. 1968
war er Stipendiat der Cité des arts internationale de Paris. Seit 1982
gehört er der Bayerischen Akademie der Schönen Künste an, hält
Vorträge im In- und Ausland. Die größte Auszeichnung freilich
sind die Aufführungen seiner Werke in aller Welt: neben den europäischen
Ländern vor allem in den USA, Südamerika, Kanada, Rußland, Japan,
Australien. Man wünschte sich ähnliche Rekord-Zahlen auch für
Deutschland - und für Bayern. Der Prophet ist zwar im eigenen Land nicht
unbekannt - doch könnte er ruhig noch bekannter werden. Denn seine Musik
- so Karl Schumann bei Hummels 65. Geburtstag- "hat das, was man sich wünscht:
Substanz und Metier, Eigenart und kompositionstechnischen Schliff, handwerkliche
Präzision und Tiefgang ..." Nicht zuletzt spricht dieser Komponist auch
jene an, "die über die Einzelheiten der stets eigenwilligen und ausgefeilten
Satztechniken hinweghören". (Rheinischer
Merkur, Nummer 22, 30. Mai 1997)
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